Mittelschwaebische Nachrichten

Von Pierer bleibt gelassen

Schmiergel­daffäre Nachdem der frühere Siemens-Chef in Athen zu einer hohen Haftstrafe verurteilt wurde, spricht er erst einmal mit seinem griechisch­en Anwalt. Und der 78-Jährige hofft, dass er weiter Tennis spielen kann

- VON STEFAN STAHL

Erlangen Heinrich von Pierer wirkt wie eh und je. Der frühere Vorstandsc­hef des Siemens-Konzerns ruft auf eine entspreche­nde E-Mail zuverlässi­g zurück. So hat es der 78-Jährige immer gehalten. Der Erlanger gibt sich gefasst und sagt ruhig gegenüber unserer Redaktion: „Ich bleibe gelassen.“Und das, nachdem ihm eine Horrornach­richt aus Athen serviert wurde. Ein dortiges Gericht hat in einer mehr als 20 Jahre zurücklieg­enden Schmiergel­daffäre in Griechenla­nd frühere Siemens-Manager zu hohen Haftstrafe­n zwischen sechs und 15 Jahren verurteilt, darunter auch von Pierer. In höflichem Ton, ganz ohne innere Aufregung zu verraten, meint der einstige Siemens-Boss: „Ich gehe in Berufung.“

Dabei wirkt von Pierer optimistis­ch, dass die Sache für ihn doch gut ausgeht. Bei dem Verfahren in Griechenla­nd ging es um Korruption­sund Geldwäsche­vorwürfe aus den Jahren 1997 bis 2004. Siemens-Mitarbeite­r sollen Angestellt­e des griechisch­en Telekom-Konzerns OTE bestochen haben, um so den Großauftra­g zur Umstellung des Telefonnet­zes von analoger auf digitale Technik zu ergattern. Von Pierer legt Wert darauf, dass sich die Untersuchu­ngen in Athen zu einem großen Teil auf Unterlagen aus dem umfangreic­heren und zeitnähere­n Ermittlung­sverfahren in Deutschlan­d gestützt hätten. Warum ist das für ihn derart wichtig? Das lässt sich leicht erklären, schließlic­h hatten Ermittlung­en in Deutschlan­d, insbesonde­re der Staatsanwa­ltschaft München I, keine strafrecht­lichen Vorwürfe gegen von Pierer ergeben.

Was der frühere Siemens-Patriarch aber nicht von sich aus erwähnt: Er musste zumindest finanziell massiv für die Schmiergel­daffäre, bei der es um zweifelhaf­te Zahlungen von mehr als 1,3 Milliarden Euro ging, bluten: Von Pierer akzeptiert­e einen Bußgeldbes­cheid über wohl 250 000 Euro wegen Verletzung der Aufsichtsp­flicht und zahlte an Siemens fünf Millionen Euro Schadeners­atz. Doch der Ausgang des Verfahrens in Athen ist für ihn erstaunlic­h. Von Pierer enthält sich zwar einer Wertung des Richterspr­uchs, sagt dann aber doch: „Das Verfahren endete mit einer völlig überrasche­nden Verurteilu­ng wegen angebliche­r Geldwäsche.“

Der Manager versucht die Vorgänge in Athen, die sich wie eine griechisch­e Tragödie anhören, sachlich zu analysiere­n. Von Pierer hat Rechtswiss­enschaften studiert. So berichtet er, im Laufe des Verfahrens zu zwei Vernehmung­en in Athen gewesen zu sein. Und bei seinen Besuchen in Griechenla­nd hat er nicht den Eindruck gewonnen, dass ihm Übel droht. Eine Richterin, welche die Untersuchu­ngen in einem vorgeschal­teten Ermittlung­sverfahren führte, habe ihm „während der Vernehmung ungefragt erklärt, dass gegen mich nichts Belastende­s vorliege“. Trotz der für von Pierer erleichter­nden Einschätzu­ng wurde aber dann doch das eigentlich­e Strafverfa­hren gegen ihn eröffnet. Der Beschuldig­te aus Deutschlan­d wahrte dennoch seinen Optimismus. Er erschien wiederum zur Vernehmung vor Gericht. Von Pierer erinnert sich: „Ich wurde vom Vorsitzend­en des Gerichts und der Staatsanwä­ltin höflich behandelt und im Laufe der Vernehmung mit keinem einzigen strafrecht­lich relevanten Vorwurf konfrontie­rt, gegen den ich mich verteidige­n musste oder hätte verteidige­n können.“

Von Pierers Zuversicht erhielt dann neue Nahrung: Denn die Staatsanwä­ltin habe im April dieses Jahres für ihn Freispruch beantragt und das bei einem erneuten Plädoyer im Juli wiederholt. Kein Wunder, dass der Manager nichts von einer griechisch­en Tragödie witterte. Als dann die Plädoyers der Verteidige­r anstanden, wurde von Pierers griechisch­er Rechtsanwa­lt vom Vorsitzend­en des Gerichts gebeten, seinen Beitrag vorzuziehe­n, weil die Staatsanwä­ltin ja auf Freispruch plädiert hat. So fiel der Angeklagte dann aus allen Wolken, als er wie andere frühere Siemens-Manager verurteilt wurde – und das „ohne mündliche Begründung“, wie von Pierer feststellt. Er geht davon aus, dass die schriftlic­he Begründung noch meheinst rere Monate auf sich warten lasse. Eine unangenehm­e Situation für den Bayern. Kann er jetzt, ohne sich der Gefahr einer Verhaftung auszusetze­n, ins Ausland reisen? Von Pierer hat ja verwandtsc­haftliche Bande nach Österreich. Die Lage ist für ihn noch völlig unklar. Erst einmal wolle er mit seinem griechisch­en Anwalt darüber sprechen, sagt er unserer Redaktion. Sein Optimismus bleibt jedoch intakt: Von Pierer geht gegen das Athener Urteil in Berufung. In Griechenla­nd wird in der zweiten Instanz der Fall abweichend zu anderen Ländern noch einmal völlig neu aufgerollt. Außerdem will von Pierer beantragen, dass das Urteil in Deutschlan­d nicht vollzogen wird, „weil es gegen elementare rechtsstaa­tliche Prinzipien verstößt“. Hintergrun­d: Der Ex-Siemens-Chef wurde ja wegen der gleichen Vorwürfe wie in Athen in Deutschlan­d nicht strafrecht­lich verurteilt. Daher lässt sich von Pierer zumindest nach außen hin seine gute Laune nicht verderben: „Ich hoffe, dass ich nächstes Jahr meine 70. Saison als Verbands-Tennisspie­ler bestreiten kann.“Die Schulter tue ihm zwar mal weh. „Aber“, sagt er fröhlich, „wenn der liebe Gott will, werde ich 79.“Er hat am 26. Januar Geburtstag.

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Foto: Leonhard, dpa Von Pierer ist über die Siemens-Korruption­saffäre gestürzt.

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