Mittelschwaebische Nachrichten
Demokratie für 29,95 Euro?
Veranstaltung Aktivisten wollen Berliner Olympiastadion mieten und dort „die Probleme unserer Zeit lösen“
Berlin Wer das Video sieht, fühlt sich an eine Dauerwerbesendung erinnert. Eine, in der Frauen mit schönen Dauerwellen versprechen, wer dieses Mittel kaufe, habe nie wieder Probleme mit Flecken. Versprochen! Der Hintergrund des Films ist nur hipper. Und die Menschen vor der Kamera sind der Verkaufsender-Zielgruppe vermutlich kein Begriff: Charlotte Roche, Waldemar Zeiler, Philip Siefer oder Luisa Neubauer. Was sie versprechen, klingt großartig und gruselig zugleich: „Es geht um die Zukunft unserer Zivilisation. Es geht darum, wie wir die größte Krise der Menschheit lösen können. Die Lösung gibt es bei Startnext zu kaufen. Für nur 29,95 Euro könnt ihr euer Ticket zur größten Krisensitzung Deutschlands kaufen.“
Das sind die einleitenden Worte, mit denen die Promis versuchen, mindestens 60000 Menschen davon zu überzeugen, bei einer Crowdfunding-Kampagne mitzumachen. Ziel ist es, 1,8 Millionen Euro zu sammeln, um das Berliner Olympiastadion
zu mieten. Und dann?„Wir treffen uns und kümmern uns um die Probleme unserer Zeit.“
Worum geht es genau? Seit etwa einem Jahr gehen weltweit Jugendliche auf die Straße. Sie machen ihrem Ärger über die Klimapolitik Luft. Doch sehr viel mehr als das Klima als Dauer-Thema zu etablieren, ist ihnen bislang nicht gelungen. Die Politik geht auf ihre Forderungen nicht ein. Das Klimapaket blieb hinter den Erwartungen zurück und wird im Bundesrat blockiert. Deshalb gibt es nun die Kampagne.
Am 12. Juni 2020 sollen 90000 Menschen zu „12062020Olympia“in das Olympiastadion kommen. Dort wollen die Initiatoren Petitionen ausarbeiten und diese dann per Online-Abstimmung an den Petitionsausschuss des Bundestags schicken. Denn sobald eine Petition 50 000 Unterschriften oder mehr erreicht, muss sich der Ausschuss mit ihr befassen. Die 90 000 Teilnehmer sollen so Politik machen.
Waldemar Zeiler und Philip Siefer sind Mitinitiatoren der Veranstaltung. Vor vier Jahren traten die Gründer mit ihrem Unternehmen
Einhorn bei der Show „Die Höhle der Löwen“auf. Seither macht die Firma, die vegane und faire Kondome, Tampons und Menstruationstassen herstellt, immer wieder von sich reden. Aber nicht wegen ihrer Produkte. Sondern wegen ihrer Ideen. Zum Beispiel, weil ihr Start-up anders organisiert ist. Die Firma gehört sich selbst. Mitarbeiter legen Gehalt, Arbeitszeit und Urlaub selbst fest. Im Frühjahr setzte sich Einhorn dafür ein, den Mehrwertsteuersatz auf Tampons und Binden zu senken. Statt 19 Prozent sollten nur noch sieben Prozent bezahlt werden. Das war keine neue Forderung. Doch diesmal gelang es. Weil Einhorn sehr viele Menschen mobilisierte. Und die 50000-Unterschriften-Marke knackte. Ein Erfolg für Einhorn. Und ein Knackpunkt auf dem Weg zu „Olympia“.
So erzählt es Markus Wörner. Er ist Pressesprecher von Einhorn und organisiert die Olympia-Veranstaltung mit. „Damals haben wir gemerkt, dass man mit demokratischen Mitteln etwas bewegen kann“, sagt er. Und das wollen die Olympia-Initiatoren auch im Juni wieder tun. „Nur um das klarzustellen: Wir wollen keine Politik machen. Wir wollen den Politikern nur den Weg weisen“, sagt Wörner.
Auf der einen Seite löst die Veranstaltung Begeisterung aus, hat schon prominente Unterstützer: Joko Winterscheidt, Andreas Bourani oder Lena Meyer-Landrut. Auf der anderen Seite gibt es etliche Kritiker. So distanzierte sich etwa die „Fridays for Future“-Ortsgruppe Frankfurt von der Veranstaltung. Der Eintrittspreis sei undemokratisch. Weil sich nicht jeder ein 30-Euro-Ticket leisten könne. Andere finden die Rolle von Einhorn merkwürdig. Sie fragen sich, ob das Unternehmen die Veranstaltung nur benutze, um für sich zu werben. Wörner sagt: „Wer uns kennt, weiß, dass es uns nicht darum geht, Gewinn zu machen.“Natürlich könne es sein, dass Menschen, die die Idee gut finden, dann auch Produkte des Unternehmens kaufen.
Der dritte Kritikpunkt: Wer das Werbevideo sieht, könnte denken, eine Unterschrift auf einer OnlinePetition reiche, damit ein Gesetz entsteht. Das ist ein Trugschluss, sind sich Beobachter einig. Ja, der Petitionsausschuss müsse sich mit dem Anliegen befassen. Aber das heiße noch nichts. Um etwas zu bewegen, seien politische Mehrheiten erforderlich. „Die Probleme unserer Zeit“ließen sich mit der Berliner Veranstaltung nicht lösen, wenigstens diskutieren.