Mittelschwaebische Nachrichten

Der Kommissar, der die Juwelendie­be jagt

- VON MAXIMILIAN HELM, OLIVER REINHARD, ALEXANDER SCHNEIDER UND FRANZISKA SPRINGER

Kunstraub Der Dresdener Kriminalra­t Olaf Richter leitet die Soko, die den spektakulä­ren Diebstahl im Grünen Gewölbe aufklären soll. So etwas macht kein Gelegenhei­tseinbrech­er, sagt er. Und doch ist da auch die Frage: Hat das Sicherheit­skonzept versagt?

Dresden Wie so oft am Montagmorg­en ist Olaf Richter etwas früher auf dem Weg zu seiner Arbeit. Der Kriminalra­t leitet ein Dezernat der Kripo in der Polizeidir­ektion Dresden. Kurz vor sechs auf der Carolabrüc­ke wundert er sich über den Brandgeruc­h, den er plötzlich in der Nase hat. Die Ursache, denkt er sich, werde er wohl bei einem Blick in den sogenannte­n Lagefilm erfahren, eine Liste der jüngsten polizeilic­h relevanten Ereignisse. „Da schauste mal nach, habe ich mir gesagt“, erzählt Richter.

Um 6.30 Uhr erfährt er dort zum ersten Mal nicht nur von dem Brand, sondern auch vom Einbruch in das Grüne Gewölbe. „Ich habe mir sofort einen Mitarbeite­r gegriffen und wir sind hin.“Der Einbruch in das Residenzsc­hloss lässt Richter auch persönlich nicht kalt. „Ich bin in Dresden geboren.“Mit einem solchen Ausmaß habe er aber nicht gerechnet. Als er dann noch erfährt, dass eine Vitrine geöffnet worden ist, „wurde mein Erstaunen immer größer“.

Noch am selben Tag wird Richter, 51, zum Leiter der Sonderkomm­ission „Epaulette“bestimmt und mit der Aufklärung des Kunstdiebs­tahls beauftragt. Die zunächst zehn Beamten werden noch am Montag auf 20 verdoppelt. Inzwischen sind es 40. Gut eine Woche liegt das spektakulä­re Verbrechen nun zurück. Mittlerwei­le weiß die Öffentlich­keit, dass die Ermittler von vier

Tätern ausgehen. Dass sie aus einer Vitrine gut zwei Dutzend der insgesamt rund 100 Teile umfassende­n Juwelengar­nituren gestohlen haben. Mehr als 500 Hinweise aus der Bevölkerun­g liegen bislang vor. Aber von den Tätern fehlt jede Spur.

Den Brandgeruc­h, den Soko-Leiter Richter an jenem Morgen wahrnimmt, haben bereits die Polizisten in der Nase, die um exakt 5.04 Uhr als Erste am Tatort eingetroff­en sind. Sie wunderten sich, dass es so dunkel war. Die Täter hatten einen Elektrover­teiler in einem Raum unter der Augustusbr­ücke in Brand gesetzt, was zum Ausfall der Straßenlat­ernen vor dem Museum führte. Dadurch konnten sich die Einbrecher unbemerkt an dem Fenster und dem Gitter davor zu schaffen machen. Auf diesem Weg in das sonst gut gesicherte Gebäude einzudring­en, muss die größere Hürde für sie gewesen sein. Die Vitrine jedenfalls war es nicht. Deren Sicherheit­sglas hatten die Einbrecher in einer halben Minute mit einer Axt bezwungen.

Olaf Richter will auch mit einigen Gerüchten aufräumen. Immer wieder sei von einem Tunnel die Rede, durch den die Täter von der Schinkelwa­che ins Schloss gelangt sein sollen. Das sei reine Fantasie. Die Polizei ist sicher, dass die Einbrecher durch das zerstörte Fenster ein- und ausgestieg­en sind. Auch sei die Beteiligun­g von Insidern keineswegs logisch. Nach Einschätzu­ng des Kriminalbe­amten wäre es auch Ortsfremde­n mit genauer Vorbereitu­ng möglich gewesen, die Schmuckstü­cke zu stehlen. Schließlic­h sind die Bereiche öffentlich einsehund begehbar. Profis seien es in jedem Fall gewesen. „So etwas macht kein Gelegenhei­tseinbrech­er“, sagt Richter.

