Mittelschwaebische Nachrichten

Insekten im Sinkflug

Natur Vor einem Jahr wurde in Bayern das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“zugelassen. Seither wurde so viel über das Artensterb­en diskutiert wie nie zuvor. Wie dramatisch die Situation aktuell ist – und welches Gift im Honig steckt

- VON STEPHANIE SARTOR

München Der vergangene Winter war besonders. Nicht nur deshalb, weil er besonders warm und nass war, sondern auch, weil so viel über Insekten gesprochen wurde, wie das üblicherwe­ise nur an einem heißen Sommertag der Fall ist, wenn es summt und brummt und sich die Wespen über den Kirschkuch­en am Kaffeetisc­h hermachen. Im November 2018 wurde das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“vom bayerische­n Innenminis­terium zugelassen. Und das sollte, wie wir ein Jahr später wissen, Geschichte schreiben: Es wurde das erfolgreic­hste bayerische Volksbegeh­ren aller Zeiten.

Seit jenem Winter also wird so viel über das Thema Artensterb­en gesprochen wie wohl nie zuvor. Einer, der sich intensiv mit der Thematik auseinande­rgesetzt hat, ist Andreas Segerer von der Zoologisch­en Staatssamm­lung in München. An diesem Donnerstag wird er bei einem internatio­nalen Fachsympos­ium in München, bei dem Experten aus ganz Europa über das Artensterb­en diskutiere­n, einen Vortrag halten. Er weiß, wie die Situation im Freistaat aussieht: Gar nicht gut.

Segerer ist Schmetterl­ingsforsch­er. Und die Tiere, sagt er, seien Bioindikat­oren für die gesamte Insektenwe­lt. Gewisserma­ßen eine Art Fieberther­mometer für den Zustand der Natur. Und dieses Thermomete­r zeigt besorgnise­rregende Werte an: „Wir haben drei- bis zehnmal weniger Schmetterl­inge als vor 40 Jahren.“Das heißt: Wo man früher zehn Zitronenfa­lter gesehen hat, da sieht man heute nur noch einen.

Von 3300 bayerische­n Schmetterl­ingsarten sind elf Prozent ausgeoder verscholle­n. Hinzu kommt: Das Sterben beschleuni­gt sich. „In den letzten 30 Jahren des 20. Jahrhunder­ts sind mehr Schmetterl­inge in Bayern verschwund­en als in den 200 Jahren zuvor“, sagt Segerer. Und zu den elf Prozent, die weg sind, kommen 30 Prozent dazu, die mit dramatisch­en Rückgängen zu kämpfen haben. Diese Zahlen, sagt Segerer, seien bei anderen bayerische­n Insektenar­ten ähnlich.

Gründe für diese Entwicklun­g gibt es viele: Eine intensiver­e Landnutzun­g, Flächenfra­ß, großflächi­ge Überdüngun­g und Pestizidei­nsatz. Es existierte­n in Bayern zwar noch artenreich­e Lebensräum­e – „wenn sich die aber auf einer Karte anschaut, braucht man eine Lupe“, sagt Segerer. Es handle sich um einzelne grüne Inseln, die durch Betonund Agrarwüste­n voneinande­r getrennt seien. „Das Problem dabei ist, dass es keinen Austausch mehr gibt, die genetische Vielfalt geht verloren.“Die Insekten seien dadurch weniger widerstand­sfähig.

Auch der Autoverkeh­r, Windräder oder die Lichtversc­hmutzung spielten eine Rolle. Dabei würden aber nur einzelne Tiere getötet, normalerwe­ise könne das die Natur verkraften – nicht aber, wenn sie schon geschwächt ist. „Man muss die vielen Faktoren unterschie­dlich gestorben wichten. Ein Windrad ist für die Insekten nicht so schlimm wie die Überdüngun­g oder der Pestizidei­nsatz.“Was also tun? Segerer hat da eine klare Meinung: „Wir brauchen eine Agrarwende.“

Auch Professor Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltfors­chung in Halle beschäftig­t sich seit Jahren mit dem Thema Artenschwu­nd. Was in Bayern geschieht, geschehe auf der ganzen Erde, sagt er. Bis zu einer Million Arten sind weltweit in den nächsten Jahrzehnte­n vom Aussterben bedroht, wenn nicht gegengeste­uert wird – mehr als jemals zuvor. „Quer durch unsere Ökosysteme werden die Arten weniman ger“, sagt Settele. In Industries­taaten genauso wie in Dritte-WeltLänder­n. Und längst sind nicht nur Insekten bedroht. Noch schlimmer stehe es um Amphibien und Reptilien, weil deren Lebensräum­e immer mehr schrumpfen und Krankheite­n und der Klimawande­l hinzukomme­n, erklärt der Experte.

Diesen Sinkflug gibt es Settele zufolge schon lange – er wurde aber nicht wahrgenomm­en, man habe das Problem verschlafe­n. Nun habe sich zwar die Wahrnehmun­g geändert – bis aber etwas geschieht, könne es dauern. „Und dann könnte es zu spät sein“, befürchtet Settele. Dass es überhaupt ein Umdenken gab, liege vor allem an der Krefelder Studie. Die 2017 publiziert­e Untersuchu­ng zeigt: In Teilen Deutschlan­ds sind etwa 75 Prozent der Insekten-Biomasse verschwund­en.

Dass es immer weniger Arten gibt, hänge von vielen – oft winzigen – Faktoren ab. Etwa: Vom Kuhfladen. Settele erklärt das so: Früher wurden Kühe öfter draußen auf der Weide gehalten, heute stehen sie meist in Ställen. Das hat zur Folge, dass es in der Landschaft weniger Kuhfladen gibt – die dienten aber den Insekten, die den Kot zersetzt haben, als Lebensraum.

Auch Settele sagt, dass die intensiver­e Landnutzun­g und der Einsatz von Pestiziden die Hauptprobl­eme seien. Die Gifte finden sich übrigens auch in unseren Lebensmitt­eln. Wissenscha­ftler haben bei der Untersuchu­ng von Honig aus der ganzen Welt festgestel­lt: 75 Prozent der Proben enthielten Neonicotin­oide. Die Mittel scheinen für den Menschen nicht akut gefährlich zu sein – für Bienen und die meisten anderen Insekten allerdings schon.

 ??  ??
 ?? Foto: Felix Kästle, dpa ?? In Bayern gibt es immer weniger Schmetterl­inge. Auch andere Insektenar­ten haben es schwer.
Foto: Felix Kästle, dpa In Bayern gibt es immer weniger Schmetterl­inge. Auch andere Insektenar­ten haben es schwer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany