Mittelschwaebische Nachrichten
Rekord mit Board
Abenteuer Simone Bronnhuber und Tom Fritzmeier reisen vier Wochen durch Südamerika – um etwas zu machen, was vor ihnen noch nie jemand gemacht hat. Sie wollen mit ihrem Stand-Up-Paddle-Board einen Rekord aufstellen. Das schaffen sie. Warum am Ende aber do
Eigentlich will ich mich nur noch hinlegen. Irgendwo in den Staub. Oder auf einen Stein. Völlig egal. Hauptsache nicht mehr bewegen. Meine Beine sind so schwer, dass ich sie kaum anheben kann. Außerdem dröhnt mein Kopf, als hätte ich am Abend zuvor drei Flaschen Wein getrunken. Ich, ich bin Tom Fritzmeier, 36, und gerade auf dem Weg einen Weltrekord aufzustellen. Auf dem 5951 Meter hohen Vulkan Licancabur in Bolivien. Mit einem Stand-Up-Paddle-Board.
Klingt bescheuert? Ist es auch. Das bescheuertste, das ich jemals getan habe. Zumindest denke ich das in diesem Moment, knapp 200 Höhenmeter unterhalb des Gipfels. Vielleicht sind es auch 300 Höhenmeter. Keine Ahnung. Gefühlt ist die Spitze des Vulkans seit drei Stunden keinen Zentimeter näher gekommen. Kurze Pause. Einatmen, tief Luft holen, ausatmen.
Hinter mir biegt meine Freundin Simone Bronnhuber, 31, um die Ecke. Ich weiß, dass sie mich gerade hasst. Hätte sie die Kraft, würde sie mich wahrscheinlich mit ihren Wanderstöcken aufspießen. Weil ich mir diesen Rekordversuch in den Kopf gesetzt habe – und ihre Beine jetzt genauso schwer sind wie meine, ihr Kopf noch schlimmer brummt als meiner.
Fast genau ein Jahr ist es her, dass die Idee entstanden ist. An einem November-Regen-Tag daheim auf der Couch in Aislingen (Landkreis Dillingen). Nicht weniger als die höchste SUP (Abkürzung für StandUp-Paddle)-Tour aller Zeiten ha„No
wir uns ausgedacht. Auf dem höchsten Bergsee der Welt: Der Ojos-del-Salado-Lagune in Chile. Auf 6370 Metern Höhe. Obwohl die Paddel-Einlage auf dem rund 400 Meter tiefer gelegenen LicancaburSee schon gereicht hätte, um einen Weltrekord zu schaffen. Wir wollten aber einen Rekord, den keiner mehr brechen kann. Der Licancabur-See sollte deshalb eigentlich nur eine „lockere“Aufwärmrunde sein.
Warm ist uns jetzt. Und zwar so richtig. Als wir um 2.30 Uhr morgens am Fuße des Licancaburs aufgebrochen sind, lag die Temperatur noch knapp unter dem Gefrierpunkt. Jetzt, knapp fünf Stunden später, brennt die Sonne erbarmungslos auf uns herunter. Die langen Unterhosen und sogar die Daunenjacken sind längst durchgeschwitzt. Eigentlich reicht’s. Aber so verlockend der kleine Felsvorsprung im Schatten auch aussieht – aufgeben und ablegen ist nicht drin. Wir wollen zum Gipfel. Wir wollen den Rekord. Kurze Pause. Einatmen, tief Luft holen, ausatmen.
Der Weg zum Rekord war lang. Nicht nur am Berg. Neun Monate haben wir die Reise intensiv geplant, hart dafür trainiert. Vier Wochen haben wir sogar in einem Höhenzelt im eigenen Schlafzimmer geschlafen. Als wir dann am 1. November tatsächlich in La Paz (Bolivien) aus dem Flugzeug gestiegen sind, hat es sich schon wie ein kleiner Sieg angefühlt. Endlich nicht mehr planen. Endlich machen.
Mit an Bo(a)rd ist auch Daniel Kania, 23. Ein Zwei-Minuten-Telefonat im April hat gereicht, um ihn von unserer Idee zu überzeugen. Daniel ist Fotograf und arbeitet bei einer Münchner Werbeagentur und begleitet uns von Tag eins an mit der Kamera. Hätte er damals gewusst, wie hart der Weg zum SUP-Gipfel ist … vielleicht hätte er etwas länger überlegt.
Nach über sechs Stunden und 1200 Höhenmeter ist es endlich vollbracht. Der Gipfel. Wir sind da, haben es geschafft – zumindest Daniel und Simone. Ich habe noch ein paar Meter vor mir. Der Krater-See liegt 50 Meter unterhalb des Gipfels. Runter ist kein Problem. Aber ich muss ja auch wieder hoch. Und davor muss ich das Board mit der Luftpumpe aufpumpen.