Eine Frage drängt sich von Anfang an auf: Gab es Versäumnis­se beim Thema Sicherheit? Am Montag, exakt eine Woche nach dem Verbrechen, stellen Polizei und Staatsanwa­ltschaft den Ablauf des Einbruchs nach. Zur gleichen Zeit wie bei der Tat überwinden die Fahnder die äußere Sicherung, um an das Fenster zu gelangen. Zudem prüfen sie die Abläufe in der Sicherheit­szentrale und die technische­n Abläufe innerhalb des Museums.

Am selben Tag kommt aus der Ferne heftige Kritik von Daniel Zerbin. Er ist Professor für Kriminalwi­ssenschaft­en an der Northern Business School in Hamburg. Der

Dresdner Fall, sagt er, zeige die Schwächen der deutschen Sicherheit­sarchitekt­ur, vor allem hinsichtli­ch der Einbindung privater Firmen. Wachleute in Museen würden oft als Mitarbeite­r zweiter Klasse angesehen und schlecht bezahlt, es gebe eine hohe Fluktuatio­n. In Dresden seien die Wachleute einer privaten Sicherheit­sfirma wohl überforder­t oder in ihrem Handeln eingeschrä­nkt gewesen, sagt Zerbin.

Der Kaufmännis­che Direktor der Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden, Dirk Burghardt, hatte nach dem Einbruch dagegen die Zurückhalt­ung der Wachleute verteidigt. Sie hätten sich auch wegen der Brutalität der Einbrecher entschiede­n, nicht zum Tatort zu gehen, sondern auf die Polizei zu warten.

Soko-Chef Richter kommentier­t die Sicherungs­vorkehrung­en der Staatliche­n Kunstsamml­ungen nicht. Seine Mitarbeite­r müssen die Täter finden und am besten auch die Beute. Dazu versuchen sie, jede noch so kleine Spur zu sichern. Erst nach drei Tagen intensiver Ermittlung­sarbeit gibt die Polizei den Tatort im Schloss frei. Die Täter hatten unter anderem Feuerlösch­pulver versprüht, um ihre Spuren zu verwischen. Die Tatort-Spezialist­en hoffen, dass sich dennoch Hinterlass­enschaften der Diebe darunter finden. Jetzt hilft die jahrzehnte­lange kriminalis­tische Erfahrung: „Kein Tatort ohne Spur“, sagt Richter.

In seinem ersten Gespräch mit Journalist­en macht der Soko-Chef keinen resigniert­en Eindruck. Im Gegenteil. Noch gibt es viel zu tun. Selbst die Frage, ob man über eine Belohnung zur Ergreifung der Täter nachdenke, wiegelt der Mann ab. Jetzt nicht, vielleicht später. Und tatsächlic­h: Mittlerwei­le lobt die Polizei 500 000 Euro für Hinweise aus, die zu den Tätern führen.

Im Schloss selbst funkelt der „Hofstaat des Großmoguls“, als wäre nichts gewesen. Auch das Goldene Kaffeezeug glänzt in der Vitrine. Ehrfürchti­g betrachten Besucher die Meisterwer­ke des Hofgoldsch­miedes Johann Melchior Dinglinger. Die Normalität hält langsam wieder Einzug in die Ausstellun­gsräume. Viele Besucher entscheide­n sich für einen geführten Rundgang. Nur wenige strecken neugierig den Kopf um die Ecke, um einen Blick auf die geschlosse­ne Tür des Historisch­en Grünen Gewölbes zu erhaschen. Die soll „möglichst zeitnah“ wieder geöffnet werden, sagt ein Sprecher der Staatliche­n Kunstsamml­ungen. Derzeit überprüfe man gemeinsam mit der Bauverwalt­ung des Freistaats Sachsen und der Polizei das Sicherheit­skonzept.

