Mittelschwaebische Nachrichten
Watson, der Prozessbegleiter
Justiz Eine Vernehmung vor Gericht ist für viele Menschen eine große Belastung – erst recht für Opfer von Gewaltverbrechen. In Baden-Württemberg gibt es nun eine Hilfe auf vier Pfoten
Stuttgart Seinen ersten Prozess hat Watson jetzt im Herbst besucht. „Es war eine Zeugin mit geistiger Behinderung. Watson hat dann für sie die Situation aufgelockert“, erzählt Hundeführerin Sabine Kubinski. Der dreijährige Golden-RetrieverRüde, ausgebildeter Therapiebegleithund, lag im Saal des Stuttgarter Amtsgerichts die ganze Zeit neben der Zeugin. Wurde diese nervös, konnte sie Watson streicheln, sagt Kubinski. Ein Sexualdelikt sei damals verhandelt worden, mehr will die Sozialarbeiterin aus Rücksicht auf die Beteiligten nicht sagen.
Watson vom Stuttgarter Projekt PräventSozial ist in Baden-Württemberg dem dortigen Justizministerium zufolge der erste Prozessbegleiter auf vier Pfoten. Für jemand mit Affinität zu Hunden habe der Kontakt eine positive Wirkung, erklärt Kubinski. Die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol werde gesenkt, die vom Bindungshormon Oxytocin aktiviert. „Das führt dann zu einem Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit. Und so kann auch die Qualität der Aussagen verbessert werden.“
Seit 2017 haben besonders schutzbedürftige Verletzte einen Anspruch auf professionelle Begleitung und Betreuung während Strafverfahren, die sogenannte psychosoziale Prozessbegleitung. Die Begleiter besuchen das Gerichtsgebäude vorher mit den Betroffenen, erklären ihnen den Ablauf beim Prozesstag und sind auch während der Verhandlung an der Seite der Zeugen. Doch nicht immer ist das genug Hilfe für Opfer.
Während Hund Watson ruhig in einer Ecke liegt, erklärt Justizminister Guido Wolf (CDU) bei einer Pressekonferenz am Dienstag: „Gerade minderjährige Opfer von Sexualund Gewaltdelikten sind oft traumatisiert.“Ihnen falle es häufig schwer, Vertrauen zu anderen Menschen aufzubauen. Hier könnte Watson helfen: „Hunden gelingt häufig, was Menschen gerade bei traumatisierten Opfern manchmal nicht mehr schaffen: Vertrauen und Stabilität zu vermitteln.“Der Minister kündigte zum Modellprojekt mit Watson an: „Wenn sich das bewährt, wenn man spürt, dass das für die Betroffenen eine große Hilfe sein kann, werden wir das gemeinsam ausbauen.“
„Ich glaube auf jeden Fall, dass das funktionieren kann“, sagt die Vorsitzende des Deutschen Berufsverbands für Therapie- und Behindertenbegleithunde,
Ines Pawlitzki. Hunde würden mittlerweile auch in Zahnarztpraxen eingesetzt, um Patienten die Angst zu nehmen. Anders als ein menschliches Gegenüber ist ein Hund einfach da – er gibt ein Angebot zum Kontakt, ohne selbst etwas zu fordern, wie Pawlitzki erklärt. „Hunde haben durch ihre Nicht-Ansprüche einen ganz anderen Zugangsdraht. Sie sind der Eisbrecher, sie sind der Motivator.“
Hunde sind im Gerichtsgebäude eigentlich nicht erlaubt – abgesehen von Assistenzhunden zum Beispiel für Blinde. Kubinski hofft aber, dass sich positive Erfahrungen mit Watson unter Richtern herumsprechen: „Der Vorsitzende Richter hat Watson damals schön eingebunden.“Die Zeugin habe beim Gespräch über ihren vierbeinigen Begleiter ein bisschen gelacht, dem Hund ein Leckerli gegeben – „dann konnte die Vernehmung starten“.
In Bayern gibt es ein solches Projekt nach Angaben einer Sprecherin des Justizministeriums in München bisher nicht.