Mittelschwaebische Nachrichten
Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (14)
Eine Verbindung des preußischen Rittmeisters Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg
Als die Höhe schon verloren und doch andrerseits die Möglichkeit einer Wiederherstellung der Schlacht noch nicht geschwunden war, ging er klingenden Spiels an der Spitze neuer Regimenter vor; sein Pferd ward ihm unter dem Leibe erschossen, er bestieg ein zweites, und eine halbe Stunde lang schwankte die Schlacht. Wahre Wunder der Tapferkeit wurden verrichtet, und die Franzosen selbst haben es in enthusiastischen Ausdrücken anerkannt.“Der Prinz, der, bei der vorjährigen Berliner Anwesenheit des unausgesetzt als deliciae generis humani gepriesenen Kaisers, keinen allzu günstigen Eindruck von ihm empfangen hatte, fand es einigermaßen unbequem, den „liebenswürdigsten der Menschen“auch noch zum „heldischsten“erhoben zu sehen. Er lächelte deshalb und sagte: „Seine Kaiserliche Majestät in Ehren, so scheint es mir doch, lieber Schach, als ob Sie französischen Zeitungsberichten mehr Gewicht beilegten, als ihnen beizulegen ist. Die
Franzosen sind kluge Leute. Je mehr Rühmens sie von ihrem Gegner machen, desto größer wird ihr eigner Ruhm, und dabei schweig ich noch von allen möglichen politischen Gründen, die jetzt sicherlich mitsprechen. ,Man soll seinem Feinde goldene Brücken bauen‘, sagt das Sprichwort, und sagt es mit Recht, denn wer heute mein Feind war, kann morgen mein Verbündeter sein. Und in der Tat, es spukt schon dergleichen, ja, wenn ich recht unterrichtet bin, so verhandelt man bereits über eine neue Teilung der Welt, will sagen über die Wiederherstellung eines morgenländischen und abendländischen Kaisertums. Aber lassen wir Dinge, die noch in der Luft schweben, und erklären wir uns das dem Heldenkaiser gespendete Lob lieber einfach aus dem Rechnungssatze: ,Wenn der unterlegene russische Mut einen vollen Zentner wog, so wog der siegreich französische natürlich zwei.‘“Schach, der, seit Kaiser Alexanders Besuch in Berlin, das Andreaskreuz trug, biß sich auf die Lippen und wollte replizieren. Aber Bülow kam ihm zuvor und bemerkte: „Gegen ,unter dem Leibe erschossene Kaiserpferde‘ bin ich überhaupt immer mißtrauisch. Und nun gar hier. All diese Lobeserhebungen müssen Seine Majestät sehr in Verlegenheit gebracht haben, denn es gibt ihrer zu viele, die das Gegenteil bezeugen können. Er ist der ,gute Kaiser‘ und damit basta.“
„Sie sprechen das so spöttisch, Herr von Bülow“, antwortete Schach. „Und doch frag ich Sie, gibt es einen schöneren Titel?“
„O gewiß gibt es den. Ein wirklich großer Mann wird nicht um seiner Güte willen gefeiert und noch weniger danach benannt. Er wird umgekehrt ein Gegenstand beständiger Verleumdungen sein. Denn das Gemeine, das überall vorherrscht, liebt nur das, was ihm gleicht. Brenkenhof, der, trotz seiner Paradoxien, mehr gelesen werden sollte, als er gelesen wird, behauptet geradezu, ,daß in unserm Zeitalter die besten Menschen die schlechteste Reputation haben müßten‘. Der gute Kaiser! Ich bitte Sie. Welche Augen wohl König Friedrich gemacht haben würde, wenn man ihn den ,guten Friedrich‘ genannt hätte.“
„Bravo, Bülow“, sagte der Prinz und grüßte mit dem Glase hinüber.
