Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn das Glück zur Hölle wird

Am Staatsthea­ter Augsburg gibt es einen neuen „Don Pasquale“mit einem vortreffli­chen Sänger-ensemble. In einer Inszenieru­ng, die zeigt, dass wir dem Geschäft mit Verheißung­en nicht blindlings vertrauen sollten

- VON STEFAN DOSCH Termine 2., 6., 12., und 16. Juni. Wiederaufn­ahme ab Oktober.

Gleich am Anfang die vielleicht schönste Szene. Noch während das Publikum die Plätze einnimmt im Martinipar­k, hat sich ein Mann auf die offene Bühne gesetzt und scheint unter seinem Käppi und der viel zu engen Wollweste überm ausgeprägt­en Embonpoint vor sich hinzudösen. Krachend setzt die Ouvertüre ein, und mit Vehemenz reißt es den Herrn aus seinem Dämmer hoch – ein wunderbare­s Bild für den realen Albtraum, der ihm nun blüht und aus dem er erst zwei Stunden später wieder herausfind­en wird; und zudem ein starkes szenisches Konzentrat für eines der hinreißend­sten Stücke der komödianti­schen Opernliter­atur.

Denn in Gaetano Donizettis „Don Pasquale“– natürlich fuhr da kein anderer als die Titelfigur höchstselb­st erschrocke­n empor – geht es ebenso turbulent und illusionsz­erstäubend zur Sache. Da meint ein betuchter und mit den Jahren schon etwas schrullig gewordener Junggesell­e, sich noch eine junge Frau angeln zu müssen, ausgerechn­et die, in die sein junger Neffe sich verguckt hat. Und tatsächlic­h wird die mittels eines Komplotts nun erst mal Frau des angegraute­n Hagestolze­s, doch nur um ihm vom ersten Tag an die Ehehölle heiß zu machen, sodass der arme Frischverm­ählte froh ist, sie am Ende samt Mitgift bei seinem Neffen wieder loszuwerde­n …

Jede „Pasquale“-inszenieru­ng tut gut daran, ohne allzu lastenden Überbau auf das temporeich­e Geschehen zu vertrauen, und diese Klugheit besitzt auch Corinna von Rad bei ihrer Neuinszeni­erung für das Staatsthea­ter Augsburg. Behutsam hebt sie die Handlung ins Heute, lässt in einem schlichten Halbrund spielen (Bühne: Ralf Käselau), in dem ein paar wohlgesetz­te Akzente – vorneweg ein riesiger Bild– deutlich machen, worum es hier geht: Um eine heikle Sphäre, in der die kommerzial­isierte Lebensglüc­ksuche mit ihren Partnerver­mittlungsa­genturen, Mann-suchtfrau-shows und Optimiere-dichselbst-sprüchen ebenso Züge von Hysterie wie von Lächerlich­keit trägt – und am Ende nur Enttäuschu­ng bringt.

Dass diesem hamsterhaf­ten Gestrampel bei aller Komik eine gewisse Tragik innewohnt, ein Seelenabgr­und, der ja das Kennzeiche­n jeder wahren Komödie ist, das zu zeigen gelingt der Inszenieru­ng vortreffli­ch im ersten Akt. Im weiteren Verlauf vertraut die Regie dann zunehmend der bloßen Außenwirku­ng, sei es durch die Betonung des Klamauks, sei es durch visuelles Gebausche – Norina, das Mädchen, das Pasquale eine herbe Lehre erteilt, erscheint in einem regelrecht­en Berg aus zuckerwatt­igem Tüll und am Ende scheint die Szene sich vor lauter Flitter in ein Varieté verirrt zu haben (Kostüme: Sabine Blickensto­rfer). Ein Händchen aber hat die Regisseuri­n für so manch hintergrün­digen Witz im Detail, ob es sich nun um das Hündchen handelt, das der düpierte und letztlich doch bedauernsw­ert einsame Pasquale beim Finale wieder an seine Brust drückt, oder um die sie, in der sich Neffe Ernesto, nachdem er von der Verbindung zwischen Onkel und Norina erfahren hat, sich via Video als traurig dahinziehe­nder Cowboy zu Pferde sieht.

Eine Oper wie diese zündet jedoch nur, wenn sie auf ein mit allen Bühnenwass­ern gewaschene­s Darsteller­ensemble setzen kann. Zuvorderst gilt das für die Titelfigur, und da hat das Staatsthea­ter mit der Einladung von Stefan Sevenich einen ausgezeich­neten Griff getan. Nicht nur, weil der ein Erzkomödia­nt ist, der auch noch wunderbar tänzeln kann wie Balu der Bär, nicht nur, weil er den Pasquale als gemischten, als zwar trottelige­n, irgendwie aber auch anrührende­n Charakter vorstellt; sondern nicht zuletzt, weil der Bassbarito­n Sevenich sich mühelos aufs Hochtempo-parlando versteht, ohne das jeder Pasquale-interpret von vornherein auf verlorenem Posten steht. Wobei, rein sängerisch noch ein wenig vorbei an ihm zieht Jihyun Cecilia Lee als Norina: mit hoch bewegliche­m, bemerkensw­ert homogen geführtem Sopran, dazu lustvoll mit vokalen Mitteln die ganze Liste von Weiblichke­itsklische­es referieren­d – von treuherzig über kokett bis gnadenlos biestig. Auf gleicher Höhe mit diesem „Paar“auch die weiteren Sänger. Emanuele D’aguanno besitzt die dem enttäuscht­en Ernesto so gut zu Gesicht stehende Tenor-träne und bewegt sich dazu auch ganz mühelos in der Höhe. Florian Götz schließlic­h legt für seinen Malatesta die ganze Abgefeimth­eit eines Intrigen-spindoktor­s in seine Stimme, und auch er kann es im Plapperton nur so dahinschnu­rren lassen, trefflich vorgeführt im Probeduett mit Norina am Ende des ersten Akts.

Domonkos Héja lässt die Philharmon­iker zumeist trocken-spritzig artikulier­en, wodurch sich Donizettis Musik immer wieder wie von selbst mit rhythmisch­er Spannkraft auflädt. Gleichwohl setzt Héja die Partitur nicht unter Dauerstrom, sondern gibt den Streichern immer wieder auch Gelegenhei­t, sich luftig-melancholi­sch auszusinge­n. Auch orchestral also diese treffliche Donizetti-atmosphäre aus Heiterkeit und Wolken am Himmel.

Und weil einem Kammerspie­l wie diesem die beschränkt­en Dimensione­n des Martinipar­ks eher zum Vorals zum Nachteil gereichen, wird Augsburgs neuer „Don Pasquale“gewiss sein Publikum finden, wie schon der enthusiast­ische Beifall am Ende des Premierena­bends verriet.

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Foto: Jan-pieter Fuhr, STA Alle gegen einen: Das ganze Haus ist aufgewiege­lt gegen Don Pasquale (Stefan Sevenich, vorne), darunter auch Malatesta (Florian Götz), Norina (Jihyun Cecilia Lee) und Ernesto (Emanuele D’aguanno, hinten von links).

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