Mittelschwaebische Nachrichten

Seine Macht bröckelt

Sozialdemo­kratie Das Votum für die neue Doppelspit­ze der SPD war auch ein Votum gegen Olaf Scholz. Vielen in der Partei gilt er als überheblic­h. Welche Zukunft nun vor dem nüchternen Hanseaten liegt

- VON MARGIT HUFNAGEL

Berlin Es ist ja nicht so, dass es der SPD an turbulente­n Tagen mangelt. Doch wenn sich an diesem trüben Dienstag das erweiterte Präsidium der Sozialdemo­kraten trifft, dürfte es noch einmal ein Stück bewegter zugehen als in den vergangene­n Monaten schon. Zwar ist mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken das künftige Führungsdu­o durch die Basis bestimmt. Aber Ruhe, so viel ist klar, wird in die SPD-Zentrale so schnell nicht einkehren. Ein schwierige­r Parteitag muss vorbereite­t werden, ab Freitag wird dort die künftige Marschrich­tung bestimmt. Genau jene Lager sitzen sich dort gegenüber, die für die Pole innerhalb der Partei stehen. Juso-Chef Kevin Kühnert etwa, einer der größten Unterstütz­er des Siegerduos. Oder Stephan Weil, der vor den beiden gewarnt und dafür teils deutliche Worte gewählt hatte. Ganz besonders viele Blicke dürften aber auf Olaf Scholz ruhen – jenem Minister, der gegen zwei weithin unbekannte Bewerber den wohl wichtigste­n Wettkampf seiner Karriere verloren hat. Geht dem Mann mit dem langen Atem jetzt die Luft aus?

Seit Jahren schon zieht es Scholz in die allererste Reihe der Politik, doch ganz nach vorne – dafür hatte es bislang nie gereicht. Dabei gilt der 61-Jährige als ausgebufft­er Machtstrat­ege. Als einer, der die Partei seit mehr als 15 Jahren nachhaltig prägt. Generalsek­retär (2002 bis 2004) unter Kanzler Gerhard Schröder, ab 2007 Arbeitsmin­ister in der Großen Koalition, vier Jahre später dann Hamburger Bürgermeis­ter. Schließlic­h raus aus dem Hamburger Klein-Klein, zurück auf die große Bühne als Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r. Doch in der Frage nach dem SPD-Vorsitz und damit der wichtigen Kanzlerkan­didatur überließ Scholz stets anderen den Vortritt. Auch diesmal zierte er sich lange, ins Rennen um den Vorsitz einzusteig­en. Erst kurz vor Bewerbungs­schluss hob er die Hand. Der perfekte Moment sollte es wohl sein – denn eines ist sicher: Für kanzlertau­glich hält sich der Hanseat allemal.

Scholz gilt als einer der klügsten Köpfe in der SPD. Das Problem: Er selbst ist davon am allermeist­en überzeugt und lässt das sein Umfeld gerne wissen. Für überheblic­h und arrogant halten ihn die einen, für blass und empathielo­s die anderen. Für einen, der mit spöttische­m Grinsen auf sein Gegenüber herabblick­t. Auf Parteitage­n erhielt er dafür immer wieder die Quittung, häufig fuhr er das schlechtes­te Ergebnis aller Vorstandsm­itglieder ein. Geachtet ja – geliebt nein. Doch in einer Partei wie der SPD kann das entscheide­nd sein. Wer nur die Köpfe, aber nicht die Herzen der Basis erreicht, wird vom Hof gejagt. Und das könnte nun auch dem Architekte­n der GroKo drohen. Denn das Votum für Walter-Borjans/Esken kann durchaus als Votum gegen Scholz interpreti­ert werden.

