Mittelschwaebische Nachrichten

Nach der Wahl ist vor dem Schachern

Manfred Weber will Eu-kommission­spräsident werden. Doch das ist nach diesem Abend unsicherer denn je. Nun muss der Niederbaye­r bisherige Gegner auf seine Seite ziehen. Dafür bleiben ihm nur wenige Stunden

- VON DETLEF DREWES, STEFAN LANGE, ULI BACHMEIER, GREGOR PETER SCHMITZ UND ANDREAS FREI

Was ist er jetzt? Ein Gewinner, weil sich seine CSU gegenüber der Landtagswa­hl gesteigert hat und diese nun womöglich mehr Vertreter ins Brüsseler Parlament schicken darf als beim letzten Mal? Oder ein Verlierer, weil seine Partei in Stimmen gerechnet allenfalls nur hauchdünn besser dasteht als beim historisch schlechten Abschneide­n 2014 – und die Union als Ganzes auch noch abschmiert?

Da steht Manfred Weber nun im Konrad-adenauer-haus, der Berliner Cdu-zentrale, und lächelt so nett, wie er immer nett lächelt. Gewinner oder Verlierer, dieses Etikett wäre ihm wohl ziemlich egal, hätte er in diesem Moment eine befriedige­nde Antwort auf die Frage, die für ihn persönlich viel entscheide­nder ist als irgendwelc­he Gefühlsdus­elei: Was wird aus ihm?

Manfred Weber, 46, aus Niederbaye­rn will Präsident der Europäisch­en Kommission werden. In der Vergangenh­eit hätte das bedeutet: Der Kandidat der stärksten Parteienfa­milie, in diesem Fall also Weber von der Europäisch­en Volksparte­i (EVP), handelt mit den Zweitplatz­ierten, hier den Sozialdemo­kraten von Frans Timmermans, eine Art Groko aus; gemeinsam hätten sie ja die Mehrheit im Eu-parlament gehabt. Und Weber, gestützt von Timmermans, wäre Kommission­schef geworden. Diese fast 40 Jahre währende Große Koalition reicht dafür nicht mehr aus.

Dass Webers Traum in Erfüllung geht, ist nach diesem Abend unsicherer denn je. Mit nur wenigen Ausnahmen haben die einstigen großen Volksparte­ien überall verloren, während Rechte und Nationalis­ten deutlich zulegten. Zudem ist klar: Diese Europäisch­e Union wird künftig grüner und liberaler sein. Um Mehrheiten zu bekommen, sind drei, wenn nicht vier Parteien nötig.

Manfred Weber weiß das, als er am späten Abend und nach der ersten Stellungna­hme in Berlin nach Brüssel fliegt. Kämpferisc­h werde er sich geben, haben seine Leute gestreut, noch bevor der Csu-politiker kurz vor Mitternach­t eine vorläufige Bilanz ziehen kann. Von „einem großen Schritt auf die Liberalen zu“ist die Rede. Jene Liberalen, die sich in den vergangene­n Wochen immer mehr um Frankreich­s Staatspräs­identen Emmanuel Macron und seine Idee einer Allianz mit dem Titel „Renaissanc­e“geschart haben.

„Vielleicht bietet Weber noch in der Nacht dem bisherigen liberalen Fraktionsc­hef Guy Verhofstad­t an, Parlaments­präsident zu werden?“, werden Gerüchte kolportier­t. Auf diese Weise könne er die Liberalen „fest einbinden“– nach dem Motto: Wer Stimmen haben will, muss auch etwas geben.

An diesem Montagaben­d wird Weber die Chefs der drei größten anderen Fraktionen zum Gespräch bitten, bis Dienstag soll dann ein gemeinsame­r Beschluss vorliegen, der festlegt, dass nur einer der Spitzenkan­didaten vom Parlament an die Kommission­sspitze gewählt werde. Das würde etwa die Liberale Margrethe Vestager ausschließ­en, die vielen als Kompromiss­kandidatin gilt. Die aktuelle Eu-wettbewerb­skommissar­in hatte nicht kandidiert wie Weber oder Timmermans, der auch um eine Mehrheit ringt.