„Das ist mir aus der Seele gesprochen.“Aber es hätte dieses Zuspruches nicht bedurft. „Alle Könige“, fuhr Bülow in wachsendem Eifer fort, „die den Beinamen des ,guten‘ führen, sind solche, die das ihnen anvertraute Reich zu Grabe getragen oder doch bis an den Rand der Revolution gebracht haben. Der letzte König von Polen war auch ein sogenannter ,guter‘. In der Regel haben solche Fürstlichkeiten einen großen Harem und einen kleinen Verstand. Und geht es in den Krieg, so muß irgendeine Kleopatra mit ihnen, gleichviel mit oder ohne Schlange.“
„Sie meinen doch nicht, Herr von Bülow“, entgegnete Schach, „durch Auslassungen wie diese den Kaiser Alexander charakterisiert zu haben.“
„Wenigstens annähernd.“„Da wär ich doch neugierig.“„Es ist zu diesem Behufe nur nötig, sich den letzten Besuch des Kaisers in Berlin und Potsdam zurückzurufen. Um was handelte sich’s? Nun, anerkanntermaßen um nichts Kleines und Alltägliches, um Abschluß eines Bündnisses auf Leben und Tod, und wirklich, bei Fackellicht trat man in die Gruft Friedrichs des Großen, um sich, über dem Sarge desselben, eine halbmystische Blutsfreundschaft zuzuschwören. Und was geschah unmittelbar danach? Ehe drei Tage vorüber waren, wußte man, daß der aus der Gruft Friedrichs des Großen glücklich wieder ans Tageslicht gestiegene Kaiser die fünf anerkanntesten beautés des Hofes in ebenso viele Schönheitskategorien gebracht habe: beauté coquette und beauté triviale, beauté céleste und beauté du diable und endlich fünftens ,beauté, qui inspire seul du vrai sentiment‘. Wobei wohl jeden die Neugier angewandelt haben mag, das Allerhöchste ,vrai sentiment‘ kennenzulernen.“
All diese Sprünge Bülows hatten die Heiterkeit des Prinzen erregt, der denn auch eben mit einem ihm bequem liegenden Capriccio über beauté céleste und beauté du diable beginnen wollte, als er, vom Korridor her, unter dem halb zurückgeschlagenen Portierenteppich, einen ihm wohlbekannten kleinen Herrn von unverkennbaren Künstlerallüren erscheinen und gleich danach eintreten sah.
„Ah, Dussek, das ist brav“, begrüßte ihn der Prinz. „Mieux vaut tard que jamais. Rücken Sie ein. Hier. Und nun bitt ich, alles, was an Süßigkeiten noch da ist, in den Bereich unsres Künstlerfreundes bringen zu wollen. Sie finden noch tutti quanti, lieber Dussek. Keine Einwendungen.
Aber was trinken Sie? Sie haben die Wahl. Asti, Montefiascone, Tokayer.“„Irgendeinen Ungar.“„Herben?“
Dussek lächelte. „Törichte Frage“, korrigierte sich der Prinz und fuhr in gesteigerter guter Laune fort: „Aber nun, Dussek, erzählen Sie. Theaterleute haben, die Tugend selber ausgenommen, allerlei Tugenden, und unter diesen auch die der Mitteilsamkeit. Sie bleiben einem auf die Frage ,was Neues‘ selten eine Antwort schuldig.“
„Und auch heute nicht, Königliche Hoheit“, antwortete Dussek, der, nachdem er genippt hatte, eben sein Bärtchen putzte.
„Nun, so lassen Sie hören. Was schwimmt obenauf?“
„Die ganze Stadt ist in Aufregung. Versteht sich, wenn ich sage ,die ganze Stadt‘, so mein ich das Theater.“
„Das Theater ist die Stadt. Sie sind also gerechtfertigt. Und nun weiter.“
„Königliche Hoheit befehlen. Nun denn, wir sind in unsrem Haupt und Führer empfindlich gekränkt worden und haben denn auch aus eben diesem Grunde nicht viel weniger als eine kleine Theateremeute gehabt.