Zum Glück gibt’s ja noch Pika, 38, Papa von zwei kleinen Kindern. Eigentlich heißt er Jesus. So nennt ihn aber nur seine Mama, sagt er. Er ist unser Guide und während der ganzen Tour an unserer Seite. Ursprünglich war er mal Rettungssanitäter und Sport-Kletterer. Mittlerweile arbeitet er als professioneller Bergführer.
Er kennt die schönsten, höchsten und gefährlichsten Gipfel in ganz Südamerika – und darüber hinaus. Er weiß aber auch, wo es die billigste SIM-Karte fürs Handy gibt, wie man in freier Natur am unauffälligsten sein „großes Geschäft“erledigt, und dass zwei Bolivianos (umgerechnet 26 Cent) und eine Bonuskarte vom Supermarkt bei einer Poben lizeikontrolle auch mal den Führerschein ersetzen. Was Pika bis zu unserer Ankunft nicht wusste: Was ein SUP-Board ist. Im Gegensatz zu Deutschland, wo im Sommer auf beinahe jedem Tümpel gepaddelt wird, ist der Sport in Bolivien gänzlich unbekannt. Noch. Pika hat sich direkt in unser Board verliebt, am Ende wahrscheinlich mehr Stunden darauf verbracht als wir.
Und er wird auch künftig seine Runden in Bolivien drehen. Zum Abschied haben wir ihm unser aufblasbares Brett geschenkt. Am Licancabur bleibt er aber am Ufer, hilft nur beim Aufpumpen. Danke dafür.
Dann geht’s für mich endlich aufs Wasser. Die schweren Beine sind plötzlich verschwunden. Die Kopfschmerzen auch. Die Erleichterung ist riesig. Ich kämpfe mit Freudentränen, mein Herz pocht noch schneller. Mir wird sogar ein wenig schlecht. Ich kann nichts sagen. Minutenlang stehe ich fast regungslos am Ufer. Den Klos in meinem Hals spüre ich noch heute, wenn ich an diesem Moment denke. Wir haben es tatsächlich geschafft, die höchste SUP-Tour der Welt vollbracht. Der Rekord gehört uns. Das Gefühl auf dem kristallklaren Wasser ist einmalig. Der Blick auf die umliegenden Kraterwände unbeschreiblich. Die bescheuerte Idee war doch nicht so bescheuert.
Und Pika? Der macht ein Schläfchen am Ufer. Kein Witz. Zu seiner Verteidigung: Während unserer vier Wochen in Bolivien und Chile ist der 38-Jährige rund um die Uhr für uns da, führt uns an Orte, die nur die wenige Touristen zu sehen bekommen. Etwa einen kleinen Gletschersee, auf rund 5000 Metern, der auf einer Seite von einer riesigen Eiswand umrahmt wird. Oder an eine Lagune im Sajama National Park, in der vorne Flamingos stehen, dahinter Lamas grasen und ein paar Meter weiter eine Gruppe Alpakas vorbeimarschiert. Ein Maler hätte die Szenerie nicht schöner erschaffen können.
Er löst auch jedes Problem. Egal wie groß oder klein es ist. Als Daniel krank wird, besorgt er ihm alle notwendigen Medikamente. Er massiert Simones eiskalte Zehen als wir auf dem 6016 hohen Meter Berg San Francisco stehen und hat sogar eine Schiene parat als ich mir beim Sprung durch einen Geysir in Sol de Manana den Knöchel verknackse. Drama Lama“, sagt er immer wenn etwas schief geht und lächelt entspannt.
Nur einer sorgt bei Pika regelmäßig für mittelgroße Schweißausbrüche: Bobby. So haben wir den grausilber-farbenen Bus, in dem wir 3000 Kilometer Südamerika tuckern, getauft. Ein Neunsitzer, russisches Modell – und erst ein Jahr alt. Auch wenn er anders aussieht. Bobby, so sagt man uns beim Start in La Paz, ist eigentlich für Fahrten in Sibirien entwickelt worden und deshalb nicht kaputt zu kriegen.
Nun ja. Mal davon abgesehen, dass wir plötzlich mitten im Nirgendwo Benzin verlieren, wir bei unserer Fahrt quer durch die berühmte Salzwüste, die Salar de Uyuni, die Stoßstange inklusive Nummernschild verlieren und auf dem Weg zum Ollague, einem 5868 Meter hohen Vulkan am Rande der Chiguana-Wüste, der Kühler komplett überhitzt– ja, dann war unser Bobby wirklich zuverlässig.
Wir haben auf unserer Reise die schönsten Flecken in Bolivien und Chile gesehen, haben Alpakas, Lamas und Flamingos in freier Natur beobachtet, haben die bizarr schöne, karge, aber auch unglaublich bunte Landschaft Südamerikas erkundet und unser Stand-Up-Paddle-Board an Orten ins Wasser gelassen, wo noch nie jemand anderes gepaddelt ist. Wir haben drei 5000er und einen 6000er bezwungen und einen völlig bescheuerten, aber großartigen Rekord aufgestellt. Mehr geht eigentlich nicht. Doch.
Erst froren wir, jetzt ist es unendlich heiß
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