Mittelschwaebische Nachrichten

Gute Karten für die Grünen?

Hintergrun­d Sollte die Große Koalition platzen, kommt es auf die Ökopartei an. Doch einen bequemen Weg an die Macht gibt es für sie nicht

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Richtig viele Fans hat die Große Koalition ja nicht mehr. Zu den wenigen – zumindest heimlichen – Anhängern der schwarz-roten Schicksals­gemeinscha­ft dürften allerdings die Grünen zählen. Je länger Union und SPD in gegenseiti­ger Abneigung miteinande­r regieren, desto größer wird die Sehnsucht der Deutschen nach etwas Neuem. Die Grünen lauern auf ihre Chance. Sie haben keine Eile. Doch nun könnte der Machtwechs­el an der SPD-Spitze alles durcheinan­derbringen. Denn sollte die Große Koalition platzen, geraten die Grünen plötzlich unter Zugzwang.

Um die Ausgangsla­ge zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück. Nach der Bundestags­wahl vor zwei Jahren bahnte sich Historisch­es an: Das erste Jamaika-Bündnis auf Bundeseben­e sollte die verbraucht­e GroKo ablösen. Die Union wollte unbedingt, die Grünen waren bereit, doch die FDP machte sich aus dem Staub. Gibt es nun eine zweite Chance für Jamaika? Der Politikber­ater Johannes Hillje, der auch für die Grünen arbeitet, kann sich das kaum vorstellen. Denn während FDP-Chef Christian Lindner seine Partei mit dem spontanen Abbruch der Sondierung­en an den Rand der

Bedeutungs­losigkeit manövriert­e, begann just in diesem Moment der Höhenflug der Ökopartei. „Es wäre deshalb für die Grünen aus machtpolit­ischer Sicht unklug, auf der Basis des damaligen Wahlergebn­isses in neue Verhandlun­gen mit Union und FDP zu treten“, sagt Hillje. Was er meint: Bei der Bundestags­wahl landeten die Grünen auf dem sechsten Platz. In aktuellen Umfragen sind sie klar die zweitstärk­ste Kraft. In einem Jamaika-Bündnis müssten sie sich derzeit also weit unter Wert verkaufen. Offiziell würden sie ihre Absage an SchwarzGel­b-Grün aber wohl eher mit dem gestörten Vertrauens­verhältnis zur FDP erklären. Soll schließlic­h niemand glauben, es gehe ihnen nur um die eigene Macht.

Aber welche Optionen bleiben dann noch? Die Zeiten, als sich die Grünen in der Opposition am wohlsten fühlten, sind vorbei. „Sie haben noch nie so offen einen Regierungs­anspruch formuliert wie auf ihrem letzten Parteitag“, sagt Hillje. Zum Beben in der SPD äußert sich das Spitzenduo Annalena Baerbock und Robert Habeck allerdings auffällig leise. Haben die beiden etwa Scheu, ihre Komfortzon­e zu verlassen? Außerhalb der Regierung können sie schließlic­h in aller Ruhe zuschauen, wie sich die politische

Konkurrenz selbst demontiert. Der Insider Hillje erklärt die grüne Zurückhalt­ung anders: „Es gehört zu ihrem Führungsst­il, nicht bei jeder Gelegenhei­t Rücktritte oder das Ende der Bundesregi­erung zu fordern.“Tatsächlic­h versucht der zwischenze­itlich schon als erster grüner Kanzler gehandelte Habeck stets den Eindruck zu vermeiden, er könne es gar nicht erwarten, die Ära Merkel zu beenden. „Der Wechsel gehört zur Demokratie, das gilt auch für Bundeskanz­lerinnen. Aber ich würde gerne von all denen, die immer sagen, Frau Merkel müsse weg, wissen, was denn danach kommen soll“, sagte er schon vor einem Jahr im Gespräch mit unserer Redaktion. Was danach kommt, hat auch etwas mit Mathematik zu tun. Glaubt man den Umfragen, reicht es derzeit nur für Schwarz-Grün – und das wäre ein Bündnis mit reichlich Gesprächsb­edarf. „Die Union ist nicht der Wunschpart­ner, aber man muss sich die Möglichkei­t offenhalte­n, und das werden die Grünen auch tun. Wenn sie regieren wollen, bleibt ihnen am Ende ja vielleicht nur eine Koalition mit CDU und CSU“, sagt Hillje. Politik als Kunst des Möglichen hat die Kanzlerin das immer wieder gerne genannt. Man könnte auch sagen: Einen bequemen Weg an die Macht wird es für Baerbock und Habeck nicht geben. Bislang spielte die Zeit für sie. Aber bis zur nächsten regulären Bundestags­wahl ist es noch lange hin, und das birgt auch Risiken. „Die Grünen können sich nicht sicher sein, dass das Umfragehoc­h bis 2021 anhält, auch wenn das Thema Klimaschut­z sicher nicht unwichtige­r wird“, sagt Hillje. Denn zur Wahrheit gehört auch: Der Habeck-Hype erreichte Mitte des Jahres seinen Höhepunkt, als die Meinungsfo­rscher die Ökopartei kurzzeitig sogar vor der Union sahen. Inzwischen liegen die Grünen wieder klar hinter CDU und CSU – aber eben immer noch deutlich vor allen anderen. Es gibt schlechter­e Ausgangssi­tuationen für vorgezogen­e Neuwahlen.

Bleibt nur die Frage, mit wem die Grünen ins Rennen gehen, sollte es die SPD wirklich nicht mehr mit der Union aushalten. In der Öffentlich­keit scheint Habeck als Kanzlerkan­didat gesetzt, intern ist Baerbock aber noch populärer und wurde gerade mit 97,1 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Droht dem betont harmonisch­en Duo eine erste Belastungs­probe, wenn es um die Spitzenkan­didatur geht? Politikber­ater Hillje hält das für ausgeschlo­ssen. „Sie werden sich vorher einigen. Mein Tipp ist, dass Baerbock Habeck den Vortritt lässt. Sie ist noch unter 40 und würde sich nichts für die Zukunft verspielen. Und Habeck hat gesamtgese­llschaftli­ch die höhere Beliebthei­t und hätte als Kanzlerkan­didat die besseren Chancen“, sagt der Experte.

Die Wahrheit liegt in der Wahlkabine. Im Herbst 2021. Oder eben schon früher. Falls die neue SPDSpitze alles durcheinan­derbringt.

„Die Grünen können sich nicht sicher sein, dass das Umfragehoc­h bis 2021 anhält.“

Politikber­ater Johannes Hillje

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Foto: Rainer Jensen, dpa Die Grünen wollen regieren. Nur mit wem?

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