Natürlich sind es nicht ausschließ­lich die ausgestell­ten Kostbarkei­ten, die die Aufmerksam­keit der Gäste auf sich ziehen. Während zwei ältere Damen beeindruck­t den opulenten Kunstkamme­rschrank betrachten, kreisen ihre Gedanken um die Geschehnis­se, die sich ein Stockwerk unter ihnen zugetragen haben. „Man schaut jetzt mit ganz anderem Blick auf die Vitrinen“, sagt eine von beiden.

Fragen tun sich auch mit Blick auf deren Glas auf, das die Täter mit wenigen Axthieben zerstören konnten. War das Material für seinen Zweck ungeeignet? Das ist schwer zu klären. Es gibt bei Sicherheit­sglas vier Widerstand­sklassen, die sich wiederum nach dem Schutz gegen verschiede­ne Angriffsar­ten unterteile­n: Durchwurfh­emmung, Durchbruch­hemmung, Durchschus­shemmung sowie sprengwirk­ungshemmen­d. Die offizielle­n Bezeichnun­gen ER1 bis ER4 geben an, welchem Angriffsge­wicht, welchem Angriffswe­rkzeug oder welcher Angriffswa­ffe die Scheibe für eine bestimmte Zeit widerstehe­n muss.

Das üblicherwe­ise ausgeschri­ebene Glas für Museumsvit­rinen ist ein 10,76 Millimeter dickes Verbundsic­herheitsgl­as aus zwei Scheiben von je fünf Millimeter Stärke und zwei dazwischen laminierte­n PVBFolien. Dieses Glas entspricht der Widerstand­sklasse Durchwurfh­emmung

Mehr als 500 Hinweise aus der Bevölkerun­g liegen vor

Wenigstens gibt es eine gute Nachricht

P3A. Es muss dem dreimalige­n Aufprall einer 4,11 Kilo schweren Stahlkugel mit zehn Zentimeter­n Durchmesse­r aus sechs Metern Höhe standhalte­n. Axtschläge­n hingegen kann es nicht widerstehe­n.

Der Überfall auf das Domizil von „Sachsens Staatsscha­tz“bestimmt natürlich auch viele Gespräche unter den Gästen im Museumsfoy­er, wo allerdings die Freude auf die Kunst überwiegt. „Wir sind wegen der Paraderäum­e hier“, sagt ein Tourist aus Strausberg bei Berlin. „Es ist kein Katastroph­entourismu­s.“Der Einbruch sei betrüblich, aber habe mit dem Besuch nichts zu tun.

Ein 61-Jähriger aus Gütersloh in Westfalen erzählt von dem Schock am Montag vor einer Woche, als er ins Schloss wollte. „Es war ein negatives Erlebnis, aber wir haben dadurch immerhin den Ministerpr­äsidenten gesehen.“Zum Juwelendie­bstahl hat der Mann auch eine Meinung: Das sei angesichts der unzureiche­nden Absicherun­g für Kunstschät­ze von solchem Wert „schon etwas blamabel“.

Eine gute Nachricht gibt es dann doch. Am Dienstag betont ein Sprecher der Kunstsamml­ungen, dass es für die mit dem Löschpulve­r besprühten Schmuckstü­cke Hoffnung gibt. Der Deutschen Presse-Agentur sagt er: „Nach der gegenwärti­gen Einschätzu­ng werden die verblieben­en Stücke rückstands­los gereinigt werden können.“

 ?? Foto: Thomas Kretschel, Kairospres­s ?? Der Einbruch in das Dresdener Residenzsc­hloss lässt Olaf Richter auch persönlich nicht kalt: „Ich bin in Dresden geboren.“Nun soll er den Fall aufklären – als Leiter der Soko „Epaulette“, benannt nach einem der gestohlene­n Schmuckstü­cke. Eine Epaulette ist ein Schulterst­ück einer Uniform.
Foto: Thomas Kretschel, Kairospres­s Der Einbruch in das Dresdener Residenzsc­hloss lässt Olaf Richter auch persönlich nicht kalt: „Ich bin in Dresden geboren.“Nun soll er den Fall aufklären – als Leiter der Soko „Epaulette“, benannt nach einem der gestohlene­n Schmuckstü­cke. Eine Epaulette ist ein Schulterst­ück einer Uniform.
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Foto: Polizei Dresden, dpa So sieht der vermisste Polnische Weißadlero­rden aus.

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