Mittelschwaebische Nachrichten

„Ich bin ja kein Frührentne­r mehr“

Interview Als Karikaturi­st ist Horst Haitzinger schon lange eine Legende und hat auch unsere Zeitung über Jahrzehnte geprägt. Jetzt hört der 80-Jährige auf. Er blickt auf über 15 000 politische Zeichnunge­n in 60 Jahren zurück und erklärt seinen Abschied

- Interview: Angelika Wohlfrom

Sollen Ihre Karikature­n beim Leser ein Schmunzeln hervorrufe­n?

Horst Haitzinger: Nicht unbedingt. Wie soll ein Lachen ausgelöst werden, wenn man erfährt, dass die Welt zugrunde geht wegen der Klimakatas­trophe? Aber auch wenn es um ein ernstes Thema geht, besteht der Reiz einer Karikatur darin, das Thema auf eine knappe grafische Formel zu bringen. Ich bemühe mich eigentlich immer, aus einer Karikatur ein kleines Bühnenstüc­k zu machen.

Gar nicht so einfach – in einem Bild. Haitzinger: Nein, es geht nur mit Beschriftu­ng, die man aber nicht überstrapa­zieren darf. Sonst wird’s auch witzlos.

Was ist zuerst da? Der Spruch oder das Bild?

Haitzinger: Erst mal muss ich wissen: Bin ich dafür oder bin ich dagegen? Dann wird danach abgeklopft, in welchem Milieu spielt das: Welche Gleichniss­e bieten sich an? Welche Metaphern sind brauchbar? So tastet man sich an ein Bild heran. Und nachdem ich schon mal richtig auf die Schnauze gefallen bin, weil ich das Bild fertig hatte und es hat kein Text dazu gepasst, fange ich überhaupt erst zu zeichnen an, wenn ich auch den Text im Kopf habe.

Sie haben mal gesagt, Sie hätten keine Einfälle ...

Haitzinger: Es fällt nichts ein, es muss herbeigeda­cht werden. Man muss die politische Situation analysiere­n, sein Verhältnis dazu definieren, man muss entschlack­en und auf den Punkt bringen, man muss es reduzieren. Das ist ja die Voraussetz­ung für funktionie­rende Satire, egal ob Karikatur oder Kabarett.

Das passiert alles, bevor Sie den Stift in die Hand nehmen.

Haitzinger: Ja. Manchmal verrennt 69.99* 79.99*

sich auch. Zum Beispiel hat mich neulich der Macron mit seiner hirntoten Nato dazu verführt, ständig was mit einem Gehirn machen zu wollen. Daran bin ich aber gescheiter­t. Da fängt man dann irgendwann wieder von vorn an. Es ist jeden Tag ein kleines Abenteuer. Denn manchmal ist die Nachrichte­nlage so, dass einem eine Idee geradezu in den Pinsel hineinläuf­t. Aber die Regel ist was anderes.

Ist man da eigentlich dankbar für solche Figuren wie Donald Trump? Haitzinger: Kurzfristi­g. Ich bin da sehr gespalten: Als Staatsbürg­er find ich ihn eine Katastroph­e, als Karikaturi­st ist er kurzfristi­g ein Geschenk. Aber irgendwann hängt er einem zum Hals raus. Ich kann mich nicht erinnern, dass es eine derartige Realsatire von Politiker schon einmal gegeben hätte. So etwas Ordinäres. Dass das von einer demokratis­chen Nation akzeptiert wird, ist rätselhaft und deprimiere­nd.

Haben sich Politiker bei Ihnen beschwert, wie sie karikiert wurden? Haitzinger: Das gab’s früher, aber nicht bei mir persönlich. Die CSU hat so zwei, drei Mal bei der Münchner TZ intervenie­rt. Aber das macht heute keiner mehr. Die haben begriffen, dass das Eigentore sind.

Sie sind seit unglaublic­hen 60 Jahren im Geschäft ...

Haitzinger: ...schreiben Sie ruhig: seit 1000 Jahren!

Sie haben alle Kanzler der Bundesrepu­blik erlebt und gezeichnet – von Adenauer angefangen. Wer war Ihnen am liebsten zum Zeichnen? Haitzinger: Das kann ich beim besten Willen nicht sagen. Ich glaube, der Schwierigs­te war Kurt Georg Kiesinger. Adenauer war ja ein Karikaturi­sten-Ideal, Kohl genauso. Die waren alle gut. 79.99* 79.99* 99.99* 89.-*

Man kommt wahrschein­lich auch nur in solche Positionen, wenn man einen Charakterk­opf hat, oder? Haitzinger: Nein, den Charakterk­opf erwirbt man sich im Lauf der Amtszeit. Die Typen werden ihren Karikature­n immer ähnlicher.

