Mittelschwaebische Nachrichten
Rückkehr auf leisen Pfoten
150 Jahre lang war der Luchs aus Bayerns Wäldern verschwunden. Die Bestände erholen sich nur langsam. Warum es die Katze mit den auffälligen Ohren so schwer hat
Stürmische Böen und Regen haben für ein ungemütliches Wochenende und zahlreiche umgeknickte Bäume gesorgt. In ganz Bayern kam es am Sonntag laut Polizei zu rund 900 sturmbedingten Einsätzen. Straßen waren zeitweise gesperrt, mancherorts fielen Bäume auf Stromleitungen. Helfer mussten umgewehte Verkehrsschilder oder abgedeckte Dächer sichern. Im Zentrum von Augsburg fiel am Sonntagnachmittag ein Baum auf die Oberleitung der Straßenbahn – drei Linien waren unterbrochen, die Räumung dauerte bis in die Nacht. Die Strecke der S-Bahn München war durch Bäume im Gleis und in der Oberleitung am Sonntagabend zeitweise gesperrt. Ebenfalls Bäume im Gleis waren auf der Strecke der Bayerischen Oberlandbahn.
Neben dem Sturm bereitete Starkregen mancherorts Probleme. Im Allgäu war der Deutsche Wetterdienst zuvor von bis zu 50 Liter pro Quadratmeter Niederschlag ausgegangen. In der neuen Woche soll der Wind nachlassen, dafür fallen die Temperaturen: mit Glätte und sogar Neuschnee ist zu rechnen. Im Norden Bayerns fällt die Schneefallgrenze auf 600 Meter, im Süden könnte es bis in Lagen von 800 Metern Höhe weiß werden. Im Allgäuer Hochgebirge rechnen die Experten mit zu 20 Zentimeter Neuschnee sowie Verwehungen. (dpa)
Es sind diese Ohren. Diese Ohren, die sofort auffallen. Die aussehen wie ein Pinsel, den Kinder in einen Wasserfarbkasten tunken. Diese außergewöhnlichen Ohren also sind so etwas wie ein Markenzeichen. Sie gehören zu einem Tier, das in Bayern 150 Jahre lang von der Bildfläche verschwunden war und das sich nur ganz langsam wieder ausbreitet. Die Rede ist vom Luchs, der größten Katze in den Wäldern des Freistaates – und die hat es trotz aller Bemühungen sehr schwer, Fuß zu fassen.
Im 19. Jahrhundert wurden die Tiere gnadenlos gejagt. Jäger fürchteten sie als Konkurrenten, die ihnen die Rehe wegfressen. „Der Luchs wurde früher verteufelt. Ähnlich wie der Wolf“, sagt Uwe Friedel, Luchs-Experte beim Bund Naturschutz. „Schauermärchen geisterten umher, in denen Luchse auf Bäumen saßen und Menschen anfielen.“All das führte dazu, dass die Katze in Bayern ausgerottet wurde. Ähnlich erging es bekanntermaßen auch dem Wolf. Mehr als 100 Jahre war er aus den Wäldern Bayerns verschwunden – seit 2006 ist er wieder da. Und beileibe nicht jeder ist davon begeistert.
In den 1970er Jahre wurden wieder Luchse im Bayerischen Wald ausgesetzt. In den 80er Jahren wurden diese Bemühungen noch intensiviert. Heute leben im Bayerischen Wald etwa 60 bis 80 Tiere. Reicht das, damit die scheue Katze im Freistaat wieder heimisch wird? „Nein, auf keinen Fall“, sagt Experte Friedel. „Man bräuchte deutlich mehr Tiere und einen guten genetischen Austausch mit anderen Populationen in Deutschland, um ihr Überleben in Bayern langfristig zu sichern.“
Das Problem ist: Viele Tiere werden im Straßenverkehr getötet. Im Bayerischen Wald waren es innerhalb von zwei Jahren fünf Stück. Hinzu kommen illegale Tötungen. Offiziell wurden zwischen 2000 und 2017 sechs getötete Luchse im Bayerischen Wald gefunden. „Aber es gibt eine Dunkelziffer, die wir als deutlich höher einschätzen müssen“, sagt Friedel. Dass so etwas im- mer wieder vorkommt, zeigt auch ein aktueller Fall: Weil er einen Luchs, der streng geschützt ist, gejagt haben soll, ist gegen einen Jäger aus der Oberpfalz vor kurzem Anklage erhoben worden.
Die Geschichte, die dahintersteckt, ist die: Im Mai 2015 waren im Bayerischen Wald vier abgetrennte Gliedmaßen von Luchsen gefunden worden. Bei dem verdächtigen Jäger wurden Beweismittel sichergestellt, die allerdings nicht eindeutig belegen konnten, dass er die beiden Luchse damals wirklich getötet hatte. Die Staatsanwaltschaft ließ die Vorwürfe gegen ihn zwar fallen – doch nun wurde er erneut angeklagt. Denn bei den Gegenständen, die im Haus des Mannes gefunden wurden, handelt es sich um ein Nachtsicht- und Zielgerät sowie einen Wurfstern. Zudem wurde in einem Waldgebiet eine Lebendfalle gefunden. Dies erhärtet nach Meinung der Staatsanwaltschaft den Verdacht, dass der Mann Luchse gejagt hat.
Die Täter, die es auf Luchse abgesehen haben, müssten weiterhin konsequent strafrechtlich verfolgt werden, sagt Experte Friedel. Um die Tiere zu schützen, ist es seiner Ansicht nach zudem nötig, an Straßen durch Luchsgebiete die Geschwindigkeit zu reduzieren und Grünbrücken anzulegen.
Außerdem müsse man etwas für das Image der Katze mit dem auffällig gemusterten Fell, dem Stummelschwanz und den markanten Pinselohren tun. „Wir müssen deutlich machen, dass sie kein gefährlicher Räuber ist“, sagt der Naturschützer. „Sie lebt heimlich und versteckt im Wald und ist sehr scheu.“Auch Tierhalter müssten in der Regel nicht fürchten, dass ihr Vieh gerissen wird. „Das ist nicht mit dem Wolf vergleichbar“, sagt Friedel. Und was die vermeintliche Konkurrenz mit den Jägern angeht, verhalte es sich so: Luchse würden zwar Rehe reißen – allerdings wenige im Vergleich dazu, was die Jäger abschießen müssten, um den Bestand zu regulieren.
Wie groß ist also die Chance, bei einem gemütlichen Waldspaziergang einem Luchs zu begegnen? Enorm gering, sagt Experte Friedel. „Bevor wir ihn sehen, verschwindet er und versteckt sich. Sollten Sie trotzdem einmal das seltene Glück haben: Verhalten Sie sich ruhig und genießen Sie den Moment.“