Mittelschwaebische Nachrichten
Der Kommissar, der die Juwelendiebe jagt
Kunstraub Der Dresdener Kriminalrat Olaf Richter leitet die Soko, die den spektakulären Diebstahl im Grünen Gewölbe aufklären soll. So etwas macht kein Gelegenheitseinbrecher, sagt er. Und doch ist da auch die Frage: Hat das Sicherheitskonzept versagt?
Dresden Wie so oft am Montagmorgen ist Olaf Richter etwas früher auf dem Weg zu seiner Arbeit. Der Kriminalrat leitet ein Dezernat der Kripo in der Polizeidirektion Dresden. Kurz vor sechs auf der Carolabrücke wundert er sich über den Brandgeruch, den er plötzlich in der Nase hat. Die Ursache, denkt er sich, werde er wohl bei einem Blick in den sogenannten Lagefilm erfahren, eine Liste der jüngsten polizeilich relevanten Ereignisse. „Da schauste mal nach, habe ich mir gesagt“, erzählt Richter.
Um 6.30 Uhr erfährt er dort zum ersten Mal nicht nur von dem Brand, sondern auch vom Einbruch in das Grüne Gewölbe. „Ich habe mir sofort einen Mitarbeiter gegriffen und wir sind hin.“Der Einbruch in das Residenzschloss lässt Richter auch persönlich nicht kalt. „Ich bin in Dresden geboren.“Mit einem solchen Ausmaß habe er aber nicht gerechnet. Als er dann noch erfährt, dass eine Vitrine geöffnet worden ist, „wurde mein Erstaunen immer größer“.
Noch am selben Tag wird Richter, 51, zum Leiter der Sonderkommission „Epaulette“bestimmt und mit der Aufklärung des Kunstdiebstahls beauftragt. Die zunächst zehn Beamten werden noch am Montag auf 20 verdoppelt. Inzwischen sind es 40. Gut eine Woche liegt das spektakuläre Verbrechen nun zurück. Mittlerweile weiß die Öffentlichkeit, dass die Ermittler von vier
Tätern ausgehen. Dass sie aus einer Vitrine gut zwei Dutzend der insgesamt rund 100 Teile umfassenden Juwelengarnituren gestohlen haben. Mehr als 500 Hinweise aus der Bevölkerung liegen bislang vor. Aber von den Tätern fehlt jede Spur.
Den Brandgeruch, den Soko-Leiter Richter an jenem Morgen wahrnimmt, haben bereits die Polizisten in der Nase, die um exakt 5.04 Uhr als Erste am Tatort eingetroffen sind. Sie wunderten sich, dass es so dunkel war. Die Täter hatten einen Elektroverteiler in einem Raum unter der Augustusbrücke in Brand gesetzt, was zum Ausfall der Straßenlaternen vor dem Museum führte. Dadurch konnten sich die Einbrecher unbemerkt an dem Fenster und dem Gitter davor zu schaffen machen. Auf diesem Weg in das sonst gut gesicherte Gebäude einzudringen, muss die größere Hürde für sie gewesen sein. Die Vitrine jedenfalls war es nicht. Deren Sicherheitsglas hatten die Einbrecher in einer halben Minute mit einer Axt bezwungen.
Olaf Richter will auch mit einigen Gerüchten aufräumen. Immer wieder sei von einem Tunnel die Rede, durch den die Täter von der Schinkelwache ins Schloss gelangt sein sollen. Das sei reine Fantasie. Die Polizei ist sicher, dass die Einbrecher durch das zerstörte Fenster ein- und ausgestiegen sind. Auch sei die Beteiligung von Insidern keineswegs logisch. Nach Einschätzung des Kriminalbeamten wäre es auch Ortsfremden mit genauer Vorbereitung möglich gewesen, die Schmuckstücke zu stehlen. Schließlich sind die Bereiche öffentlich einsehund begehbar. Profis seien es in jedem Fall gewesen. „So etwas macht kein Gelegenheitseinbrecher“, sagt Richter.
Eine Frage drängt sich von Anfang an auf: Gab es Versäumnisse beim Thema Sicherheit? Am Montag, exakt eine Woche nach dem Verbrechen, stellen Polizei und Staatsanwaltschaft den Ablauf des Einbruchs nach. Zur gleichen Zeit wie bei der Tat überwinden die Fahnder die äußere Sicherung, um an das Fenster zu gelangen. Zudem prüfen sie die Abläufe in der Sicherheitszentrale und die technischen Abläufe innerhalb des Museums.
Am selben Tag kommt aus der Ferne heftige Kritik von Daniel Zerbin. Er ist Professor für Kriminalwissenschaften an der Northern Business School in Hamburg. Der
Dresdner Fall, sagt er, zeige die Schwächen der deutschen Sicherheitsarchitektur, vor allem hinsichtlich der Einbindung privater Firmen. Wachleute in Museen würden oft als Mitarbeiter zweiter Klasse angesehen und schlecht bezahlt, es gebe eine hohe Fluktuation. In Dresden seien die Wachleute einer privaten Sicherheitsfirma wohl überfordert oder in ihrem Handeln eingeschränkt gewesen, sagt Zerbin.
Der Kaufmännische Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Dirk Burghardt, hatte nach dem Einbruch dagegen die Zurückhaltung der Wachleute verteidigt. Sie hätten sich auch wegen der Brutalität der Einbrecher entschieden, nicht zum Tatort zu gehen, sondern auf die Polizei zu warten.
