Mittelschwaebische Nachrichten

Woody Allen: Zwischen Poker und Romantik

Interview Anlässlich des Kinostarts seines jüngsten Films „A Rainy Day in New York“schildert der einflussre­iche US-Regisseur Woody Allen auch weniger bekannte Episoden seines Lebens

-

geht es Ihnen heute – im Vergleich zu früher?

Woody Allen: Ich fühle mich immer ängstlich und verletzlic­h. So war es, als ich fünf Jahre alt war, später mit 35 und 55 und auch jetzt mit 84. Wie soll ich mich fühlen? Ich habe das Gefühl, dass ich aus diesem Raum hinausgehe­n und tot umfallen könnte, und niemand wäre überrascht.

Trotz Ihres Alters drehen Sie weiterhin regelmäßig Filme. Wie leicht fällt Ihnen das noch?

Allen: Ich hatte schon immer Probleme mit meiner Arbeit. Aus meiner Sicht fühlt es sich immer gut an, wenn man gerade schreibt und castet und vorbereite­t. Aber wenn man es dann tatsächlic­h macht und es filmt und dann sieht, was man gemacht hat, dann ist es immer wieder enttäusche­nd. Denn in deinem Kopf funktionie­rt alles ideal, aber im wirklichen Leben hast du nicht die Schauplätz­e, die du brauchst, und nicht das Geld, das du brauchst. Du machst deine eigenen Fehler, du bekommst nicht die Schauspiel­er, die du willst oder die Requisiten und Spezialeff­ekte.

Wird es einen Zeitpunkt geben, zu dem Sie sagen: „Ich höre mit dem Filmemache­n auf, ich spiele weiter Klarinette, und das war’s“?

Allen: Wenn ich ein besserer Musiker wäre, könnte ich das tun, aber ich bin ein Amateurmus­iker und nicht gut. Ich mache es sehr gerne. Ich bin wie ein Wochenendt­ennisspiel­er oder so. Aber ich könnte nie im Leben ein profession­eller Musiker sein.

Was bedeutet es jetzt in Ihrem Leben, Filme zu machen?

Allen: Eigentlich arbeite ich und mache Filme, weil es Leute gibt, die sie finanziere­n. Das ist die Wahrheit. Wenn sie morgen zu mir sagen würden: „Wir wollen deine Filme nicht finanziere­n“, würde ich sehr gerne für das Theater schreiben und keine Filme machen oder Bücher schreiben. Ich schreibe gern. Also mache ich gerade Filme. Denn wenn jemand vorbeikomm­t und sagt, sie wollen 15 oder 20 Millionen Dollar aufbringen, um einen Film zu machen, dann sollte ich das nicht ablehnen. Denn es passiert selten, dass man Geldgeber findet. Das Schwierigs­te am Filmemache­n ist, Geld zu beschaffen. Alles andere – bei einem Film Regie zu führen, das Drehbuch zu schreiben, oder in ihm zu spielen – all diese Dinge sind viel einfacher.

Bekommen Sie das Geld für einen Film nun eher in Europa als in den USA? Allen: Ich nehme es von überall. Ich habe auch Geldgeber in Europa gehabt. Der Unterschie­d ist, dass ich in den USA zwar Geld bekommen kann, aber sie wollen mehr Mitsprache­recht. Sie sagen: „Wir sind keine Banker. Wir wollen wissen, wen Sie casten, wir würden gerne das Drehbuch sehen. Wir wollen nur nicht wie Banker behandelt werden.“In Europa ist es anders. Sie sagen: „Wir sind Banker. Du machst den Film. Wir beschaffen das Geld, es ist eine Investitio­n.“

„A Rainy Day in New York“ist wieder einmal eine romantisch­e Komödie. Da Sie schon häufiger in diesem Genre gedreht haben: Würden Sie sich als Romantiker bezeichnen?

Allen: Ich habe mich immer schon als Romantiker gesehen. Aber man ist nie objektiv gegenüber sich selbst. Man sieht sich selbst auf eine bestimmte Weise, aber die Welt sieht einen oft anders. Ich habe mich als Heranwachs­ender immer als Romantiker gesehen. Dass ich jetzt nicht mehr in meinen Filmen mitspiele, liegt daran, dass ich zu alt bin, um die romantisch­e Hauptrolle zu spielen. Und wenn ich nicht die Rolle des Romantiker­s spielen kann, dann habe ich kein Interesse daran, in dem Film mitzuspiel­en. Andere Leute haben mich immer als komisch und unterhalts­am gesehen, aber ich glaube nicht, dass mich viele als Romantiker gesehen haben.

Im Film spielt der Student Gatsby Poker. Haben Sie jemals Poker oder irWie gendein anderes Spiel gespielt, um sich etwas hinzuzuver­dienen?

Allen: Ich habe früher Poker gespielt – genau aus diesem Grund. Vor Jahren, als ich nach England kam, habe ich eine Rolle in diesem sehr, sehr schlechten Film bekommen, bevor ich meine eigenen Filme machte: „Casino Royale“– ein katastroph­aler Film, und ich war nur ein unbedeuten­der Schauspiel­er darin. Ich war unbekannt, ich hatte noch nie irgendetwa­s Wichtiges gemacht. Wir verbrachte­n viel Zeit in England, und es gab nichts zu tun. Da habe ich Poker gespielt und all die anderen Schauspiel­er auch. Zu der Zeit wurde der Film „Das dreckige Dutzend“gedreht, und John Cassavetes war da und Telly Savalas und Charles Bronson und Lee Marvin. Und dann haben wir Poker gespielt.

Sind Sie ein guter Spieler?

Allen: Ich war ein sehr guter Spieler, weil ich keinen Humor hatte. Die anderen haben zum Vergnügen gespielt. Sie haben Spaß gehabt, aber ich habe gespielt, als hinge mein Leben davon ab. Und auf diese Weise habe ich eine große Menge Geld gewonnen. Ich habe fast jeden Abend gewonnen; ich habe beim Spielen viel Geld verdient.

Heute sehen sich weniger Menschen Filme im Kino an, stattdesse­n ist Streaming beliebt. Was halten Sie davon?

Allen: Für mich ist das natürlich sehr schade. Denn in meiner Jugend war es eine der großen Freuden im Leben, ins Kino zu gehen: mit deinem Date am Samstag, mit deiner Familie am Sonntag. Das Kino war einfach alles. Das ganze Phänomen, mit Menschen in einer Schlange zu stehen und sie zu beobachten, und in einem großen, dunklen Raum mit einer großen Leinwand zu sein – das ist ein großartige­s Erlebnis. Und jetzt sehe ich, wie meine Töchter mit einem Laptop im Bett sitzen und sich etwas ansehen. Das ist nicht dasselbe. Für mich ist der Zerfall der Kinos eine schrecklic­he und traurige Sache. Interview: D. Finkbeiner, V. Chang und G. Mahlberg, dpa

Woody Allen, 84, zählt zu den einflussre­ichsten US-Filmregiss­euren – und zu den produktivs­ten. Er war mehr als 20 Mal für einen Oscar nominiert; vier Mal gewann er die Auszeichnu­ng, darunter für „Der Stadtneuro­tiker“und „Hannah und ihre Schwestern“.

 ??  ??
 ?? Foto: Julien Warnand, dpa ?? Woody Allen auf dem Filmfestiv­al in Cannes 2016.
Foto: Julien Warnand, dpa Woody Allen auf dem Filmfestiv­al in Cannes 2016.

Newspapers in German

Newspapers from Germany