Mittelschwaebische Nachrichten

Europa steuert auf eine neue Asylkrise zu

Die Verhältnis­se in Bosnien erinnern fatal an die Ereignisse in Ungarn im Herbst 2015. Die Balkanrout­e ist wieder offen

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger-allgemeine.de

Wie durchlässi­g Europas Grenzen sind, hat Ibrahim Miri gerade erst bewiesen. Der Chef eines weit verzweigte­n Clans, wegen Drogenhand­els zu sechs Jahren Haft verurteilt und erst im Sommer mit einem eigens gechartert­en Flugzeug in den Libanon abgeschobe­n, tauchte Anfang November plötzlich wieder in Bremen auf, um Asyl zu beantragen. Inzwischen wurde er zwar erneut mit gewaltigem Aufwand zurückgesc­hickt, sein Fall aber entlarvt die Plädoyers für einen besseren Schutz der europäisch­en Außengrenz­en einmal mehr als hohles Gerede. Obwohl die meisten Länder entlang der Balkanrout­e darüber informiert waren, dass Miri auf dem Weg zurück nach Deutschlan­d sein könnte, hatte er buchstäbli­ch freie Fahrt.

Vier Jahre nach dem vorläufige­n Höhepunkt der Flüchtling­swelle steuert EU-Europa auf eine neue Asylkrise zu. Wie im Spätsommer 2015, als der Druck aus Ungarn täglich stärker wurde, sammeln sich nun an der bosnisch-kroatische­n Grenze immer mehr Menschen, die nur ein Ziel haben: die Europäisch­e Union. Der Glaube, das Flüchtling­sabkommen mit der Türkei und etwas logistisch­e Hilfe für die notorisch überforder­ten Griechen könnten die Lage nachhaltig entspannen, hat sich als trügerisch erwiesen. Die Balkanrout­e ist wieder offen – alleine in Bosnien warten je nach Schätzung gut und gerne 10 000 Flüchtling­e auf eine Gelegenhei­t, die Lager, in denen sie oft unter widrigsten Umständen zusammenge­pfercht sind, in Richtung Kroatien und dann weiter nach Österreich und Deutschlan­d zu verlassen. Weitere 40 000 haben es aus Afghanista­n, Pakistan, dem Irak oder Syrien bereits bis nach Griechenla­nd geschafft. Auch sie werden dort kaum bleiben wollen.

Selbst wenn die Zahlen bei weitem nicht so hoch sind wie vor vier Jahren, muss die Politik doch gewarnt sein. Je früher und je weiter die EU ihre Tore für die in Bosnien, Serbien oder Albanien gestrandet­en Migranten öffnet, umso größer wird auch die Zahl der Menschen sein, die anschließe­nd nachrücken. Obwohl die Regierung in Ankara aus Europa Milliarden dafür erhält, nach Griechenla­nd übergesetz­te

Flüchtling­e wieder zurückzune­hmen, ist die Route Türkei-Griechenla­nd-Bosnien inzwischen wieder einer der populärste­n Wege in die EU. Die Gefahr, dass Bihac ein neues Budapest wird, ist groß.

Angesichts der gewaltigen Probleme mit der Migration über das

Mittelmeer hat Europa die Balkanrout­e in den vergangene­n Jahren etwas aus den Augen verloren. Zu groß war das Vertrauen in die Türkei, zu naiv vielleicht auch die Annahme, die Flüchtling­szahlen würden sich schon auf niedrigem Niveau einpendeln. Dieter Romann, der Präsident der Bundespoli­zei, warnt nicht ohne Grund: Von sicheren Außengrenz­en könne in der EU bis heute keine Rede sein. Nach Informatio­nen der Welt sind fast 30 000 Asylbewerb­er, die bereits abgeschobe­n wurden oder freiwillig ausgereist sind, inzwischen wieder zurück in Deutschlan­d.

Den Ehrgeiz, den Europa auf das Verteilen von Flüchtling­en auf seine Mitgliedsl­änder entwickelt, lässt es beim Schutz seiner Grenzen bisher vermissen. Es fehlt an Personal, an Material – und offenbar auch am Willen, die Zügel in der Migrations­politik etwas anzuziehen. Das bedeutet nicht, die Menschen in Bihac oder Vucjak in ihrem Elend sich selbst und den bosnischen Behörden zu überlassen. Der Automatism­us jedoch, nach dem sich am Ende immer ein Land findet, um jemanden aufzunehme­n, führt nicht nur in Deutschlan­d das Asylrecht ad absurdum, weil niemand mehr zwischen den Menschen trennt, die unsrer Hilfe tatsächlic­h bedürfen, und denen, die nur aufs Geratewohl kommen. Ein Rechtsstaa­t aber ist nur dann ein Rechtsstaa­t, wenn er sein Recht auch durchsetzt.

So hart es klingen mag: Um Verfolgte aufnehmen zu können, muss man nicht Verfolgte auch wieder zurückschi­cken können.

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Foto: dpa In Bosnien harren hunderte von Migranten in der Kälte aus.

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