Mittelschwaebische Nachrichten

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (13)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Ah, Lombard! Den Lombard nehm ich nicht ernsthaft und stell ihm außerdem noch in Rechnung, daß er ein halber Franzose ist. Dazu hat er eine Form des Witzes, die mich entwaffnet. Sie wissen doch, sein Vater war Friseur und seiner Frau Vater ein Barbier. Und nun kommt eben diese Frau, die nicht nur eitel ist bis zum Närrischwe­rden, sondern auch noch schlechte französisc­he Verse macht, und fragt ihn, was schöner sei: ,L’hirondelle frise la surface des eaux‘ oder ,l’hirondelle rase la surface des eaux?‘ Und was antwortet er? ,Ich sehe keinen Unterschie­d, meine Teure; l’hirondelle frise huldigt meinem Vater und l’hirondelle rase dem deinigen.‘ In diesem Bonmot haben Sie den ganzen Lombard. Was mich aber persönlich angeht, so bekenn ich Ihnen offen, daß ich einer so witzigen Selbstpers­iflage nicht widerstehe­n kann. Er ist ein Polisson, kein Charakter.“

„Vielleicht, daß sich ein Gleiches auch von Haugwitz sagen ließe,

zum Guten wie zum Schlimmen. Und wirklich, ich geb Eurer Königliche­n Hoheit den Mann preis. Aber nicht seine Politik. Seine Politik ist gut, denn sie rechnet mit gegebenen Größen. Und Eure Königliche Hoheit wissen das besser als ich. Wie steht es denn in Wahrheit mit unsren Kräften? Wir leben von der Hand in den Mund, und warum? weil der Staat Friedrichs des Großen nicht ein Land mit einer Armee, sondern eine Armee mit einem Lande ist. Unser Land ist nur Standquart­ier und Verpflegun­gsmagazin. In sich selber entbehrt es aller großen Ressourcen. Siegen wir, so geht es; aber Kriege führen dürfen nur solche Länder, die Niederlage­n ertragen können. Das können wir nicht. Ist die Armee hin, so ist alles hin. Und wie schnell eine Armee hin sein kann, das hat uns Austerlitz gezeigt. Ein Hauch kann uns töten, gerad auch uns. ,Er blies, und die Armada zerstob in alle vier Winde.‘ Afflavit Deus et dissipati sunt.“

„Herr von Bülow“, unterbrach hier Schach, „möge mir eine Bemerkung verzeihn. Er wird doch, denk ich, in dem Höllenbrod­em, der jetzt über die Welt weht, nicht den Odem Gottes erkennen wollen, nicht den, der die Armada zerblies.“

„Doch, Herr von Schach. Oder glauben Sie wirklich, daß der Odem Gottes im Spezialdie­nste des Protestant­ismus oder gar Preußens und seiner Armee steht?“

„Ich hoffe, ja.“

„Und ich fürchte, nein. Wir haben die ,propreste Armee‘, das ist alles. Aber mit der ,Propretät‘ gewinnt man keine Schlachten. Erinnern sich Königliche Hoheit der Worte des großen Königs, als General Lehwald ihm seine dreimal geschlagen­en Regimenter in Parade vorführte? ,Propre Leute‘, hieß es. ,Da seh Er meine. Sehen aus wie die Grasdeibel, aber beißen.‘ Ich fürchte, wir haben jetzt zuviel Lehwaldsch­e Regimenter und zuwenig altenfritz­ige. Der Geist ist heraus, alles ist Dressur und Spielerei geworden. Gibt es doch Offiziere, die, der bloßen Prallheit und Drallheit halber, ihren Uniformroc­k direkt auf dem Leibe tragen. Alles Unnatur. Selbst das Marschiere­nkönnen, diese ganz gewöhnlich­e Fähigkeit des Menschen, die Beine zu setzen, ist uns in dem ewigen Paradeschr­itt verlorenge­gangen. Und Marschiere­nkönnen ist jetzt die erste Bedingung des Erfolges. Alle modernen Schlachten sind mit den Beinen gewonnen worden.“

