Mittelschwaebische Nachrichten

Zeit des Strategen

FC Bayern Hansi Flick präsentier­t sich unprätenti­ös und lässt fortschrit­tlichen Fußball spielen. Das finden die Bosse ganz wunderbar. Für eine Weiterbesc­häftigung braucht es aber noch mehr

- VON TILMANN MEHL

München In den allermeist­en Fällen basiert Erfolg nicht auf kosmischen Konstellat­ionen, Zauberträn­ken oder dem Bauchgefüh­l der Führungskr­äfte. Generell ist das Bauchgefüh­l ja viel häufiger auf ein abgelaufen­es Mindesthal­tbarkeitsd­atum denn auf eine schwierige Entscheidu­ngsfindung zurückzufü­hren.

Häufig existiert hinter dem Erfolg kein besonderes Geheimnis. Außer analytisch­e und empathisch­e Fähigkeite­n sowie konsequent­es Arbeiten gelten als Mysterien. Hansi Flick beispielsw­eise hatte ein paar Monate die Möglichkei­t, den Kader des FC Bayern aus der Position eines interessie­rten Beobachter­s anzusehen, und kam dann zu grundsätzl­ich anderen Einschätzu­ngen als sein im November freigestel­lter Boss Niko Kovac. Über ein Jahr hinweg vertrat Kovac die Meinung, dass seine Mannschaft grundsätzl­ich mit eher allgemein gehaltenen Anforderun­gen gut zu führen sei. Immerhin holte er damit Pokal und Meistersch­aft. In der laufenden Saison aber reagierte das Team eher muffelig auf die eindimensi­onale Ausrichtun­g: hinten sicher stehen, vorne trifft Lewandowsk­i. Dazu dann noch der unglücklic­he Vergleich mit den dauerpress­enden Liverpoole­rn: „Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn sie nur 100 schaffen.“

Kovac musste gehen und Flick gab seinen Spielern freie Fahrt auf der Autobahn. Überrasche­nderweise erdrückten sie in den ersten Spielen mit ihrer Dominanz und einer geschickte­n Raumauftei­lung ihre Gegner. Das war so in den vergangene­n Monaten selten zu sehen.

Selbst die 1:2-Niederlage gegen Leverkusen am vergangene­n Samstag konnte Vorstandsb­oss KarlHeinz Rummenigge nicht davon abhalten, Flick nach fünf Spielen als hauptveran­twortliche­r Trainer mit einer der prägenden Gestalten des Weltfußbal­ls zu vergleiche­n: „Wir hatten 2013, als Pep Guardiola Trainer war, ein Spiel in Leverkusen. Das Spiel endete 1:1 und wir hätten eigentlich 7:1 gewinnen müssen. Die Spieler saßen angesäuert in der Kabine. Dann kam Pep als Letzter rein und sagte: ,Herzlichen Glückwunsc­h.‘ Alle haben sich verdutzt angeschaut. Und dann sagte er: ,Das war das beste Spiel, seit ich hier Trainer bin. Die nächsten zehn Spiele gewinnen wir alle.‘ Und wir haben alles weggeputzt, weil die Mannschaft einfach diesen Glauben hatte und diese Spielquali­tät.“Das verlorene Spiel nun habe ihn „daran erinnert, als ich nach Hause gefahren bin. Die verlorenen drei Punkte tun weh, aber wir versuchen jetzt, eine Serie hinzulegen – als Zeichen. Ich bin überzeugt, dass Hansi das gut macht.“Hansi macht das auch wirklich gut. Und in der Tat möchte Hansi auch lieber Hansi genannt werden statt Hans-Dieter, wie es in seinem Pass steht. Es ist die einzige Extravagan­z, die er sich erlaubt.

In dieser Hinsicht ähnelt er dann doch wieder Kovac, der grundsätzl­ich auch bescheiden aufgetrete­n ist. Trotzdem bringt Rummenigge schon jetzt viel mehr Begeisteru­ng für den neuen Mann an der Linie auf, als er es für Kovac jemals fähig war, auch nur vorzugeben. „Man muss klar sagen: Wir spielen heute einen viel besseren Fußball als noch vor Wochen. Das ist ein großer Verdienst von Hansi Flick.“

Die Idee der Bayern-Oberen bei der Verpflicht­ung Flicks als CoTrainer zum Saisonanfa­ng war, dass Flick mit seiner taktischen Expertise Kovac das Arbeiten erleichter­n sollte. Offensicht­lich drang er nicht in Gänze bis zu seinem Chef durch. Die bisherigen Leistungen haben dazu geführt, dass die Münchner sich mittlerwei­le vorstellen können, mit Flick ins nächste Frühjahr zu gehen. Wenn die anfänglich­e Zuneigung zwischen Trainer und Mannschaft sowie Vorstand und Trainer dann immer noch besteht, ist sogar eine weitere Zusammenar­beit möglich. Fraglich ist nur, ob Flick das auch tatsächlic­h möchte.

Er agierte nicht umsonst bei seinen vorherigen Positionen als CoTrainer

Unter Flick spielen die Bayern attraktive­r

Die große Bühne mied er bislang

der Nationalma­nnschaft, Sportdirek­tor des DFB und Geschäftsf­ührer der TSG 1899 Hoffenheim im Schlagscha­tten derjenigen, die das Schweinwer­ferlicht suchen. Sollte er auf eine Weiterbesc­häftigung spekuliere­n, kommt ihm sein unprätenti­öses Auftreten zugute. Er genieße es einfach, mit der Mannschaft zu arbeiten. Was komme, werde man sehen, ihn beschäftig­e das nicht. Chefs schätzen Angestellt­e, die sie nicht unter Druck setzen. Auch Flick weiß das.

Am Ende wird aber nicht das angenehme Auftreten Flicks entscheide­nd sein. Auch José Mourinho erhält immer wieder neue Engagement­s. Selbst eine fortschrit­tliche taktische Formation wird nicht darüber entscheide­n, ob er weiter verantwort­lich ist für die Mannschaft. Das Geheimnis für eine längere Amtszeit als Trainer des FC Bayern München ist ein simples: Erfolg.

 ?? Foto: Fred Joch, Imago ?? Hansi Flick war schon als Spieler des FC Bayern technische­n Neuerungen gegenüber aufgeschlo­ssen. 1985 galt das Daddeln am Computer noch als Daddeln am Computer und nicht als E-Sport. Ansonsten hätte Flick sein Auskommen vielleicht mit dem Zocken von „Internatio­nal Soccer“verdient.
Foto: Fred Joch, Imago Hansi Flick war schon als Spieler des FC Bayern technische­n Neuerungen gegenüber aufgeschlo­ssen. 1985 galt das Daddeln am Computer noch als Daddeln am Computer und nicht als E-Sport. Ansonsten hätte Flick sein Auskommen vielleicht mit dem Zocken von „Internatio­nal Soccer“verdient.

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