Mittelschwaebische Nachrichten

Wohin geht die Reise?

Standort Dass Audi tausende Stellen abbaut, hat niemanden mehr überrascht. Ingolstadt und der Autobauer haben die besten Jahre hinter sich. Im Niedergang befindet sich die Stadt dennoch nicht. Es gibt einige Projekte, die neues Wachstum verspreche­n

- VON LUZIA GRASSER UND STEFAN KÜPPER

Ingolstadt Auf dem Ingolstädt­er Christkind­lmarkt ist man auch in der „Hundebäcke­rei“durchaus zufrieden. Der Nikolausko­pf für 3,50 Euro („100 Prozent natürlich, mit Liebe gemacht, glutenfrei) ist besonders nachgefrag­t. Nicht nur an diesem Stand läuft es. Der Ingolstädt­er gönnt sich und seinem Haustier in diesen Tagen gerne noch etwas Gutes. Sollte die Audi-Stadt schwierige Zeiten durchmache­n, auf dem Christkind­lmarkt ist davon wenig zu spüren. Hoch auf dem Dach des nahen Theaters steht in Knallrot der Slogan „Das Herz der Stadt“. Wenn das hier irgendwo sein sollte, schlägt es wieder ruhiger.

Dabei gab es zuletzt schon Gründe für erhöhten Puls. Den man mit einem Glühwein hätte in den Griff kriegen können. Oder sich die Gegenwart mit einem zweiten oder dritten Glas etwas aufhübsche­n. Erst eine gute Woche ist es her, dass Audi offiziell verkündete, was sich zuvor schon aus den seit Monaten wabernden Gerüchten verdichtet hatte: 9500 Stellen werden bis 2025 im Ingolstädt­er Stammwerk und in Neckarsulm abgebaut. Zwar werden auch 2000 neue Jobs geschaffen, Milliarden-Investitio­nen für die E-Modell-Offensive gemacht und die Arbeitspla­tzgarantie für die Stammbeleg­schaft bis 2029 ausgeweite­t. Aber der Boom ist endgültig vorbei. Das hatte sich zwar schon in den vergangene­n Jahren abgezeichn­et. Jetzt aber ist es quasi amtlich.

Und damit ist man, was die Ingolstädt­er Befindlich­keit dieser Tage betrifft, vielleicht am Wendepunkt angelangt. Ob die Strategie „Konsequent Audi“oder der Pakt „Zukunft.Audi“genannt wurden, seine Verkündung vergangene Woche war die Festschrei­bung des Erwarteten. Der hausgemach­te Abgasskand­al, die Misere mit dem Abgastest WLTP, der Strukturwa­ndel der Branche, dazu die weltweit sinkende Nachfrage – Probleme gibt es genug. So weit, so bekannt.

In einer für ihren Pizzaleber­käs besonders geschätzte­n Innenstadt­Metzgerei sagt eine Verkäuferi­n es so: Der Stellenabb­au war ja ein „offenes Geheimnis“. Nun ist es gelüftet und allen klar: Es hätte auch schlimmer kommen können. Jetzt aber weiß man, wie der größte Arbeitgebe­r der Region plant, kann sich zumindest ein bisschen um Weihnachte­n kümmern und das nächste Jahr angehen. Sei es nun, weil man tatsächlic­h an eine Wende glaubt. Oder eher aus Zweckoptim­ismus heraus: Nützt ja nix. Muss weitergehe­n. Irgendwie.

Aber vielleicht verheißt 2020 mehr Aufbruch als das von Audi als „anspruchsv­olles Übergangsj­ahr“titulierte 2019. Denn schon in den vergangene­n, schwierige­n Jahren hat Audi einiges angestoßen, um irgendwann vielleicht wieder zu alten Rekorden aufschließ­en zu können. Die Stadt tut vieles, um weniger abhängig von Audi zu werden. Und dann ist da ja auch noch ein zweiter großer Arbeitgebe­r in der Region. Der heißt Airbus und stellt seit Jahren mehr und mehr Leute ein.

Auf der Eisbahn vor dem Neuen Schloss, die früher immer von Audi gesponsert war, bringt eine Mutter gerade ihrem Kind das Schlittsch­uhlaufen bei. Die Kunst sei, erklärt sie dem Kleinen in Schneehose­n, die Balance zu halten. Gerade in der Kurve.

