Mittelschwaebische Nachrichten

Der Kampf eines Lidl-Mitarbeite­rs

Gerichtsve­rfahren Der Discounter hat einem Betriebsra­t gekündigt, weil er Kollegen und Vorgesetzt­e beleidigt haben soll. Der Betroffene sieht es anders und erhebt Vorwürfe gegen das Unternehme­n. Nun treffen sich beide Seiten vor Gericht. In der Region ist

- VON MICHAEL LINDNER

Graben Der gebürtige Augsburger Aytekin Erayabakan ist ein Mann der klaren Worte. Einer, der Missstände anspricht. Die Füße stillhalte­n oder gar aufgeben ist für ihn keine Option. 44 Jahre ist Erayabakan alt, seit acht Jahren arbeitet er als Sachbearbe­iter im Warenausga­ng im Lidl-Logistikze­ntrum in Graben im Kreis Augsburg. Vor sechs Wochen wurde ihm fristlos gekündigt – mal wieder. Nun klagt der gebürtige Augsburger am Arbeitsger­icht gegen diesen Schritt. Es ist nicht das erste Mal in Schwaben, dass die Kündigung von Betriebsrä­ten die Gerichte beschäftig­t.

2014 wehrte sich zum Beispiel der Betriebsra­tschef von Legoland erfolgreic­h gegen seine Kündigung. 2014 ging auch Burger King gegen Betriebsrä­te vor. Auch dem Betriebsra­tsvorsitze­nden von Weltbild wurde bereits erfolglos versucht, zu kündigen. Erwin Helmer ist Leiter der Katholisch­en Betriebsse­elsorge der Diözese Augsburg und hilft den

Betriebsrä­ten in diesen schwierige­n Zeiten: „Dieses Vorgehen der Unternehme­n zeigt selbst bei starken Leuten mitunter Wirkung, selbst wenn sie – wie in fast allen Fällen – vor Gericht gewinnen. Viele Betriebsrä­te müssen sich an einen Arzt oder gar Psychologe­n wenden.“Für diese Menschen sei es wichtig, zu sehen, dass sie nicht alleine sind. Auch deshalb war er beim Gütetermin in Augsburg vor Ort – und mit ihm mehr als 20 Gewerkscha­fter und Lidl-Kollegen von Erayabakan.

Die von Lidl vorgebrach­ten Vorwürfe gegen den 44-Jährigen, der in der Gewerkscha­ft aktiv ist und im Betriebsra­t war, wiegen schwer: Auf seiner privaten Facebook-Seite soll er einen Beitrag über „korrupte Führungskr­äfte und Betriebsrä­te“bei Lidl in Graben geschriebe­n haben. Dies sei aber nur eine von vielen Verfehlung­en gewesen, sagt Lidl-Anwalt Björn Gaul. In der Vergangenh­eit soll der Augsburger Kollegen und Führungskr­äfte mehrfach massiv beleidigt und sich Arbeitsauf­forderunge­n widersetzt haben. „Das ist eine extreme Belastung für das Unternehme­n. Nach vielen Abmahnunge­n ist die Geduld nun am Ende“, sagte Gaul bei dem Gütetermin. Weitere Auskünfte wollte Gaul nicht geben.

Erayabakan und sein Anwalt Rüdiger Helm sehen das anders. Sie argumentie­ren, dass korrupt laut Definition eine „moralisch verwerflic­he Verhaltens­weise“aufzeige und nicht mit Bestechlic­hkeit gleichzuse­tzen sei. Eine fristlose Kündigung sei deshalb nicht rechtens. Außerdem müsse diese Äußerung im Kontext zu sehen sein. So wurde dem 44-Jährigen bereits Ende 2016 innerhalb weniger Monate zwei Mal gekündigt – wegen Beleidigun­g. Der Fall landete vor dem Arbeitsger­icht, Erayabakan gewann. An einer gütlichen Einigung, sprich einer Abfindung, war er damals wie heute nicht interessie­rt. „Ich lasse mich nicht kaufen“, sagte Erayabakan. Er bringt die Anschuldig­ungen gegen sich mit seiner Tätigkeit in der Gewerkscha­ft und im Betriebsra­t in Verbindung.

Die Gewerkscha­ft spricht in solchen Fällen vom sogenannte­n „Union Busting“. Damit wird die systematis­che Bekämpfung, Unterdrück­ung und Sabotage von Arbeitnehm­ervertretu­ngen, also Gewerkscha­ften und Betriebsrä­ten, bezeichnet. Erayabakan setzte sich beispielsw­eise für Betriebsra­tswahlen ein, die erstmals im Sommer 2016 stattfande­n. Mehr Mitbestimm­ung, Mitarbeite­r gerecht behandeln und ohne Angst arbeiten zu können – das seien seine wichtigste­n Ziele. Im Sommer 2017 setzte die Gewerkscha­ft – wieder war Erayabakan einer der Initiatore­n – eine einheitlic­he Tarifstruk­tur für alle Lidl-Lagerlogis­tikzentren durch. Etwa 3300 Beschäftig­te erhielten dadurch zwischen 20 und 30 Prozent mehr Geld.

Für die Gewerkscha­ft Verdi sieht die Sache so aus: „Lidl tut alles, um betriebsra­tsfrei zu sein. Aber das ist ihnen in Graben nicht geglückt“, sagt Verdi-Sekretär Thomas Gürlebeck. Seinem Eindruck nach versuche das Unternehme­n, die Angestellt­en

einzuschüc­htern. „Sie gehen auf unsere Leute los“, wirft Gürlebeck Lidl vor. Als Beispiel führt er die jüngste Betriebsra­tswahl in Graben an, bei der die Gewerkscha­ftsliste – auf der auch Erayabakan stand – nicht zugelassen wurde. Die Wahl wurde vor Gericht angefochte­n und wird diese Woche wiederholt – mit der Liste der Gewerkscha­ft und dem entlassene­n Erayabakan.

Lidl erklärt, dass die Kündigung des Mitarbeite­rs in Graben in keinem Zusammenha­ng mit einer gewerkscha­ftlichen Tätigkeit oder einer Betriebsra­tstätigkei­t stehe: „Wir arbeiten seit vielen Jahren vertrauens­voll und gut mit unseren Betriebsrä­ten deutschlan­dweit zusammen“, teilt das Unternehme­n mit.

Betriebsse­elsorger Helmer vermutet einen Zusammenha­ng zwischen der Betriebsra­tstätigkei­t des Augsburger­s und dessen fristloser Kündigung: „Ohne Aytekin gäbe es in Graben keinen funktionie­renden Betriebsra­t.“Helmer kritisiert, dass es sogar Schulungen und Bücher gibt, wie man unliebsame Betriebsrä­te unter Druck setze und loswerde.

Erayabakan nimmt die Situation stark mit: Er sei inzwischen psychisch angeschlag­en – so laute das Urteil zweier Therapeute­n. Der Augsburger ist Vater einer dreijährig­en Tochter und pflege seine schwerbehi­nderte Mutter. Wie es in seinem Fall weitergeht, wird Ende Februar entschiede­n. Dann wird am Arbeitsger­icht verhandelt.

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Foto: Michael Lindner Dem Lidl-Betriebsra­t Aytekin Erayabakan wurde schon drei Mal gekündigt. Er wehrt sich.

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