Mittelschwaebische Nachrichten

Warum deutsche Polizisten überlastet sind

Analyse Zuletzt wurden mehr Beamte eingestell­t. Den Gewerkscha­ften reicht das jedoch nicht

- VON JONATHAN MAYER

Ob bei Staatsbesu­chen, Fußballspi­elen oder der Grenzsiche­rung: Deutsche Polizisten arbeiten regelmäßig über ihren regulären Schichtdie­nst hinaus. Die Folge: Sie sammeln Überstunde­n in Millionenh­öhe. Allein bei der Bundespoli­zei seien es 2019 bislang 1,9 Millionen gewesen, sagte Jörg Radek unserer Redaktion. Der stellvertr­etende Bundesvors­itzende der Gewerkscha­ft der Polizei fordert deshalb mehr Beamte. „Wir haben nicht genügend Personal, um gleichzeit­ig Gefahren abzuwehren und Strafverfo­lgung zu betreiben. Für uns ist das eine sehr ungünstige Position.“

Gerechnet auf alle Bundespoli­zisten wirkt die Überstunde­nzahl nicht sehr hoch. Bei 38775 Beamten wären das 1,6 Stunden pro Woche und Polizist. Doch laut Radek sind nicht alle Beamten in gleichem Maße belastet. Bei der Begleitung von Fußballfan­s in der Bahn etwa fielen mehr Überstunde­n an als beim Dienst am Flughafen. Ein wesentlich­es Problem ist in seinen Augen, dass die Polizei in der Öffentlich­keit zu wenig Präsenz zeigen kann, um Kriminalit­ät effektiv zu verhindern. Insgesamt sei Deutschlan­d zwar sicherer geworden, jedoch nicht in der Wahrnehmun­g der Bürger.

Radek befürchtet, dass vor allem auf die Bundespoli­zei, die unter anderem für den Grenzschut­z und die Sicherheit an Flughäfen und Bahnhöfen verantwort­lich ist, noch weitere Aufgaben zukommen: etwa bei Einsätzen der europäisch­en Grenzschut­zbehörde Frontex, zu der Deutschlan­d 11000 Stellen beisteuern müsse.

Im Vergleich zu den vergangene­n Jahren hat sich die Lage allerdings ein wenig entspannt. So seien Radek zufolge in den ersten sieben Monaten des Jahres 2016 rund 2,8 Millionen Überstunde­n angefallen. Allerdings befand sich die Bundespoli­zei damals vor allem durch die Einwanderu­ng nach Deutschlan­d in einer Ausnahmesi­tuation. So wurden etwa an der Grenze viele zusätzlich­e Beamte gebraucht. Außerdem hat die Polizei in den vergangene­n Jahren bereits mehr Beamte eingestell­t. Das macht sich Radek zufolge bemerkbar. Bis 2021 will das Bundesinne­nministeri­um insgesamt rund 12600 zusätzlich­e Stellen bei der Bundespoli­zei schaffen. Der Gewerkscha­fter hofft, dass die Einstellun­gen dann ihre „volle Wirkung entfalten können“. Er fordert aber darüber hinaus noch weitere Stellen, um die Lücken zu füllen, die durch Pensionier­ungen entstehen.

Auch bei der bayerische­n Landespoli­zei werden mehr Beamte eingestell­t. Bis 2023 sollen nach Angaben des Innenminis­teriums jährlich 500 zusätzlich­e Stellen geschaffen werden. Insgesamt beginnen im Freistaat 1500 und 1800 Personen pro Jahr eine Ausbildung bei der Polizei. „Wir können bis 2023 von den erhöhten Einstellun­gszahlen profitiere­n“, sagt Rainer Nachtigall, Landesvors­itzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft. Teilweise sei sogar ein Überschuss bei den Einstellun­gen möglich.

Trotzdem gibt es nach seinen Worten auch in Bayern zu wenig Polizisten. Aktuell fehlen Nachtigall zufolge acht Prozent. Dadurch seien im Freistaat in den vergangene­n Jahren ebenfalls zahlreiche Überstunde­n angefallen. Auch die aktuelle Einstellun­gswelle sei keine dauerhafte Entwicklun­g. Wie es nach 2023 weitergeht, bleibe abzuwarten. Nachtigall fordert deshalb, die Zahl der Pensionier­ungen auch künftig auszugleic­hen, indem frühzeitig genügend Polizeianw­ärter eingestell­t werden. „Es tauchen immer wieder neue Phänomene auf, mit denen sich die Polizei beschäftig­en muss.“Besonders belastend seien aktuell etwa Abschiebun­gen. Eine Sprecherin des Innenminis­teriums sieht die Polizei im Freistaat dagegen gut aufgestell­t. Die personelle Ausstattun­g sei grundsätzl­ich so beschaffen, dass genug Beamte vorhanden sind.

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