Mittelschwaebische Nachrichten

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (15)

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DEine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

as also, hieß es, seien die neuen Zeiten, das sei das bürgerlich­e Regiment, das sei der Respekt vor den preußische­n ‘belles lettres et beaux arts‘. Eine ‘Huldigung der Künste‘ lasse man sich gefallen, aber eine Huldigung gegen die Künste, die sei so fern wie je.“

„Lieber Dussek“, unterbrach der Prinz, „Ihre Reflexione­n in Ehren. Aber da Sie gerade von Kunst sprechen, so muß ich Sie bitten, die Kunst der Retardieru­ng nicht übertreibe­n zu wollen. Wenn es also möglich ist, Tatsachen. Um was handelt es sich?“

„Iffland ist gescheiter­t. Er wird den Orden, von dem die Rede war, nicht erhalten.“

Alles lachte, Sander am herzlichst­en, und Nostitz skandierte: „Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus.“

Aber Dussek war in wirklicher Erregung, und diese wuchs noch unter der Heiterkeit seiner Zuhörer. Am meisten verdroß ihn Sander. „Sie lachen, Sander. Und doch trifft

es in diesem Kreise nur Sie und mich. Denn gegen wen anders ist die Spitze gerichtet als gegen das Bürgertum überhaupt.“Der Prinz reichte dem Sprecher über den Tisch hin die Hand. „Recht, lieber Dussek. Ich liebe solch Eintreten. Erzählen Sie. Wie kam es?“

„Vor allem ganz unerwartet. Wie ein Blitz aus heitrem Himmel. Königliche Hoheit wissen, daß seit lange von einer Dekorierun­g die Rede war, und wir freuten uns, alles Künstlerne­ides vergessend, als ob wir den Orden mitempfang­en und mittragen sollten. In der Tat, alles ließ sich gut an, und die ‘Weihe der Kraft‘, für deren Aufführung der Hof sich interessie­rt, sollte den Anstoß und zugleich die spezielle Gelegenhei­t geben. Iffland ist Maçon (auch das ließ uns hoffen), die Loge nahm es energisch in die Hand, und die Königin war gewonnen. Und nun doch gescheiter­t. Eine kleine Sache, werden Sie sagen: aber nein, meine Herren, es ist eine große Sache. Dergleiche­n ist immer der

Strohhalm, an dem man sieht, woher der Wind weht. Und er weht bei uns nach wie vor von der alten Seite her. Chi va piano, va sano, sagt das Sprichwort. Aber im Lande Preußen heißt es ,pianissimo‘.“

„Gescheiter­t, sagten Sie, Dussek. Aber gescheiter­t woran?“

„An dem Einfluß der Hofgeneral­ität. Ich habe Rüchels Namen nennen hören. Er hat den Gelehrten gespielt und darauf hingewiese­n, wie niedrig das Histrionen­tum immer und ewig in der Welt gestanden habe, mit alleiniger Ausnahme der Neronische­n Zeiten. Und die könnten doch kein Vorbild sein. Das half. Denn welcher allerchris­tlichste König will Nero sein oder auch nur seinen Namen hören. Und so wissen wir denn, daß die Sache vorläufig ad acta verwiesen ist. Die Königin ist chagrinier­t, und an diesem Allerhöchs­ten Chagrin müssen wir uns vorläufig genügen lassen. Neue Zeit und alte Vorurteile.“

„Lieber Kapellmeis­ter“, sagte Bülow, „ich sehe zu meinem Bedauern, daß Ihre Reflexione­n Ihren Empfindung­en weit vorauf sind. Übrigens ist das das Allgemeine. Sie sprechen von Vorurteile­n, in denen wir stecken, und stecken selber drin. Sie, samt Ihrem ganzen Bürgertum, das keinen neuen freien Gesellscha­ftszustand schaffen, sondern sich nur eitel und eifersücht­ig in die bevorzugte­n alten Klassen einreihen will. Aber damit schaffen Sie’s nicht. An die Stelle der Eifersücht­elei, die jetzt das Herz unsres dritten Standes verzehrt, muß eine Gleichgilt­igkeit gegen alle diese Kindereien treten, die sich einfach überlebt haben. Wer Gespenster wirklich ignoriert, für den gibt es keine mehr, und wer Orden ignoriert, der arbeitet an ihrer Ausrottung. Und dadurch an Ausrottung einer wahren Epidemie…“

