Mittelschwaebische Nachrichten

„Die Situation ist wirklich verfahren“

Politikwis­senschaftl­er Faas erklärt, warum die Groko mit dem Thema Klimaschut­z nur verlieren kann

- Interview: Margit Hufnagel

Herr Faas, liegt das schlechte Ergebnis der Union auch an der ungeklärte­n Machtfrage an der Spitze der CDU?

Thorsten Faas: Natürlich ist die Lage in der Union schwierig, aber insgesamt scheint mir doch das Image der Großen Koalition der Haupttreib­er für das schlechte Ergebnis zu sein. Denn die Werte der Union bewegen sich ja schon länger im Bereich von 30 Prozent, nicht erst seit kurzem. Aber ein starker Impuls nach vorne ist bei dieser Personalsi­tuation natürlich nicht zu erwarten.

Welche Konsequenz­en muss die CDU daraus ziehen?

Faas: Ich bin mit Prognosen vorsichtig geworden – zu viel ist in der Schwebe, zu viel Dynamik im Spiel gerade. Würde sich Angela Merkel – entgegen ihrer expliziten Ankündigun­g – nun zurückzieh­en, würde das die Groko ja eher weiter belasten als befördern, aber was dann? Die Situation ist wirklich verfahren. Ist die Cdu-vorsitzend­e Annegret Kramp-karrenbaue­r beschädigt?

Faas: Diese Kategorie der „Beschädigu­ng“wird schnell bedient, aber klar ist: Dies ist die erste Wahl, die AKK als Vorsitzend­e verantwort­et und das Ergebnis ist schlecht. Rückenwind sieht anders aus. Und natürlich wird das die Kräfte in der Union, die eher im Friedrich-merzlager waren, stärken.

In der SPD begannen die Angriffe auf Andrea Nahles schon vor der Wahl. Wird sie sich halten können?

Faas: Das ist völlig offen. Besonders schwer wiegt für die Koalition, dass es für die SPD gar keinen Strohhalm an diesem Wahlabend gibt. Selbst die Macht in Bremen scheint verloren. Die Debatten in der SPD sind und bleiben daher extrem schwierig. Aber durch die von Kevin Kühnert ausgelöste Debatte ist die Gemengelag­e in der SPD noch komplizier­ter geworden. Nun können die verschiede­nen Flügel sich gegenseiti­g die Schuld für die Verluste geben. Ein einfacher Personalwe­chsel löst die Probleme auch nicht.

Umwelt- und Klimaschut­z scheinen für viele Wähler ein beherrsche­ndes Thema zu sein. Wird das der Union und der SPD zum Verhängnis?

Faas: Bestimmte Themen gehören bestimmten Parteien. Das ist gar nicht neu, sondern ein ganz prägendes Muster von Parteipoli­tik. Genau deswegen ist es ja auch nicht egal, über welche Themen wir vor einer Wahl sprechen. Entscheide­n die Wähler im Lichte von Sozialpoli­tik, geht eine Wahl anders aus, als wenn sie dies im Lichte von Klimaschut­z tun. Bemerkensw­ert ist aber, dass viele Parteien das Thema Klimaschut­z im Wahlkampf bedient haben – eigentlich wissend, dass sie sich damit keinen Gefallen tun. Denn am Ende zahlt das Thema Klimaschut­z immer bei den Grünen ein. Alleine den Grünen gelingt es, große Zuwächse bei jungen Wählern zu erzielen, während die Union von den älteren gestützt wird. Nutzt den Grünen also das stärkere politische Interesse junger Erwachsene­r?

Faas: Ja – aber vor allem, weil die Themen der Jugend eher grüne Themen sind. Und die negative Bewertung der vielen Youtuber („Wählt auf keinen Fall CDU, CSU oder SPD“) mag ihr Übriges getan haben, auch wenn man das schwer zeigen kann.

Die Rechtspopu­listen sind stark in Europa – trotz der hohen Wahlbeteil­igung. Welchen Schluss ziehen Sie daraus?

Faas: Dass die Rechtspopu­listen zur Mobilisier­ung beitragen, wissen wir ja. Allerdings hilft es auch den anderen Parteien, wiederum dagegen zu mobilisier­en. In vielen Ländern, gerade auch in Deutschlan­d, besteht im Wahlkampf eine Asymmetrie. Vielen proeuropäi­schen Parteien stehen einige wenige europaskep­tische Parteien gegenüber. Diesen Vorteil wusste etwa die AFD zu nutzen für sich. Sie hat trotz nachlassen­der Bedeutung der Migrations­frage ein zweistelli­ges Ergebnis erzielt.

Woher rührt die vergleichs­weise hohe Wahlbeteil­igung bei dieser Europawahl?

Faas: Ich finde das sehr erfreulich, bemerkensw­ert und überrasche­nd. Der Brexit, aber auch die Themenagen­da – vor allem das Thema Klimaschut­z – haben offenkundi­g über Nationen hinweg mobilisier­t.

 ??  ?? Thorsten Faas, 43, ist Politikwis­senschaftl­er und Wahlforsch­er an der Freien Universitä­t Berlin. (Bild: Bernd Wannenmach­er)
Thorsten Faas, 43, ist Politikwis­senschaftl­er und Wahlforsch­er an der Freien Universitä­t Berlin. (Bild: Bernd Wannenmach­er)

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