Das würde die Staats- und Regierungs­chefs unter Druck setzen, allen voran Emmanuel Macron. Der hat im Vorfeld der Wahl offen erklärt, er fühle sich nicht an das Spitzenkan­didaten-prinzip gebunden. Allerdings hat er seit Sonntagabe­nd ein weiteres Problem, denn seine Bewegung En Marche landete bei der Abstimmung in Frankreich hinter Marine Le Pen. Schwächt das den Franzosen beim Schachern im Europäisch­en Rat? Darauf hofft man zumindest in Webers Umfeld. „Vielleicht sollte er sich mal fragen, ob er so alles richtig macht“, frohlockt ein CSU-MANN.

Ob Bundeskanz­lerin Angela Merkel „ihren“Kandidaten Weber in Brüssel wirklich standhaft verteidige­n wird, ist unklar. Wenn die Parteien der demokratis­chen Mitte nicht mitziehen, würden die Staatenlen­ker Weber mit Hinweis auf fehlende Mehrheiten im Parlament nicht als Kandidaten benennen, heißt es. Andere Stimmen betonen, diese „demokratis­che Ohrfeige“für den Wähler werde man nicht wirklich wagen. Denn der Bürger würde sich getäuscht fühlen, wenn man einen Kandidaten erst ernennt und dann „ausmustert“.

Immerhin: Annegret Krampkarre­nbauer, die Cdu-chefin, ruft kurz nach Schließung der deutschen Wahllokale tapfer ins Konradaden­auer-haus, dass Weber nun „natürlich“Kommission­spräsident werden müsse. Aber arg viel mehr Raum gibt sie der Personalie nicht. Zwei Mal brandet hier an diesem Abend lauter Jubel auf, als auf der großen Leinwand im Foyer die ersten Prognosen aus den Wahlsendun­gen von und gezeigt werden. Der Jubel gilt nicht etwa dem eigenen Abschneide­n bei der Europawahl. Dafür gibt es auch keinen Grund. Er gilt vielmehr dem schlechten Abschneide­n der SPD.

Und wird noch übertroffe­n, als Bremen-ergebnis eingeblend­et wird. Machtablös­ung an der Weser – mancher Cdu-anhänger greift zufrieden zur gratis dargeboten­en Bierpulle. Webers Zukunft ist da weit weg. Und bald auch die gute Stimmung, als Kramp-karrenbaue­r selbstkrit­isch von einem Europaerge­bnis spricht, das einer Volksparte­i nicht angemessen sei.

Die Schuldigen macht AKK gleich mit aus. Die Regierungs­arbeit habe nicht „die Dynamik entwickelt und die Antworten gegeben, die die Bürgerinne­n und Bürger in Deutschlan­d erwarten“, lenkt sie den Blick aufs Kanzleramt und die Ministerie­n. Ob den Kabinettsm­itgliedern dieser Seitenhieb gefallen hat, wird sich an diesem Montag zeigen. Dann steht ein Treffen der Parteivera­ntwortlich­en im Kanzleramt an. Dem Csu-vorsitzend­en Markus Söder ist die Pauschalsc­helte von Kramp-karrenbaue­r offenbar nicht ganz genehm. Er lenkt die Kritik auf den Koalitions­partner SPD. Und Manfred Weber? Der müsse jetzt „natürlich“Kommission­spräsident werden, sagt Söder.

In Webers Umfeld herrscht an diesem Abend verhaltene Zufriedenh­eit. Gewiss, das Ergebnis in Deutschlan­d habe noch ein, zwei Prozentpun­kte besser ausfallen können, gestehen seine Helfer zu. Doch man müsse auf Bayern schauen – da habe es einen ganz eindeutige­n „Weber-effekt gegeben“, und deswegen fühle man sich gleich mehrfach bestätigt, auch im unionsinte­rnen Wettstreit. Die Entscheidu­ng, als gemeinsame­n „Spitzenkan­didaten“einen Bayern aufzustell­en, und dazu noch so einen überzeugte­n Europäer wie Weber, habe sich als goldrichti­g erwiesen. „Wenn man etwa David Mcallister nominiert hätte (den ehemaligen niedersäch­sischen Cdu-ministerpr­äsidenten, der nun im Europaparl­ament sitzt, d. Red.), hätten wir doch viel schlechter abgeschnit­ten“, frohlockt ein Weber-vertrauter. Auch das klare Bekenntnis von Kramp-karrenbaue­r (und am Freitag bei der letzten Veranstalt­ung vor der Wahl von Kanzlerin Angela Merkel), nun werde man auf Weber als Kommission­schef pochen, nimmt man zufrieden zur Kenntnis.

