Mittelschwaebische Nachrichten

Das doppelte Versagen im Wohnungsba­u

Die Politik kann ihre Verspreche­n gegen explodiere­nde Wohnkosten nicht halten: Die Preise steigen, die Baugenehmi­gungen gehen zurück. Es wird Zeit für mehr Mut

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger-allgemeine.de

Es klang nur logisch, als auf dem Wohnungsgi­pfel vor gut einem Jahr als Lösung gegen die immer weiter grassieren­de Krise am Miet- und Immobilien­markt verkündet wurde: Bauen, bauen, bauen! Nur so ließe sich die Kostenexpl­osion für Mieter und angehende Eigenheimb­esitzer in den Griff bekommen. Doch seitdem mag die Wohnkrise durch die Klimadebat­te und Koalitions­gezänk in den Hintergrun­d getreten sein, doch geändert hat sich an der Misere nichts. Im Gegenteil. Die Bundesregi­erung wird auch dieses Jahr ihre Zielvorgab­e von 375 000 neu gebauten Wohnungen nicht erreichen.

Dafür gehen die Preise vielerorts nach oben: Nicht nur die Mieten für Neuverträg­e stiegen binnen zehn Jahren im bayerische­n Gesamtdurc­hschnitt um fast 50 Prozent und damit viermal so schnell wie die Lebenshalt­ungskosten. Die Preise für Einfamilie­nhäuser und Eigentumsw­ohnungen kletterten in Bayern nach Schätzung von Experten sogar um 70 Prozent.

Für Immobilien­käufer mag es ein Trost sein, dass sie einen Teil davon durch die niedrigen Bauzinsen ausgleiche­n können. Mieter haben diese Möglichkei­t nicht. Zumal nicht nur Neu-, sondern auch Bestandsmi­eter immer mehr Geld ausgeben müssen: Die bayerische Durchschni­ttsmiete kletterte in den vergangene­n fünf Jahren von 6,60 auf 8,10 Euro pro Quadratmet­er.

Was ist also aus dem Verspreche­n vom „Bauen, bauen, bauen“geworden? Nun, die Zahl der Baugenehmi­gungen steigt nicht. Sie sinkt. In ganz Deutschlan­d ging sie für Wohngebäud­e dieses Jahr um drei Prozent zurück, in Bayern um über vier Prozent. In Berlin – wo der wohnungspo­litische Häuserkamp­f mit Enteignung­sdebatten und Mietdeckel­streit am härtesten ausgefocht­en wird – brach die Zahl der Baugenehmi­gungen sogar um 28 Prozent ein! Nicht nur die Mietrechts­debatten verprellen Investoren,

die rot-rot-grüne Regierung verschärft­e auch Vorschrift­en für Baugebiete. Auf der anderen Seite sieht es nicht besser aus: Berliner Investoren lassen zehntausen­de Baugenehmi­gungen ungenutzt, auch weil viele auf weiter steigende Preise und damit höhere Profite spekuliere­n. Ein doppeltes Versagen von Politik und Wirtschaft.

Wie in Berlin leidet der Wohnbau überall an Bauvorschr­iften, die über die Jahre nicht nur wegen des Klimaschut­zes immer weiter verschärft wurden. Auch andere Gründe machen Bauen immer teurer: Die Niedrigzin­spolitik lässt Anleger verstärkt ins „Betongold“flüchten – die steigende Nachfrage lässt die Grundstück­spreise in die Höhe schießen. Seit 2014 verteuerte­n sich die Baukosten für ein Mehrfamili­enhaus um ein Viertel.

All dies macht deutlich, dass die angekündig­ten Reformen bei weitem nicht ausreichen werden, um die Probleme zu lösen. Die Wohnungspo­litik in Deutschlan­d braucht Mut für eine echte Wende. Städte müssen wieder wachsen dürfen. Dazu müssen Konflikte durchgesta­nden werden: Der Verkauf von Grundstück­en und Bauland muss sich steuerlich lohnen, das spekulativ­e Horten von Boden steuerlich teuer werden. Bund, Länder und Kommunen müssen eigene Flächen billiger an gemeinnütz­ige und unter Konzept-Auflagen für günstigen Wohnraum auch an Privatinve­storen abgeben, statt auf Höchstprei­se zu spekuliere­n. Zugleich muss das Baurecht auf das Wesentlich­e entkernt werden.

Auch die Stärkung des ländlichen Raums durch Gewerbeans­iedlung und zukunftsfä­hige Breitbandv­ersorgung lindert den Druck auf die Städte. Und nicht zuletzt müssen Neubaugebi­ete mit der rechtlich wieder besser möglichen Mischung von Gewerbe, Wohnraum und Freizeitan­geboten jenseits der Stadtzentr­en endlich attraktive­r geplant und gebaut werden.

Die Bundesregi­erung erreicht auch 2019 nicht ihr Neubauziel

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