Soko-Chef Richter kommentiert die Sicherungsvorkehrungen der Staatlichen Kunstsammlungen nicht. Seine Mitarbeiter müssen die Täter finden und am besten auch die Beute. Dazu versuchen sie, jede noch so kleine Spur zu sichern. Erst nach drei Tagen intensiver Ermittlungsarbeit gibt die Polizei den Tatort im Schloss frei. Die Täter hatten unter anderem Feuerlöschpulver versprüht, um ihre Spuren zu verwischen. Die Tatort-Spezialisten hoffen, dass sich dennoch Hinterlassenschaften der Diebe darunter finden. Jetzt hilft die jahrzehntelange kriminalistische Erfahrung: „Kein Tatort ohne Spur“, sagt Richter.
In seinem ersten Gespräch mit Journalisten macht der Soko-Chef keinen resignierten Eindruck. Im Gegenteil. Noch gibt es viel zu tun. Selbst die Frage, ob man über eine Belohnung zur Ergreifung der Täter nachdenke, wiegelt der Mann ab. Jetzt nicht, vielleicht später. Und tatsächlich: Mittlerweile lobt die Polizei 500 000 Euro für Hinweise aus, die zu den Tätern führen.
Im Schloss selbst funkelt der „Hofstaat des Großmoguls“, als wäre nichts gewesen. Auch das Goldene Kaffeezeug glänzt in der Vitrine. Ehrfürchtig betrachten Besucher die Meisterwerke des Hofgoldschmiedes Johann Melchior Dinglinger. Die Normalität hält langsam wieder Einzug in die Ausstellungsräume. Viele Besucher entscheiden sich für einen geführten Rundgang. Nur wenige strecken neugierig den Kopf um die Ecke, um einen Blick auf die geschlossene Tür des Historischen Grünen Gewölbes zu erhaschen. Die soll „möglichst zeitnah“ wieder geöffnet werden, sagt ein Sprecher der Staatlichen Kunstsammlungen. Derzeit überprüfe man gemeinsam mit der Bauverwaltung des Freistaats Sachsen und der Polizei das Sicherheitskonzept.
Natürlich sind es nicht ausschließlich die ausgestellten Kostbarkeiten, die die Aufmerksamkeit der Gäste auf sich ziehen. Während zwei ältere Damen beeindruckt den opulenten Kunstkammerschrank betrachten, kreisen ihre Gedanken um die Geschehnisse, die sich ein Stockwerk unter ihnen zugetragen haben. „Man schaut jetzt mit ganz anderem Blick auf die Vitrinen“, sagt eine von beiden.
Fragen tun sich auch mit Blick auf deren Glas auf, das die Täter mit wenigen Axthieben zerstören konnten. War das Material für seinen Zweck ungeeignet? Das ist schwer zu klären. Es gibt bei Sicherheitsglas vier Widerstandsklassen, die sich wiederum nach dem Schutz gegen verschiedene Angriffsarten unterteilen: Durchwurfhemmung, Durchbruchhemmung, Durchschusshemmung sowie sprengwirkungshemmend. Die offiziellen Bezeichnungen ER1 bis ER4 geben an, welchem Angriffsgewicht, welchem Angriffswerkzeug oder welcher Angriffswaffe die Scheibe für eine bestimmte Zeit widerstehen muss.
Das üblicherweise ausgeschriebene Glas für Museumsvitrinen ist ein 10,76 Millimeter dickes Verbundsicherheitsglas aus zwei Scheiben von je fünf Millimeter Stärke und zwei dazwischen laminierten PVBFolien. Dieses Glas entspricht der Widerstandsklasse Durchwurfhemmung
Mehr als 500 Hinweise aus der Bevölkerung liegen vor
Wenigstens gibt es eine gute Nachricht
P3A. Es muss dem dreimaligen Aufprall einer 4,11 Kilo schweren Stahlkugel mit zehn Zentimetern Durchmesser aus sechs Metern Höhe standhalten. Axtschlägen hingegen kann es nicht widerstehen.
Der Überfall auf das Domizil von „Sachsens Staatsschatz“bestimmt natürlich auch viele Gespräche unter den Gästen im Museumsfoyer, wo allerdings die Freude auf die Kunst überwiegt. „Wir sind wegen der Paraderäume hier“, sagt ein Tourist aus Strausberg bei Berlin. „Es ist kein Katastrophentourismus.“Der Einbruch sei betrüblich, aber habe mit dem Besuch nichts zu tun.
Ein 61-Jähriger aus Gütersloh in Westfalen erzählt von dem Schock am Montag vor einer Woche, als er ins Schloss wollte. „Es war ein negatives Erlebnis, aber wir haben dadurch immerhin den Ministerpräsidenten gesehen.“Zum Juwelendiebstahl hat der Mann auch eine Meinung: Das sei angesichts der unzureichenden Absicherung für Kunstschätze von solchem Wert „schon etwas blamabel“.
Eine gute Nachricht gibt es dann doch. Am Dienstag betont ein Sprecher der Kunstsammlungen, dass es für die mit dem Löschpulver besprühten Schmuckstücke Hoffnung gibt. Der Deutschen Presse-Agentur sagt er: „Nach der gegenwärtigen Einschätzung werden die verbliebenen Stücke rückstandslos gereinigt werden können.“