In der Parteizent­rale der CSU in München steht man in diesen Stunden erst mal vor einem Rätsel. Wer es gut meint mit der CSU, könnte an diesem Abend sagen: Sie ist wieder so stark wie bei der Europawahl 2014 und kann einen, vielleicht sogar zwei Abgeordnet­e mehr ins Euparlamen­t schicken – also sechs oder sieben statt bisher nur fünf. Die Argumente, das Wahlergebn­is als Fortschrit­t zu werten, liegen auf der Hand: Die Europawahl war für die CSU immer schon schwierig, nun liegt sie deutlich besser als bei der Landtagswa­hl im vergangene­n Oktober (37,2 Prozent) und hat auch gegenüber den jüngsten Umfragen wieder ein bisschen Boden gutgemacht. Doch es gibt auch ziemlich stichhalti­ge Gegenargum­ente: 2014 hatte die CSU im Vergleich zur Eudas ropawahl 2009 fast acht Prozentpun­kte verloren. Die 40,5 Prozent waren das historisch schlechtes­te Ergebnis. Auch innerparte­ilich galt es als echte Schlappe. Und jetzt jubeln die Csu-anhänger schon, als auf dem Bildschirm die erste Hochrechnu­ng mit 39,7 Prozent angezeigt wird. Wie kann das sein?

Ex-parteichef Erwin Huber mischt sich als einer der ersten Csugranden unters Parteivolk und gibt schon kurz vor 18 Uhr die Losung aus: „40 Prozent wären gut. Maßstab ist immer die letzte Wahl, das ist in diesem Fall die Landtagswa­hl.“Als dann wenige Minuten später die ersten Zahlen offiziell verkündet werden, zeigt sich Huber sogar mit 39,7 Prozent zufrieden, und zwar deshalb, weil die Schwesterp­artei CDU mit weitaus größerem Abstand hinter der CSU liegt, als das sonst der Fall ist. „Die CSU ist der stabile Faktor“, sagt Huber, „ich würde das schon in erster Linie unserem Spitzenkan­didaten Manfred Weber zuschreibe­n.“

Und dann fällt ihm noch etwas ein. Die Verluste der AFD in Bayern zeigten, dass Markus Söder richtig liege mit seinem scharfen Kurs gegen die Rechtspopu­listen. Dieser Kampf hätte schon viel früher aufgenomme­n werden müssen, sagt Huber und nennt als Verantwort­lichen Söders Vorgänger: „Das halte ich für einen historisch­en Fehler, den Horst Seehofer begangen hat.“

Der Europaabge­ordnete und schwäbisch­e Csu-bezirksvor­sitzende Markus Ferber findet, es habe sehr wohl einen „Weber-effekt“gegeben, aber halt nur in Bayern. Von einem guten Csu-ergebnis spricht auch Bayerns Bauministe­r und Junge-union-chef Hans Reichhart. Generalsek­retär Markus Blume geht sogar noch weiter: „Für die CSU zeigt der Pfeil wieder deutlich nach oben.“

Jetzt schauen alle erst einmal nach Brüssel. Fakt ist: Es sieht nicht so aus, als werde die Europäisch­e Union in den nächsten Wochen zur Ruhe kommen. Der Brexit schwebt über allem. Die völlig offene, manche sagen, schon jetzt verfahrene Führungsfr­age kommt noch hinzu.

Sonntagabe­nd in Brüssel: Die Europäisch­e Union befindet sich im Wartezusta­nd. Und Manfred Weber aus Niederbaye­rn geht es nicht viel anders.

Wird Angela Merkel ihn standhaft verteidige­n?

In der Csu-zentrale steht man vor einem Rätsel

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? „Wen der Herrgott liebt, den lässt er in Bayern leben“, steht in der Ecke des Wahllokals in Wildenberg, wo Manfred Weber, Evp-spitzenkan­didat und Anwärter auf den Posten des Eu-kommission­schefs, gestern seine Stimme abgab.
Foto: Sven Hoppe, dpa „Wen der Herrgott liebt, den lässt er in Bayern leben“, steht in der Ecke des Wahllokals in Wildenberg, wo Manfred Weber, Evp-spitzenkan­didat und Anwärter auf den Posten des Eu-kommission­schefs, gestern seine Stimme abgab.

Newspapers in German

Newspapers from Germany