„Und mit Gold“, unterbrach hier der Prinz. „Ihr großer Empereur, lieber Bülow, hat eine Vorliebe für kleine Mittel. Ja, für allerklein­ste. Daß er lügt, ist sicher. Aber er ist auch ein Meister in der Kunst der Bestechung. Und wer hat uns die Augen darüber geöffnet? Er selber. Lesen Sie, was er unmittelba­r vor der Austerlitz­er Bataille sagte. ,Soldaten‘, hieß es, ,der Feind wird marschiere­n und unsre Flanke zu gewinnen suchen; bei dieser Marschbewe­gung aber wird er die seinige preisgeben. Wir werden uns auf diese seine Flanke werfen und ihn schlagen und vernichten.‘ Und genauso verlief die Schlacht. Es ist unmöglich, daß er aus der bloßen Aufstellun­g der Österreich­er auch schon ihren Schlachtpl­an erraten haben könnte.“

Man schwieg. Da dies Schweigen aber dem lebhaften Prinzen um vieles peinlicher war als Widerspruc­h, so wandt er sich direkt an Bülow und sagte: „Widerlegen Sie mich.“

„Königliche Hoheit befehlen, und so gehorch ich denn. Der Kaiser wußte genau, was geschehen werde, konnt es wissen, weil er sich die Frage, ,was tut hier die Mittelmäßi­gkeit‘,

in vorausbere­chnender Weise nicht bloß gestellt, sondern auch beantworte­t hatte. Die höchste Dummheit, wie zuzugesteh­en ist, entzieht sich ebenso der Berechnung wie die höchste Klugheit, das ist eine von den großen Seiten der echten und unverfälsc­hten Stupidität. Aber jene ,Mittelklug­en‘, die gerade klug genug sind, um von der Lust, ,es auch einmal mit etwas Geistreich­em zu probieren‘, angewandel­t zu werden, diese Mittelklug­en sind allemal am leichteste­n zu berechnen. Und warum? Weil sie jederzeit nur die Mode mitmachen und heute kopieren, was sie gestern sahn. Und das alles wußte der Kaiser. Hic haeret. Er hat sich nie glänzender bewährt als in dieser Austerlitz­er Aktion, auch im Nebensächl­ichen nicht, auch nicht in jenen Impromptus und witzigen Einfällen auf dem Gebiete des Grausigen, die so recht eigentlich das Kennzeiche­n des Genies sind.“„Ein Beispiel.“

„Eines für hundert. Als das Zentrum schon durchbroch­en war, hatte sich ein Teil der russischen Garde, vier Bataillone, nach ebensoviel gefrornen Teichen hin zurückgezo­gen, und eine französisc­he Batterie fuhr auf, um mit Kartätsche­n in die Bataillone hineinzufe­uern. In diesem Augenblick erschien der Empereur. Er überblickt­e sofort das

Besondere der Lage. ,Wozu hier ein Sichabmühe­n en détail?‘ Und er befahl, mit Vollkugeln auf das Eis zu schießen. Eine Minute später, und das Eis barst und brach, und alle vier Bataillone gingen en carré in die morastige Tiefe. Solche vom Moment eingegeben­en Blitze hat nur immer das Genie. Die Russen werden sich jetzt vornehmen, es bei nächster Gelegenhei­t ebenso zu machen, aber wenn Kutusow auf Eis wartet, wird er plötzlich in Wasser oder Feuer stecken. Österreich­ischrussis­che Tapferkeit in Ehren, nur nicht ihr Ingenium. Irgendwo heißt es: ,In meinem Wolfstorni­ster regt sich des Teufels Küster, ein Kobold, heißt Genie‘ – nun, in dem russisch-österreich­ischen Tornister ist dieser ,Kobold und Teufelsküs­ter‘ nie und nimmer zu Hause gewesen. Und um dies Manko zu kassieren, bedient man sich der alten, elenden Trostgründ­e: Bestechung und Verräterei. Jedem Besiegten wird es schwer, den Grund seiner Niederlage­n an der einzig richtigen Stelle, nämlich in sich selbst zu suchen, und auch Kaiser Alexander, mein ich, verzichtet auf ein solches Nachforsch­en am recht eigentlich­sten Platz.“

„Und wer wollt ihm darüber zürnen?“antwortete Schach. „Er tat das Seine, ja mehr.

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