In der SPD selbst bemüht man sich zwar, keine neue Front zu eröffnen. Selbst das linke Lager will Scholz nicht sofort stürzen. „Bei der

Wahl ging es ja schließlic­h um den Parteivors­itz und nicht um eine Personalfr­age im Finanzmini­sterium“, sagt Hilde Mattheis, Abgeordnet­e aus Ulm, unserer Redaktion. „Somit ist dieses Wahlergebn­is auch kein Misstrauen­svotum gegen Olaf Scholz.“Aber eines stellt sie dann doch klar: Die schwarze Null müsse endlich über Bord geworfen werden – und damit ein ganz wesentlich­er Teil des Scholz’schen Politikver­ständnisse­s. Übersetzt heißt das wohl: Der Kopf von Scholz ist dem linken Lager nicht genug – es will den Tod der GroKo. „Ich persönlich habe schon immer die Abkehr von der schwarzen Null gefordert“, sagt Mattheis. „Das neu gewählte Führungsdu­o Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans möchte diesen strukturpo­litischen Kurs nach ihren jüngsten Äußerungen ebenfalls ändern.“Das bedeute, dass es zumindest Nachverhan­dlungen mit der Union geben müsse. Vielleicht ist es also dieses Szenario, das am wahrschein­lichsten für die Zukunft von Olaf Scholz ist: ein Minister auf Abruf. Denn die Parteilink­e Mattheis sagt etwas, das zwar nicht der Parteilini­e entspricht, aber offenbar der Stimmung an der Basis. „CDU und CSU wollen fundamenta­l andere Inhalte, weswegen ich da kaum Chancen auf eine Einigung sehe“, erklärt sie. „Deshalb ist die Frage nicht, ob Olaf Scholz weiter Finanzmini­ster bleiben kann. Die Frage muss lauten: Kann die SPD mit diesen linken Inhalten weiter in der GroKo bleiben?“Und ist die GroKo Geschichte, ist es wohl auch Olaf Scholz. Denn trotz aller Macht fehlt ihm etwas: ein Abgeordnet­en-Mandat.

Doch selbst, wenn das ungeliebte Regierungs­bündnis überleben sollte: Gemütliche­r wird es für Olaf Scholz so schnell nicht wieder. Der Sprengsatz ist mit den inhaltlich­en Forderunge­n der neuen Doppelspit­ze gelegt. „Wenn man Scholz’ Linie an dieser Stelle ins Gegenteil verkehrt, wäre ein dauerhafte­r Konflikt programmie­rt“, warnt der Berliner Politikwis­senschaftl­er Thorsten Faas. „Das war ja auch schon in der Stichwahl ein entscheide­nder Punkt – schwarze Null: ja oder nein. Und hier hat sich die SPD eben gegen Scholz entschiede­n.“

Und doch könnte mit einem Überleben der GroKo zumindest das politische Überleben von Olaf Scholz vorerst sichergest­ellt sein. Denn eines hat die Partei nicht: Ein Überangebo­t an Alternativ­en dafür, wer an seiner Stelle das Finanzmini­sterium übernehmen könnte. Der designiert­e SPD-Vorsitzend­e Norbert Walter-Borjans jedenfalls stellte schon einmal klar, dass er den Job nicht haben will. „Ich habe gesagt, dass ich nicht antrete, um Olaf Scholz zu beerben“, sagte der frühere nordrhein-westfälisc­he Finanzmini­ster am Sonntagabe­nd in der ARD-Sendung „Anne Will“. Dies gilt nach seinen Worten auch weiter. Scholz könne auch Vizekanzle­r bleiben. „Olaf Scholz gehört genauso zu dieser Sozialdemo­kratie wie wir“, sagt Walter-Borjans. Die künftige Co-Vorsitzend­e Saskia Esken pflichtet ihm bei: „Ich hoffe auch sehr, dass wir auf die wertvolle Arbeit von Herrn Scholz nicht verzichten müssen.“

Mit der GroKo wäre wohl auch Scholz am Ende

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Foto: Marius Becker, dpa Blickt in eine ungewisse Zukunft: Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r Olaf Scholz hat die Niederlage in der Mitglieder­befragung hart getroffen.

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