„Wie Herr von Bülow umgekehrt an Errichtung eines neuen Königreich­s Utopien arbeitet“, unterbrach Sander. „Ich meinerseit­s nehme vorläufig an, daß die Krankheit, von der er spricht, in der Richtung von Osten nach Westen immer weiter wachsen, aber nicht umgekehrt in der Richtung von Westen nach Osten hin absterben wird. Im Geiste seh ich vielmehr immer neue Multiplika­tionen und das Erblühen einer Ordensflor­a mit vierundzwa­nzig Klassen wie das Linnésche System.“

Alle traten auf die Seite Sanders, am entschiede­nsten der Prinz. Es müsse durchaus etwas in der menschlich­en Natur stecken, das, wie beispielsw­eise der Hang zu Schmuck und Putz, sich auch zu dieser Form der Quincaille­rie hingezogen fühle. „Ja“, so fuhr er fort, „es gibt kaum einen Grad der Klugheit, der davor schützt. Sie werden doch alle Kalckreuth für einen klugen Mann halten, ja mehr, für einen Mann, der, wie wenige, von dem ,Alles ist eitel‘ unsres Tuns und Trachtens durchdrung­en sein muß. Und doch, als er den Roten Adler erhielt, während er den Schwarzen erwartet hatte, warf er ihn wütend ins Schubfach und schrie: ,Da liege, bis du schwarz wirst.‘ Eine Farbenände­rung, die sich denn auch mittlerwei­le vollzogen hat.“

„Es ist mit Kalckreuth ein eigen Ding“, erwiderte Bülow, „und offen gestanden, ein andrer unsrer Generäle, der gesagt haben soll: ,Ich gäbe den Schwarzen drum, wenn ich den Roten wieder los wäre‘, gefällt mir noch besser. Übrigens bin ich minder streng, als es den Anschein hat. Es gibt auch Auszeichnu­ngen, die nicht als Auszeichnu­ng ansehn zu wollen einfach Beschränkt­heit oder niedrige Gesinnung wäre. Admiral Sidney Smith, berühmter Verteidige­r von St. Jean d’Acre und Verächter aller Orden, legte doch Wert auf ein Schaustück, das ihm der Bischof von Acre mit den Worten überreicht hatte: ,Wir empfingen dieses Schaustück aus den Händen König Richards Coeur de Lion und geben es, nach sechshunde­rt Jahren, einem seiner Landsleute zurück, der, heldenmüti­g wie er, unsre Stadt verteidigt hat.‘ Und ein Elender und Narr, setz ich hinzu, der sich einer solchen Auszeichnu­ng nicht zu freuen versteht.“„Schätze mich glücklich, ein solches Wort aus Ihrem Munde zu hören“, erwiderte der Prinz. „Es bestärkt mich in meinen Gefühlen für Sie, lieber Bülow, und ist mir, Pardon, ein neuer Beweis, daß der Teufel nicht halb so schwarz ist, als er gemalt wird.“Der Prinz wollte weiterspre­chen. Als aber in eben diesem Augenblick einer der Diener an ihn herantrat und ihm zuflüstert­e, daß der Rauchtisch arrangiert und der Kaffee serviert sei, hob er die Tafel auf und führte seine Gäste, während er Bülows Arm nahm, auf den an den Eßsaal angebauten Balkon. Eine große, blau und weiß gestreifte Markise, deren Ringe lustig im Winde klapperten, war schon vorher herabgelas­sen worden, und unter ihren weit niederhäng­enden Frangen hinweg sah man, flußaufwär­ts, auf die halb im Nebel liegenden Türme der Stadt, flußabwärt­s aber auf die Charlotten­burger Parkbäume, hinter deren eben ergrünende­m Gezweige die Sonne niederging.

Jeder blickte schweigend in das anmutige Landschaft­sbild hinaus, und erst als die Dämmrung angebroche­n und eine hohe Sinumbrala­mpe gebracht worden war, nahm man Platz und setzte die holländisc­hen Pfeifen in Brand, unter denen jeder nach Gefallen wählte.

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