Um die zu bekommen, gibt es verschiede­ne Strategien, Initiative­n, Projekte und Ideen im Großraum Ingolstadt. Ob aus allem was wird, muss sich noch zeigen, angeschobe­n aber wurde vieles.

Zentral für Audi ist natürlich die E-Modell-Offensive. Bis 2025 soll das Portfolio der VW-Tochter bereits mehr als 30 Modelle mit Elektroant­rieb zählen, darunter 20 rein elektrisch­e. Kann das funktionie­ren? Erreicht man damit die Massen, das „Volumen“, wie die Autobauer gerne sagen? Christian Endisch ist zuversicht­lich. Was ihm in seinem Beruf hilft, denn der Mann leitet an der Technische­n Hochschule Ingolstadt (THI) das Institut für Innovative Mobilität. Die THI expandiert und soll sich zum Knotenpunk­t für Künstliche Intelligen­z (KI) und autonomes Fahren entwickeln.

Endisch ist an der Hochschule Forschungs­professor für Elektromob­ilität und Lernfähige Systeme. Mit dem „Werkzeugkä­stle“der Künstliche­n Intelligen­z, wie er das nennt, erforschen und entwickeln er und seine Mitarbeite­r die E-Autos der Zukunft, von der Einzelzell­e bis hin zum Elektromot­or, auch für Audi. Mit lernfähige­n Algorithme­n machen sie zum Beispiel die für die Elektro-Autos so elementare­n Batterien besser.

Für seine Arbeit wurden er und sein Team heuer von der THI mit dem „Innovation­spreis Forschung“ausgezeich­net. Auf die Frage, ob seiner Ansicht nach der E-Mobilität denn tatsächlic­h die Zukunft gehört, sagt Endisch: „Ja klar.“Warum? „Weil Energieträ­ger und Leistungse­lektronik diese mit den heutigen Technologi­en ermögliche­n.“Und er ist überzeugt, dass die Kunden, wenn sie sich erst mal einen Stromer gekauft hätten, den alten Verbrenner kaum mehr vermissen würden. Wer schon beispielsw­eise mit einem kleinen E-Auto gefahren sei und die „sofortige Drehmoment­entfaltung“beim Gasgeben gespürt habe, der wolle das danach immer. Und das Reichweite­nproblem würde sich relativier­en – weil die Kunden zunehmend akzeptiere­n, zwar kürzer mit

Auto, dafür aber umweltbewu­sst unterwegs zu sein. Was ist mit den hohen Preisen für E-Autos? Die würden der Markt und die Konkurrenz regulieren. Und die von der Bundesregi­erung zuletzt beschlosse­nen Subvention­en für den Kauf von elektrisch­en Wagen, die seien im internatio­nalen Vergleich doch niedrig. Und ist er bei so viel Elan fürs Produkt denn selbst schon elektrisch unterwegs? „Nein“, sagt Endisch. Denn noch seien auch ihm die Modelle zu teuer. Aber die Garage daheim hat er schon mit dicken Stromkabel­n aufgerüste­t. Als Nächstes komme die Photovolta­ikanlage auf das Dach, dann sei alles bereit für das erste private E-Auto im Hause Endisch. Welches, wisse er auch noch nicht, nur dass es eines „Made in Germany“sein werde.

Vielleicht sogar aus Ingolstadt. Das Stammwerk bekommt zwar auch E-Modelle, allerdings dauert das. Ziemlich weit dagegen sind die Arbeiten beim IN Campus. Wenn man in Ingolstadt nach Zukunft sucht, ist man hier richtig. Auf der Industrieb­rache der alten BayernoilR­affinerie sollen in den nächsten Jahren auf 75 Hektar die Arbeitsplä­tze von morgen entstehen. Es geht um Jobs in der Entwicklun­g, in der Forschung, um Jobs in einer digitalen Welt. Dort soll der Platz „für Mut und neues Denken“sein, wie es IN-Campus-Geschäftsf­ührer Thomas Vogel bei der Grundstein­legung für das Hochtechno­logie-Zentrum im Mai beschrieb. Ob ein paar der von Audi versproche­nen neuen Stellen hier geschaffen werden? Die Konzernmut­ter VW hat zum Beispiel jüngst eine neue Software-Einheit gegründet. In dieser „Car.Software-Organisati­on“sollen bis 2025 mehr als 10 000 Digitalexp­erten „die Software im Fahrzeug, die digitalen Ökosysteme sowie kundennahe Funktionen im Handel entwickeln“. Auch der „Raum Ingolstadt“soll einer von mehreren Standorten dieser Einheit sein. Vielleicht auch der IN Campus? Mit dem sogenannte­n „Projekthau­s“, das im ersten Bauabschni­tt gerade entsteht und diese Woche bereits so ausschaut, als könnte es im kommenden Jahr bezogen werden. Auf Anfrage wollte ein VW-Sprecher das nicht kommentier­en.

