Mittelschwaebische Nachrichten
Ein großer Lebensretter wird 60
Automobilgeschichte Mit dem Volvo PV 544 kam 1959 das erste Serienauto mit Dreipunkt-Sicherheitsgurt auf den Markt. Die schwedische Erfindung sollte die Zahl der Todesfälle halbieren. Unser Autor hat den Ur-Gurt noch einmal getestet – im historischen Wage
Er sieht aus wie ein Ami, kommt aus dem hohen Norden und hat geholfen die Zahl der Todesfälle im Straßenverkehr zu halbieren. Der Volvo PV 544 war das erste Serienauto der Welt mit Dreipunkt-Sicherheitsgurt. Das war 1959. Jetzt, 60 Jahre danach, durften wir zum runden Jubiläum den Schwedenstahl auf vier Rädern noch einmal bewegen.
Nach links greifen, Gurt rüberziehen, unten rechts reinstecken, Klick. Fertig. Keine große Sache. Millionen von Autofahrern schnallen sich täglich an. Dabei war das nicht immer selbstverständlich. Beckenund Hosenträgergurte waren Ende der 50er Jahre zwar schon bekannt. Aber viel zu unbequem, zu unsicher und zu umständlich, um sich durchsetzen zu können.
Das änderte sich erst mit dem Drei-Punkt-System, das mit einer Hand und in Sekundenschnelle zu bedienen war. Erfunden hat es der schwedische Techniker Nils Ivar Bohlin. Und der wusste, was er tat: Schließlich entwickelte er vor seinem Job bei Volvo Schleudersitze für Saab-Überschall-Flieger.
Eingebaut wurde der DreipunktSicherheitsgurt serienmäßig zum ersten Mal in einem Volvo PV 544, auch besser bekannt unter seinem Spitznamen Buckel-Volvo. Am 13. August 1959 rollte der erste so ausgestattete Wagen vom Band. Er ging an eine Familie im schwedischen Christianstad. Knapp eine Viertelmillion Exemplare wurden davon gebaut, viele landeten auch jenseits des großen Teichs. Dort legte man schon sehr früh Wert auf Sicherheit. Und so fing Amerika an, sich anzuschnallen.
„Buckle up“heißt das auf Eng– wohl eher ein kurioser semantischer Zufall, dass das erstmalig in einem Buckel-Volvo möglich war. Geholfen hat bei Siegeszug natürlich auch die Anschnallpflicht, die 1966 in den USA in Kraft trat. In Deutschland sogar erst 1974. Der Gurt entwickelte sich rasch zum echten Lebensretter. Die Statistik verrät, dass sein flächendeckender Einsatz in Europa die Anzahl der Todesfälle halbiert hat. Die patente Idee Bohlins wurde deshalb zu den wichtigsten Erfindungen des letzten Jahrhunderts gezählt.
Aber wie fährt es sich nun mit dem ersten Sicherheitsgurt? Also nichts wie hinein in den PV 544. PV steht für das schwedische Wort personvagn. Aber wie in einem Personenwagen fühlt man sich nicht im Sitz des Buckel-Volvos. Eher wie in einer ausgebeulten Chaiselongue aus dem vergangenen Jahrhundert. Blick nach links: Hier an der B-Säule, an einer fetten Sechskant-Stahllisch schraube hängt das gute Stück. Die Gurtschnalle ist verchromt und entsprechend schwer.
Einmal rumgeschlungen um den Körper. Und ja, was ist das denn? Eine schlicht Stahlspange auf den Kardantunnel montiert. Da ist nichts verkleidet, und auch der Beifahrer hängt hier seinen Gurt ein. Klick, der Gurt sitzt. Und wie. Zwar kann man die Bänder ein wenig auf die jeweilige Körpergröße einstellen, aber das ist schon sehr umständacht lich und mühselig. So hängen wir im wahrsten Sinn des Wortes ein wenig in den Seilen. Wenn man den historischen Gurt mit heutigen Sicherheitssystemen vergleicht, dann war das früher mehr ein Aufknüpfen an drei Punkten. Von wegen, dass einem der Gurt mechanisch angereicht wird. Hier wird der Mensch an den Gurt angereicht.
Und so sitzt man streng eingeschnürt auf einem ausgeleierten Sessel und denkt sich: Das kann ja eine schöne Schaukelei werden. Getäuscht. Der Buckel-Volvo hat Pfeffer unter der Motorhaube. 80 PS klingen zwar nicht viel, aber dafür wiegt unser Schwede nur 1080 Kilogramm. Überholen ist mit ein wenig Schwung locker drin und so blickt der ein oder andere Straßenverkehrsteilnehmer verdutzt zur Seite, wenn ihn eine alte Blechdose aus dem vorigen Jahrhundert passiert.
60 Jahre und kein bisschen unsicher. Der Gurt hält, was er verspricht. Auch bei einer Vollbremsung mitten auf der Landstraße, weil einer die Vorfahrt missachtet. Die Reifen quietschen, der Buckel krümmt sich, wir stehen. Mit leicht verschwitzen Händen und einem sich langsam wieder normalisierenden Puls denken wir daran, wie viel Überzeugungsarbeit es in den 70er Jahren gekostet hat, um die Menschen von der Anschnallpflicht zu überzeugen. „Klick. Erst gurten, dann starten“hieß damals die Kampagne. Heute noch genauso wichtig wie damals.