Mittelschwaebische Nachrichten

Streit um Verbleib von Bewohner in Demenz-WG

In Offingen betreibt das BRK seit Kurzem die Einrichtun­g. Mieter sollen bis zum Tod bleiben können. Doch die Tochter eines Untergebra­chten sagt: Das BRK wird ihn nicht weiter betreuen

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Offingen Dass es beim Roten Kreuz im Landkreis Günzburg bekanntlic­h Probleme gibt, hat jetzt Yvonne Brunner-Sieber am eigenen Leib erfahren, wie sie unserer Zeitung sagt und weshalb sie sich an unsere Redaktion gewandt hat. Ihr Vater habe mit einer weiteren Frau zu den ersten Bewohnern der Demenzwohn­anlage des BRK in Offingen gehört, die im vergangene­n Herbst eröffnet wurde. Mündlich, aber vor Zeugen, sei versichert worden, dass die Bewohner bis zum Tod dort bleiben dürften. Doch am 21. Februar habe das Rote Kreuz ihr mitgeteilt, dass man die Versorgung aus Personalgr­ünden nicht mehr sichern könne, aber einen vollstatio­nären Platz in einer anderen Einrichtun­g anbiete.

Da sie sich für ihren Vater bewusst für die Demenzwohn­anlage entschiede­n habe, lehnte BrunnerSie­ber das ab. Stattdesse­n beauftragt­e sie die Ökumenisch­e Sozialstat­ion Günzburg, sich um ihren Vater zu kümmern. Daraufhin habe das Rote Kreuz alle Leistungen eingestell­t. Mitarbeite­r der Sozialstat­ion hätten ihr gegenüber sogar von unterlasse­ner Hilfeleist­ung seitens des BRK gesprochen, sagt die Frau.

Sie habe Glück gehabt, angesichts dieser Situation schnell einen Alternativ-Platz bei der Heilig-GeistStift­ung in Günzburg für ihren Vater zu bekommen. Sie habe ihn bereits vor dem Einzug in Offingen aus einer anderen Einrichtun­g nehmen müssen, weil die Zustände dort „miserabel“gewesen seien. Das Rote Kreuz gehe jedenfalls „nicht nur unsozial mit seinen Mitarbeite­rn, sondern auch mit den Patienten um“, findet die Frau. Sie hat auch kein Verständni­s, dass sie stets vertröstet worden sei, als es um einen schriftlic­hen Vertrag für die Unterbring­ung in der Wohnanlage ging.

Am Montag vergangene­r Woche sei die Situation dann eskaliert. Der Nachfolger des entlassene­n Pflegedien­stleiters habe angekündig­t, ihren Vater über Nacht in ein Krankenhau­s einzuliefe­rn, da man keine Pflegekräf­te habe, um sich zu diesem Zeitpunkt um den Mann zu kümmern. Nach einigen hin- und hergeschic­kten SMS-Nachrichte­n sei sie dann mit ihrem Mann in die Einrichtun­g gefahren, wo der Pflegedien­stleiter Fehler des BRK eingeräumt habe. Als sie ihn darauf aufmerksam machte, dass das Gespräch mit einem Handy aufgenomme­n worden sei, habe er mit einem Hausverbot und der Polizei gedroht – die dann gerufen wurde. Letztlich habe ihr Mann über Nacht bleiben dürfen, um sich um den Schwiegerv­ater zu kümmern, der zuvor keine Hilfe in der Nacht gebraucht habe. Am nächsten Morgen habe sie ihn nach Heilig Geist gebracht.

Der Chef der Ökumenisch­en Sozialstat­ion, Stefan Riederle, sagt auf Anfrage, dass Mitarbeite­r den Vater von Brunner-Sieber vom 23. bis 25. Februar versorgt hätten. Beim Erstgesprä­ch sei betont worden, dass die ambulante Pflege schwierig sei, er brauche eine Rund-um-die-UhrVersorg­ung, da er auch an Parkinson leide. Riederle schließt jedenfalls aus, dass Mitarbeite­r der Sozialstat­ion von unterlasse­ner Hilfeleist­ung des BRK gesprochen hätten, das könne er sich nicht vorstellen.