Hast sich auch Angela Merkel entwickelt im Laufe der Jahre? Haitzinger: Ja, absolut! Wenn ich meine Karikature­n sehe, wo Kohl noch Kanzler ist und sie Ministerin – da hat sie noch völlig anders ausgeschau­t. Das war ja auch eine grausige Frisur!

Sie müssen mit den Frisuren mitgehen. Haitzinger: Natürlich. Darum lieben wir Karikaturi­sten auch keine Frauman 59.99* 59.99* en, die jede Woche mit einer anderen Frisur daherkomme­n. So wie die von der Leyen, die hat ein paar Mal die Frisur gewechselt. Hübsche Frauen sind überhaupt der Albtraum eines Karikaturi­sten.

Weil eine Karikatur auch immer so ein bisschen das Hässliche hervorholt. Haitzinger: Sie ist nicht schmeichel­haft. Dass man eine Physiognom­ie verhässlic­ht, ist mehr oder weniger die Folge von Vereinfach­ung und Übertreibu­ng. Das Ziel ist es nicht. Ich kann eine Person durchaus auch sympathisc­h darstellen.

Vieles hat sich in den 60 Jahren, in denen sie das politische Geschehen verfolgen, verändert. Gibt’s auch Dinge, die 64. 69. immer gleich bleiben?

Haitzinger: Durchaus. Meine ganze Berufslauf­bahn bestand das politische Geschehen doch in erster Linie aus Wahlkämpfe­n, Korruption­sereigniss­en, Kriegen, Friedensve­rhandlunge­n, Parteienge­zänk mit immer wechselnde­n Personen. Aber vom Prinzip her immer vergleichb­ar. Die einzige sensatione­lle Unterbrech­ung war die Wiedervere­inigung und der Zusammenbr­uch des Ostblocks. Das war wirklich eine unglaublic­he Zeit, wo wir uns ja alle der Illusion hingegeben haben, dass sich die Welt nun zum Positiven wandelt. Das Apartheid-Regime in Südafrika brach zusammen – überall bewegte sich etwas. Aber das jetzige Ergebnis ist wieder trostlos. 84.99* 109.95*

Die Frage nach Merkels Nachfolge braucht Sie nicht mehr zu tangieren. Aber wer wäre dem Karikaturi­sten Haitzinger lieber: Annegret KrampKarre­nbauer oder Friedrich Merz? Haitzinger: Rein vom Zeichneris­chen her mit großem Abstand Friedrich Merz, allein von der politische­n Situation her auf jeden Fall die AKK. Ich halte sie für eine kluge Frau, auch wenn sie sich in den letzten Monaten eine Serie von Schnitzern erlaubt hat. Aber, mein Gott! Jeder von uns redet mal dummes Zeug. Ist das jetzt Altersmild­e? Ich weiß es nicht. Ich bin ja mittlerwei­le dankbar für jeden, der diesen Job macht. Ich finde das grauenhaft, was diese Leute für Anfeindung­en ausgesetzt sind und was die auch für ein Tagespensu­m bewältigen. Dass da mal einer danebentap­pt – verziehen!

Der Karikaturi­st kann da ja nicht ganz so leicht zu verzeihen ... Haitzinger: Wissen Sie was? Das ist einer der Gründe, warum ich über mein Ende als Karikaturi­st nicht traurig bin. Diesen moralisier­enden Aspekt, den mein Beruf hat, den brauch’ ich nicht mehr.

Sie haben jetzt für dieses Wochenende Ihre letzte Karikatur für die Tageszeitu­ngen gezeichnet. Sie werden vielen Leserinnen und Lesern fehlen. Haben Sie sich Ihren Entschluss, aufzuhören, gut überlegt?

Haitzinger: Ich bin mit 80 ja kein Frührentne­r mehr. Und ja, ich habe mir das sehr gut überlegt. Ich habe mitgekrieg­t, wie in anderen Fällen bei altgeworde­nen Zeichnern, hinter deren Rücken getuschelt worden ist. „Wie bringen wir’s ihm bei, dass er besser aufhört?“So weit möchte ich es nicht kommen lassen. Ich merke selber, dass Ermüdungse­rscheinung­en vorhanden sind. Ich möchte aufhören, solange ich selber noch eine Qualität liefere, zu der ich stehen kann. 45.95* 49.99*

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 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Karikaturi­st Horst Haitzinger in seinem Münchner Arbeitszim­mer: „Manchmal verrennt man sich auch.“
Foto: Ulrich Wagner Karikaturi­st Horst Haitzinger in seinem Münchner Arbeitszim­mer: „Manchmal verrennt man sich auch.“

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