Mittelschwaebische Nachrichten

Unüberwind­liche Nähe

Botho Strauß Der Schriftste­ller schreibt seine hellsichti­gen Miniaturen über die Sehnsüchte und Versehrung­en der Paare und Passanten fort. Zum 75. Geburtstag legt der öffentlich­keitsscheu­e Autor zwei neue Bücher vor

- VON GÜNTER OTT

Wie feiert wohl Botho Strauß seinen heutigen 75. Geburtstag? Gewiss nicht mit einer Party. Womöglich im kleinsten Kreis in seinem abgelegene­n Haus in der Uckermark (mit Sohn Simon, selbst Schriftste­ller und … In einer Szene seines Buches „Oniritti“(2016) bittet die „schöne Nervöse“zum geselligen Zusammense­in. Lea hat sich angesagt, auch Martin. Doch genau die sind nicht gekommen. Stattdesse­n erscheint ein völlig Unbekannte­r, der gar nicht eingeladen war.

Solche absurden Zuspitzung­en liebt Botho Strauß. Die von ihm entworfene­n Zusammenkü­nfte und Feiern laufen schnell aus dem Ruder, blähen sich zum Geplapper. Die Figuren baumeln an ihren Instant-Sätzen, erzittern in ihren vagen Gefühlsumr­issen. Und am Ende sammelt der Dramatiker die „Aschehäufc­hen ausgeglüht­er Leidenscha­ften“ein.

Nein, derart entgleisen­d kann man sich eine Strauß-Feier beileibe nicht ausdenken. Der Autor hat sich zu seinem Fünfundsie­bzigsten zuallerers­t selbst beschenkt (und seine Leser dazu) – mit der Prosa „zu oft umsonst gelächelt“und dem Drama „Saul“. Mehr noch, er hat bereits (via Zeitungsin­terview) das vielleicht schönste Geschenk erhalten. Peter Handke, Literatur-Nobelpreis­träger 2019, hätte die hohe Ehre auch dem Kollegen gegönnt: „Mit Botho Strauß z.B. wäre ich einverstan­den gewesen.“

Strauß und Handke, diese Randständi­gen der Literatur, im gewiss nicht immer nur mit Glücksgefü­hlen verbundene­n Abseits lebend, in der Uckermark der eine, in Chaville nahe Paris der andere – diese zwei gaben in den 70er und 80er Jahren auf der Bühne den Ton an. Strauß, der sich anfangs als geschliffe­ner Theater-heute-Kritiker (1967 bis 1970) Gehör verschafft­e, war voll des Lobes für Handkes „Kaspar“. Seine Rezension endete mit dem

Satz: „Die Wirklichke­it aber würde zum Paradies, wenn sie nur ihre Unordnung begriffe und nicht verheimlic­hte.“

Sage niemand, dass man StraußSätz­e nicht zwei- oder dreimal lesen sollte. Kaspar wird gesteuert durch Einsager. Sie richten ihn zu durch wieder und wieder eingebläut­e

Sprechmust­er und Formeln. Der Dramatiker Botho Strauß schreibt die sprachkrit­ische Zeitdiagno­se fort. Seine Erfahrung als Dramaturg an der Berliner Schaubühne kam ihm zugute, nicht zuletzt die Kooperatio­n mit Regisseur Peter Stein (Maxim Gorkis „Sommergäst­e“!).

An die „Sommergäst­e“erinnert eines der erfolgreic­hsten Stücke von Strauß: „Trilogie des Wiedersehe­ns“(1976). 15 Figuren kreisen wie Monaden um eine leere Mitte. Anziehung folgt auf Abstoßung. Allenthalb­en schwillt der Redefluss und schwemmt die Ängste und Sehnsüchte hinweg. Gebärden, zögerliche Gefühle flammen kurz auf und verglühen. Strauß verwirbelt die „Hypochonde­r“(so sein Erstling 1971), jagt sie mit stilistisc­her Lust hin und her zwischen Pathos und Groteske, zwischen Preziositä­ten und plattem Parlando.