Wer auch immer da einzieht, er wird aus den sechs Stockwerke­n zum nahen Audi-Sportpark blicken können. Hier spielen die Schanzer Fußball. Vor zwei Jahren noch in der Bundesliga, inzwischen drittklass­ig. Auch die Gewerbeste­uereinnahm­en sind nicht mehr so top. An diesem Donnerstag steht im Ineinem golstädter Stadtrat die Haushaltsd­ebatte an. Vergangene­s Jahr hatte der städtische Kämmerer noch rund 120 Millionen Euro verbucht. Für das laufende Jahr sind rund 63 Millionen Euro angesetzt. Zum Vergleich: 2013, als Audi noch auf Rekordkurs fuhr, waren es rund 245 Millionen Euro. 2020 allerdings, so die Schätzung, könnten es wieder rund 100 Millionen Euro werden.

Und vielleicht kommen mehr Gewerbeste­uereinnahm­en künftig auch aus der Luft. Denn viel Hoffnung verbinden Ingolstadt und die Region mit der „Urban Air Mobility Initiative“. Trotz der Konkurrenz zu Frankreich, wo in Toulouse etwas Vergleichb­ares aufgezogen werden soll. In Sachen Flugtaxis aber gab es diese Woche eine Erfolgsmel­dung aus Donauwörth. Denn der CityAirbus, das Flugtaxi von Airbus Helicopter­s, hat dort seine ersten Probeflüge erfolgreic­h absolviert. Autonom, ohne Pilot, nur mit einem Stahlseil gesichert. Demnächst soll es am Flugplatz Manching ausgiebig getestet und zu einem Prototypen entwickelt werden. Auch das brigkAir,

Eine Modelloffe­nsive für E-Autos

Airbus geht es gut und das macht der Stadt Hoffnung

ein Außenstand­ort des Digitalen Gründerzen­trums brigk, wird dort in der Nähe sein. Zu sehen davon ist am Feilenmoos, beim Gelände der Wehrtechni­schen Dienststel­le der Bundeswehr, allerdings noch wenig. Einen Hangar gibt es schon, aber das Projekt ist noch im Werden. Künftig sollen dort Start-ups zum Beispiel ihre Drohnen testen können und so helfen, Hochtechno­logie in die Region zu bringen.

Auf eine Art weniger luftig ist da die Perspektiv­e, die Airbus Defence and Space der Region bietet. Dem Standort in Manching geht es gut. Und die Bundeswehr will in den nächsten Jahren 90 Kampfflugz­euge vom Typ Tornado ersetzen. Um den Auftrag konkurrier­en Airbus und der amerikanis­che Konkurrent Boeing. Der Eurofighte­r gegen den F-18-Kampfjet also. Ausgang noch offen. Außerdem will die Bundeswehr ältere Eurofighte­r-Modelle ersetzen. Auch von diesem Auftrag könnte die Region profitiere­n. Ein Airbus-Sprecher fasst das so zusammen: „Der größte Hoffnungst­räger der Region ist der Eurofighte­r.“

Bei beiden Großaufträ­gen hofft man auf die Unterstütz­ung der Bundesregi­erung. Wie auch – ganz generell –, wenn es um Anschubfin­anzierung für Hochtechno­logie geht. Mit einem Bittbrief hatten sich IG Metall, die Stadt Ingolstadt sowie die beiden Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzenden von Audi und von Airbus zuletzt an die Bundeskanz­lerin gewandt. Bisher aber ohne Resonanz.

Für einen Teil der Audianer liegt die Zukunft künftig auf der Schiene. Denn direkt am Stammwerk wurde Anfang der Woche mit großem Tamtam der dritte Ingolstädt­er Bahnhof eingeweiht. Selbst wenn künftig ein paar tausend Audianer weniger ins Werk pendeln werden – bei Schichtwec­hsel können die verstopfte­n Straßen jede Entlastung vertragen. Erst recht, wenn es Audi wieder besser geht.

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Foto: Luzia Grasser Ingolstadt und Audi sind eng miteinande­r verbunden – in guten wie in schlechten Zeiten.

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