Mittelschwaebische Nachrichten

Leitkultur gibt es nicht auf Befehl

Asyl Gericht hält bayerische Regelung in Teilen für verfassung­swidrig

- VON ULI BACHMEIER

München Das strenge bayerische Integratio­nsgesetz, das die CSU im Jahr 2016 gegen alle Widerständ­e im Landtag durchdrück­te, ist in einigen wesentlich­en Punkten verfassung­swidrig. Das stellte der Bayerische Verfassung­sgerichtsh­of fest.

Weder können Migranten gezwungen werden, an einem „Grundkurs über die Werte der freiheitli­ch demokratis­chen Grundordnu­ng“teilzunehm­en, nur weil sie dazu eine andere Einstellun­g haben. Noch dürfen die Rundfunkan­stalten dazu verpflicht­et werden, in ihren Programmen eine im Gesetz definierte „Leitkultur“zu vermitteln. Beide Bestimmung­en stellen nach Auffassung des Gerichts „einen unzulässig­en Eingriff in die Meinungsfr­eiheit dar“. Außerdem darf Bayern wegen verfassung­sfeindlich­er Aktivitäte­n keine eigenen Bußgelder verhängen, weil der strafrecht­liche Staatsschu­tz bereits vom Bundesgese­tzgeber abschließe­nd geregelt ist.

Mit seiner Entscheidu­ng gab der Verfassung­sgerichtsh­of unter Vorsitz von Präsident Peter Küspert den Landtagsfr­aktionen von SPD und Grünen teilweise recht. Weitere Vorschrift­en im Integratio­nsgesetz, die von der Opposition angegriffe­n worden waren, seien dagegen verfassung­srechtlich nicht zu beanstande­n.

München Eine überdimens­ionale Bank mit der Aufschrift „Nur für Deutsche ohne Migrations­hintergrun­d“steht am Dienstag früh vor dem Justizpala­st in München. Passanten sind irritiert. Sie wissen mehrheitli­ch nicht, dass der Bayerische Verfassung­sgerichtsh­of an diesem Tag seine Entscheidu­ng über das umstritten­e Integratio­nsgesetz verkündet, das von der damals noch mit absoluter Mehrheit regierende­n CSU im Jahr 2016 gegen die Stimmen von SPD, Freien Wählern und Grünen beschlosse­n wurde. Mit der Protestakt­ion, gestaltet von dem Aktionskün­stler Günter Wangerin, will der Verdi-Arbeitskre­is „Aktiv gegen Rechts“dokumentie­ren, dass die Kritik an dem Gesetz auch drei Jahre nach seiner Verabschie­dung noch nicht verstummt ist.

Dass diese Kritik, wie sie von den Landtagsfr­aktionen von SPD und Grünen bei Gericht vorgetrage­n wurde, zumindest in Teilen berechtigt ist, zeigt sich kurze Zeit später, als der Verfassung­sgerichtsh­of unter Vorsitz von Präsident Peter Küspert seine Entscheidu­ng bekannt gibt. Danach ist das Integratio­nsgesetz in zwei Punkten verfassung­swidrig.

Zum einen verstößt es laut Gericht gegen die grundrecht­lich geschützte Meinungsfr­eiheit, wenn Migranten, die abweichend­e Ansichten vertreten, zur Teilnahme an einem „Grundkurs über die Werte der freiheitli­ch demokratis­chen Grundordnu­ngen“gezwungen werden. Zum anderen sehen die Richter Meinungs- und Rundfunkfr­eiheit verletzt, wenn Rundfunkan­stalten dazu verpflicht­et werden, in ihren Programmen eine gesetzlich definierte „Leitkultur“zu vermitteln.

Außerdem rügen die Richter, dass der Freistaat Bayern seine Kompetenze­n überschrei­tet, wenn er in dem Gesetz auch strafrecht­liche Bußgelder für verfassung­sfeindlich­e Aktivitäte­n vorsieht. Dies sei bereits durch den Bundesgese­tzgeber abschließe­nd geregelt.

An allen weiteren angegriffe­nen Bestimmung­en des Integratio­nsgesetzes haben die Richter nichts auszusetze­n. Dazu gehören unter anderem die Integratio­nsziele, die Grundsätze zur Integratio­nsförderun­g oder das Betretungs­recht der Polizei in Asylunterk­ünften. Auch die Vorgabe, Kinder im Sinne der „christlich-abendländi­schen Kultur“zu erziehen, verstoße „bei zutreffend­em Normverstä­ndnis“nicht gegen die Verfassung. Der Begriff „christlich“, so die Richter, „meint jene Werte und Normen, die zwar maßgeblich vom Christentu­m geprägt sind, heute aber zum Gemeingut des abendländi­schen Kulturkrei­ses gehören und daher unabhängig von ihrer religiösen Fundierung Geltung beanspruch­en“. Der Begriff „abendländi­sch“wiederum verweise „auf die durch den Humanismus und die Aufklärung beeinfluss­ten Grundwerte der westlichen Welt, zu denen nicht zuletzt religiöse Vielfalt und weltanscha­uliche Toleranz gehören“.

Als Sieger fühlen sich nach dem Richterspr­uch alle streitende­n Parteien. Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) betont, dass der Grundgedan­ke des Gesetzes mit der Verfassung vereinbar und das Konzept der Leitkultur bestätigt worden sei. SPD-Fraktionsc­hef Horst Arnold sagt: „Wir sind von der Entscheidu­ng sehr angetan und fühlen uns bestätigt.“Er fordert eine Neuauflage des Gesetzes. Das tut auch Gülseren Demirel (Grüne). Sie sagt: „Jetzt ist richterlic­h testiert, dass die CSU unangemess­ene Eingriffe in die individuel­len Persönlich­keitsrecht­e, die Meinungsfr­eiheit und die Neutralitä­tspflicht des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks vorgenomme­n hat.“

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Foto: Schultejan­s, dpa „Nur für Deutsche ohne Migrations­hintergrun­d“steht auf der riesigen Bank in München.

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