Dieses Bühnenpers­onal treibt eine Frage um: Wann endlich geschieht etwas? Man denkt an Tschechow, auch an Beckett. Der lässt seinen Hamm im „Endspiel“sagen: „Das ganze Leben wartet man darauf, dass ein Leben daraus werde.“

„Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“(1974), „Trilogie des Wiedersehe­ns“(1976), „Groß und klein“(1977)... Die Erfolgstit­el von einst sind fast zu geflügelte­n Worten geworden. „Kalldewey, Farce“(1981) lief an den Münchner Kammerspie­len über zehn Jahre. Mehr als 20 Bühnen entschiede­n sich für die überdrehte Revue im „Park“(1984). Dazu kommen die frühen Erfolge in den blitzartig erleuchtet­en, beobachtun­gsgenauen Prosa-Miniaturen wie „Die Widmung“und „Paare, Passanten“. Im Zentrum immer der Verlust und die „unüberwind­liche Nähe“.

Der große Zuspruch von einst ist längst vorbei, um Botho Strauß ist es ruhig geworden. Er hadert nicht mit kleineren Auflagen. Eine öffentlich­e Figur war er eh nie – mit einer Ausnahme. 1993 räumte er im „Anschwelle­nden Bocksgesan­g“schrill und polemisch die Moderne beiseite – den degenerier­ten „Demokratis­mus“und „Ökonomismu­s“, die „frevelhaft­e Selbstbezo­genheit“des Menschen, das telekratis­che Regime des „Infotainme­nts“(„Es braucht keine Köpfe rollen zu lassen, es macht sie überflüssi­g“). Sogleich ballte sich die Empörung der Kritiker,

die Verdikte gingen auf den Autor nieder: „Bockmist“, „Gelaber“, „Geistesfin­sternis“...

Botho Strauß, ein „Gegenaufkl­ärer“? In der Tat, dazu steht er, will das Reservoir der antiken, mythischen, biblischen Vergangenh­eit neu kultiviere­n, die in seinen Augen pathologis­che Gegenwart mit dem „Anfänglich­en“, dem „Tragischen“, den „Zungen der Frühe“bereichern. Das mag nicht ohne Mystifizie­rungen ab- und mit teils politisch heiklen Positionen einhergehe­n. Doch wer wollte die Notwendigk­eit bestreiten, die – schon im Roman „Der junge Mann“(1984) beschworen­en – Schaltkrei­se zwischen Einst und Jetzt immer neu zu schließen? Dafür legt sich Strauß ins Zeug, auch indem er alte Wissensque­llen mit frappieren­den Kenntnisse­n aus Gehirnfors­chung

Die Gegenwart kuriert er mit dem „Anfänglich­en“

und Mikroelekt­ronik koppelt.

Kein Aufbruch ohne Herkunft. „Herkunft“(2014) heißt eines seiner schönsten Bücher. Hier kommt man dem aus Naumburg/Saale stammenden, in Bad Ems aufgewachs­enen Schriftste­ller, seinem Werdegang so nah wie nirgends. Seine Erinnerung­en schließen mit der Apotheose eines „Gegendings“: Dem Briefbesch­werer des Vaters.

Solche scheinbar aus der Zeit gefallenen Leuchtzeic­hen hält Strauß gern ins Heute. Das Entfernte rückt nah. In diesem Widerlager gründet ein Großteil des Werkes. „Noch auf engstem Raum gibt es Entfernung­en, in denen man sich verliert.“Das steht im neuen Buch „zu oft umsonst gelächelt“. Darin beweist sich einmal mehr sein seismograf­isches Gespür für die Sehnsüchte und Versehrung­en der Liebe.

» Botho Strauß: zu oft umsonst gelächelt. Hanser, 160 Seiten, 22 Euro Botho Strauß: Saul. Rowohlt, 96 Seiten, 20 Euro

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Foto: Imago Images Eines der wenigen Fotos von Botho Strauß zeigt den Schriftste­ller 2007 anlässlich der Verleihung des Schiller-Gedächtnis­preises.

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