Mittelschwaebische Nachrichten
Grünes Licht für Kurz?
Österreich Still und leise versucht der betont konservative Ex-Kanzler eine politische Revolution. Statt der stramm rechten FPÖ sollen ihn die Grünen zum Kanzler machen. Noch gibt es Hürden
Wien Immerhin die Wahlverlierer SPÖ und FPÖ streiten bis zur Selbstzerstörung und füllen Österreichs Politik mit prallem Leben. Denn nicht nur Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein führt momentan ihr Expertenkabinett in einer für österreichische Politikverhältnisse ungewohnten Geräuschlosigkeit. Auch die Wahlgewinner, die in Türkis umgefärbte konservative ÖVP von Parteichef Sebastian Kurz und die erstarkten Grünen frönen geradezu seit Wochen dem selbst auferlegten Stillschweigen bei den Verhandlungen über eine Koalition.
So glich es einem Lebenszeichen, als Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler am Montag gemeinsam erklärten, dass nun die türkisgrünen Koalitionsverhandlungen in ihre heiße Phase eintreten können: „Es gibt sehr viele Themenfelder, wo die Positionen, wie zu erwarten, weit auseinandergehen“, sagte Kurz betont sachlich. „In den nächsten Wochen werden wir feststellen, ob es möglich ist oder eben nicht“. Grünen-Chef Kogler fügte hinzu: „In einigen Bereichen müssen noch schwere Brocken weggeräumt werden.“Deshalb werde man sich ausreichend Zeit nehmen. „Aber natürlich verhandeln wir auf Abschluss“, betonte der Grüne. „Das ist ehrlich.“
Bis zum Wochenende haben rund 100 Verhandler in 33 Fachgruppen Gemeinsamkeiten erarbeitet. In ihren Ergebnispapieren haben sie Detailkonflikte gelb markiert und unüberbrückbar erscheinende Unterschiede rot angestrichen. Die „Chefs“müssen jetzt zu einer Einigung kommen. „Wir haben den Terminkalender komplett ausgeräumt“, heißt es in ihrem Umfeld.
Kogler und sein Team müssen hart verhandeln; denn sie brauchen die Zustimmung des zwar pragmatischer als früher denkenden, aber dennoch eher aufmüpfigen grünen Bundeskongresses. Bisher lassen ganz wenige Mitglieder der Verhandlungsgruppen erkennen, wo die Knackpunkte liegen. Einzig das wenig Minenfeld verdächtige Kapitel Sport, Kunst und Kultur scheint bereits abgeschlossen zu sein.
Klar ist, dass der Frage der Korruptionsbekämpfung, Parteienfinanzierung und Transparenz in Zeiten von Ibiza- und Casinoaffäre besondere Bedeutung zukommt. Passend dazu beschloss die Hauptversammlung der Casino AG, dass der von der FPÖ durchgedrückte Finanzvorstand Peter Sidlo gehen muss, um dem Image des Unternehmens nicht weiter zu schaden.
Rudi Anschober, grüner Verhandler und Ex-Mitglied der Landesregierung Oberösterreich, plädiert dafür, sich viel Zeit zu lassen. Es herrsche zwar eine „gute Gesprächskultur“, aber man sei bei den
Themen Europa, Integration, Sicherheit und Migration inhaltlich „beachtlich weit auseinander“.
Das ist keine Überraschung. Das Thema Migration hat die politische Karriere von Sebastian Kurz mehr geprägt als alles andere. Damit hat er 2017 seine erste Wahl gewonnen. Die Koalition von ÖVP und Freiheitlichen war wesentlich auf alle seine Facetten konzentriert. Neben der Schließung der Grenzen gab es die Senkung der Sozialhilfe für kinderreiche Familien und für Menschen mit mangelnden Deutschkenntnissen oder ein Kopftuchverbot. Die Grünen können damit nicht leben. Hier wird um Kompromisse gerungen werden müssen. Ebenso in der Klimapolitik und einer ökologischen Steuerreform werden die Parteichefs Kurz und Kogler persönlich eine Lösung finden müssen.
Dabei sind beide zum Erfolg verdammt, wie es in Wien heißt. Denn es gibt kaum Alternativen: Für die ÖVP fallen sowohl die FPÖ als auch die Sozialdemokraten aus, weil sie völlig zerstritten sind. SPÖ-Chefin Pamela Rendi Wagner wird intern heftig kritisiert. Sie muss nach den herben Verlusten ihrer Partei aus finanziellen Gründen 27 von 100 Mitarbeitern der Parteizentrale entlassen. Nachdem sie ihnen dies wenig mitfühlend per E-Mail mitteilte, löste das neue Empörung gegen die Arbeiterpartei aus – inzwischen liegt die SPÖ in Umfragen bei 15 Prozent.
Die FPÖ streitet über den Ausschluss ihres bei ihren Wählern nach wie vor beliebten Ex-Chefs HeinzChristian Strache und kommt für die ÖVP als Koalitionspartner kaum infrage. Und ein drittes Mal Neuwahlen wird Kurz nicht vom Zaun brechen wollen. Insofern wird er sich für den Weg entscheiden, den immerhin 66 Prozent der Bevölkerung für richtig halten – eine „türkis-grüne“Koalition. Sie würde die bisherigen politischen Verhältnisse in Österreich auf den Kopf stellen.
Die Koalitionsverhandlungen treten in die heiße Phase