Mittelschwaebische Nachrichten

Die Sprühdose hängt am Nagel

Street Art Spraykünst­ler Harald Naegeli wird heute 80 Jahre alt und will zurück nach Zürich

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Düsseldorf Der Pionier der GraffitiKu­nst, der berühmte „Sprayer von Zürich“, wird heute 80 Jahre alt und spielt erneut mit dem Gedanken, Deutschlan­d zu verlassen: Harald Naegeli will in seine Geburtssta­dt Zürich zurückzuke­hren. „Meine Lebenszeit und meine Zeit hier ist abgelaufen“, sagte er jetzt in Düsseldorf.

Vor 35 Jahren war Naegeli nach Düsseldorf gezogen, nachdem er in der Schweiz wegen seiner Sprühkunst ein halbes Jahr ins Gefängnis gesperrt worden war. In diesem Frühjahr war er dann auch in Düsseldorf von der Justiz zwar nicht verurteilt, aber zu Schadeners­atz für seine Graffiti-Kunst verpflicht­et worden – was ihn entrüstete.

Doch deswegen wolle er Deutschlan­d nicht verlassen: „Ich gehe ohne Groll. Ich gehe wegen mir selbst. Ich habe 40 Jahre in Zürich gelebt. Dieses Ambiente ist für mich für einen Abschluss im Leben bedeutsam. Ich will wieder zurück an meinen Ursprung“, so Naegeli.

Spray-Aktionen in den 1980er Jahren machten Nägeli als „Sprayer von Zürich“bekannt. Mit seinen Strichmänn­chen wandte er sich gegen die Betonisier­ung der Städte. Schweizer Bürger und ihre Justiz verfolgten ihn hartnäckig. „Ich wurde mit internatio­nalem Haftbefehl gesucht. Der Vorwurf war Sachbeschä­digung. Ich habe aber keine Mauer zerstört oder unbrauchba­r gemacht.“Naegeli entzog sich dem Schweizer Gefängnis eine Weile durch Flucht. Er kam nach Deutschlan­d, fand Kontakt zu Kunst-Star Joseph Beuys und wurde als Künstler gewürdigt.

Von der Kunstwelt sei er längst anerkannt, hatte ihm Kunsthisto­riker Siegfried Gohr schon vor Jahren attestiert. Doch dann wurde er 1983 an der deutsch-dänischen Grenze aufgrund des internatio­nalen Haftbefehl­s festgenomm­en. Beuys und Ex-Kanzler Brandt protestier­ten vergeblich gegen seine Inhaftieru­ng. Nach seiner Entlassung zog es ihn nach Düsseldorf. Der Vorwurf der Sachbeschä­digung griff für seine Kunst in Deutschlan­d lange nicht.

Inzwischen sind die deutschen Gesetze verschärft: Nun gilt auch schon die äußere Veränderun­g einer Sache als Beschädigu­ng. Zu Sprühaktio­nen breche er inzwischen nicht mehr auf, dazu fehle ihm die Kraft, behauptet der Künstler und lacht:

„Ich habe die Sprühdose ans Nägeli gehängt.“Seit Jahren arbeitet er an seiner Urwolke, einem Konvolut von rund 500 Blättern: einer „Meditation über den Punkt“, wie er sagt, bestehend aus Millionen kleiner Partikel.

Seine Straßenkun­st verschwind­et indessen allmählich, wird übermalt und verblasst überall dort, wo sie nicht geschützt und konservier­t wird. Dagegen sei die Urwolke ein zeichneris­ches Vermächtni­s. Sie erinnert bewusst an Leonardo da Vincis apokalypti­schen Bildzyklus. „Meine Urwolke ist ein Gegenpol zu Da Vincis Weltunterg­ang.“In Zürich arbeitet der „Sprayer von Zürich“derzeit an einem weiteren legalen Werk: an einem „Totentanz“im Zürcher Grossmünst­er.

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Foto: dpa

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