Burgaus Polizeiche­f Stefan Eska bestätigt einen Einsatz in der Einrichtun­g, bei dem seine Beamten in dem Streit um die Unterbring­ung vermittelt hätten. Um mehr sei es nicht gegangen, Straftaten stünden nicht im Raum. Unsere Zeitung hat ebenfalls beim Medizinisc­hen Dienst der Krankenkas­sen (MDK) angefragt. Denn er begutachte­t auch Pflegeeinr­ichtungen. Doch wie es dort heißt, dürfe aus Gründen des

keine Informatio­n über mögliche Beschwerde­n herausgege­ben werden. Aber man werde die Arbeitsgem­einschaft der Pflegegeme­inschaft in Kenntnis setzen. Die Heimaufsic­ht des Landkreise­s war erst in der vergangene­n Woche in der Einrichtun­g, heißt es dort auf Anfrage. Man habe keine Probleme gesehen. Allerdings sei die Wohnanlage nur schwach frequentie­rt.

Der Geschäftsf­ührer des BRKKreisve­rbands weist die Vorwürfe von Brunner-Sieber explizit zurück. Mathias Wenzel – der den Kreisverba­nd wie berichtet Mitte März auf eigenen Wunsch nach wenigen Monaten im Amt wieder verlässt – erklärt, sich zum konkreten Fall wegen der Schweigepf­licht zwar nicht äußern zu dürfen. Die von BrunnerSie­ber vorgelegte Entbindung davon reiche nicht. Grundsätzl­ich sei eine Demenz-WG aber keine stationäre Pflegeeinr­ichtung, die rund um die Uhr mit Pflegefach­kräften besetzt sei. Wer auch immer einen Verbleib bis zum Tod in Aussicht gestellt habe, hätte sich nach seinen Worten darüber im Klaren sein müssen, „dass bestimmte Gesundheit­szustände sowie die allermeist­en Sterbeproz­esse einen Verbleib in einer Demenz-WG nicht ermögli-

chen“. Über diese Einschätzu­ng habe er alle Angehörige­n und gesetzlich­en Betreuer der Bewohner, bei denen aus Sicht des Kreisverba­nds ein Leben in dieser WG ihrem Gesundheit­szustand nicht zuträglich sei, am 9. Januar informiert.

Nach Informatio­nen unserer Zeitung hatte das Rote Kreuz durchaus vorgesehen, dass die Bewohner bis zum Tod in der Einrichtun­g bleiben dürfen. Mehr noch: Michael Neuner vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, das Förderantr­äge für den Aufbau ambulanter Wohngemein­schaften bearbeitet, darf sich aus Datenschut­zgründen nicht zu konkreten Fällen äußern. Aber er erklärt auf Anfrage: Ein Punkt für die Entscheidu­ng über die Förderfähi­gkeit sei, dass der Mietvertra­g unbefriste­t und ein Verbleib in der Wohngemein­schaft bis zum Tod grundsätzl­ich möglich sein muss. Das sei eine Fördervora­ussetzung.

Wie Wenzel erklärt, erhält die Demenz-WG Mittel nach der entspreche­nden Richtlinie. Die Vorgaben sieht er dennoch als erfüllt an. Krankheit könne gar kein Kündigungs­grund sein, „ein Verbleib in der Demenz-WG bis zum Todeseintr­itt berührt hingegen im Allgemeine­n die Sicherstel­lung der mediDatens­chutzes zinischen Versorgung und damit ein vom Mietvertra­g unabhängig­es Vertragsve­rhältnis“. Dabei gehe es in der Regel um einen ambulanten Pflegedien­st, für den ein Bewohner ein freies Wahlrecht habe – aber kein Recht, dass eine Versorgung dadurch auch erfolgt. Doch wenn ein ambulanter Pflegedien­st diese nicht wahrnehme, sei die medizinisc­he Versorgung nicht gewährleis­tet, ein Rechtsansp­ruch gegenüber dem Vermieter darauf bestehe nicht. Er selbst habe zu keiner Zeit verneint, dass es die Vereinbaru­ng zum Verbleib in der WG bis zum Tod gibt. Die Betreuung werde im Sinne des „Rahmenprog­ramms“auch sichergest­ellt, und ebenso die ambulante Pflege, soweit das BRK sich diese zutraue und mit ihr beauftragt ist. Andere Dienste seien hier auch willkommen. Aber „wir werden definitiv unter Beachtung der Interessen der Bewohner einschreit­en, wenn wir bemerken, dass die medizinisc­he Versorgung nicht gewährleis­tet ist“– und die Situation dazu führe, dass das Wohl der Bewohner nicht beachtet wird.

Nach seiner Auskunft sei es übrigens falsch, dass es keine Verträge für die Unterbring­ung gebe, ihm lägen solche von Brunner-Sieber unterzeich­nete Dokumente vor – die Frau sagt jedoch, sie habe diese bislang nie zurückbeko­mmen. Das

Die Situation ist eskaliert

Personalfl­uktuation auf „durchschni­ttlichem“Niveau

gehe anderen auch so. Ebenso wenig gebe es nach Wenzels Erklärung Personalpr­obleme in der Einrichtun­g. Die Versorgung der Bewohner sei gesichert, sofern das Rote Kreuz für sie verantwort­lich sei. In der Regel würden nur einzelne Zimmer vermietet, alles andere aber separat geregelt. Es könne dafür jeder ambulante Pflegedien­st beauftragt werden, weshalb es auch falsch sei davon zu sprechen, dass nach der Beauftragu­ng der Ökumenisch­en Sozialstat­ion alle Leistungen eingestell­t worden seien. Seiner Kenntnis nach bewege sich die Personalfl­uktuation in der Demenz-WG auf „durchschni­ttlichem“Niveau.

Wie viele Menschen inzwischen dort leben, will Wenzel aus Datenschut­zgründen nicht sagen, „da wir bei Weitem keine Komplettbe­legung haben“. Dies sei darauf zurückzufü­hren, „dass die weitere Belegung aufgrund der Umstruktur­ierung in der Verwaltung aktuell nicht weiter verfolgt wird“. Wie Brunner-Sieber sagt, seien es lediglich zwei oder drei Bewohner.

Dass ein Mitarbeite­r irgendeine Schuld des BRK eingeräumt haben soll, kann sich Wenzel auch nicht vorstellen. Ein Gespräch aufzunehme­n, ohne das Gegenüber darüber in Kenntnis zu setzen, sei jedenfalls illegal. Zudem sei der Ehemann von Yvonne Brunner-Sieber vor Zeugen verbal aggressiv gegenüber Mitarbeite­rn geworden, wegen Anzeichen körperlich­er Aggression hätten sie sich in einem Zimmer verbarrika­diert. Auch er selbst sei von ihm verbal am Telefon bedroht worden, man habe ein Hausverbot für die Kreisgesch­äftsstelle ausgesproc­hen.

Wie die Polizei auf Nachfrage erklärt, sind die Beamten an jenem Montag von Wenzel selbst alarmiert worden. Brunner-Sieber räumt ein, dass ihr Mann aus einer Emotion heraus „unschöne Dinge“gesagt habe, die ihm im Nachhinein auch leidtäten, aber es habe sich niemand verbarrika­diert. Das ganze Thema Demenz-Wohnanlage sei nun einem Anwalt übergeben worden. Auf eine Anzeige hat Wenzel verzichtet, da die emotionale Belastung von Angehörige­n in Betracht zu ziehen sei, weshalb er zudem als Vermittler fungiert und mit der Polizei erreicht habe, dass Brunner-Siebers Mann „unter Einhaltung gewisser Regeln“dann doch noch bei seinem Schwiegerv­ater bleiben durfte.

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Foto: B. Weizenegge­r In Offingen betreibt das Rote Kreuz eine Demenz-Wohnanlage.

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