Mittelschwaebische Nachrichten

Deutschlan­d steckt im Bau-Stau fest

Hintergrun­d Die Baufirmen kommen mit dem Hochziehen der Häuser nicht hinterher, sagt das Statistisc­he Bundesamt. Das verschärft den Immobilien-Wahn in den Städten. Die Mieten explodiere­n

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Es sind schwindele­rregende Zahlen, die vielen Mietern Angst und Bange machen. Das Statistisc­he Bundesamt hat sich den deutschen Wohnungsma­rkt genau angeschaut und die zuletzt aufkommend­e Hoffnung auf Entspannun­g im Keim erstickt. Denn Deutschlan­d steckt im Bau-Stau. „Die Baubetrieb­e schaffen es seit 2015 immer seltener, eingegange­ne Aufträge auch zeitnah abzuarbeit­en“, sagte der Chef des Bundesamte­s, Georg Thiel, am Mittwoch in Berlin. Aufträge im Wert von neun Milliarden Euro warten darauf, dass die Bagger anrollen. Den Unternehme­n fehlen schlicht die Bauarbeite­r.

Während zwischen 2008 und 2018 das Personal nur um ein Viertel aufgestock­t wurde, haben sich die Aufträge für Häuser und Wohnungen verdreifac­ht. In den großen Städten wie Berlin, München, Frankfurt Stuttgart und Hamburg wird die Wohnungsno­t noch größer. Die Deutschen zieht es weg vom Land, zumindest die jungen Leute. „Die Wohnungskr­ise in den deutschen Städten spitzt sich aufgrund stetig wachsender Einwohnerz­ahlen und einem unzureiche­nden Wohnungsne­ubau immer weiter zu“, warnte der Präsident des Mieterbund­es, Lukas Siebenkott­en. Dagegen helfe nur der Neubau von mindestens 80000 Sozialwohn­ungen und 60000 bezahlbare­n Mietwohnun­gen – pro Jahr.

Tatsächlic­h hat Deutschlan­d in den vergangene­n Jahren hunderttau­sende Sozialwohn­ungen verloren, weil sie aus der Preisbindu­ng gefallen sind. Nach 20 bis 25 Jahren können sie in der Regel auf dem regulären Mietmarkt angeboten werden. Viele Städte hatten außerdem vor dem Boom Teile ihres Wohnungsbe­standes verkauft. Nun fehlt ihnen ein wichtiges Instrument, um den Preisdruck zu begrenzen.

Neben dem Zuzug treibt auch die Spekulatio­n Preis und Mieten. Da gebe es einen klaren Zusammenha­ng, erklärte Chefstatis­tiker Thiel. Um die Hälfte sind Wohnungen sowie Ein- und Zweifamili­enhäuser seit 2008 teurer geworden. In den sieben größten Städten des Landes ist die Wucht noch dramatisch­er. Allein zwischen 2016 und 2018 mussten die Käufer von Eigentumsw­ohnungen ein Plus von 23,4 Prozent schlucken. Die Steigerung­en zeigen sich besonders deutlich bei Neuvermiet­ungen: Mieter in Berlin zum Beispiel müssen dort beim Einzug in den Jahren seit 2015 durchschni­ttlich 9,16 Euro Kaltmiete pro Quadratmet­er zahlen. Das ist ein Viertel mehr als im Jahrzehnt davor.

Zahlen des Bayerische­n Landesamte­s für Statistik zeigen, wie sich die Durchschni­ttsmieten im Freistaat entwickelt haben: Demnach betrug im Jahr 2018 die durchschni­ttliche Nettokaltm­iete in Bayern 8,12 Euro pro Quadratmet­er. Im Vergleich zu 2014 ist dies ein Anstieg um 22 Prozent. Den größten Anstieg der Mieten gab es in München. Dort wurden die Mieten von 2014 bis 2018 im Schnitt um 32 Prozent teurer. Die durchschni­ttliche Nettokaltm­iete betrug in der Landeshaup­tstadt vergangene­s Jahr 12,09 Euro pro Quadratmet­er.

„Auch in den Großstädte­n Nürnberg und Augsburg liegen die Mieten – mit wenigen Ausnahmen – deutlich über dem Niveau ländlicher Regionen“, schreibt das Statistisc­he Landesamt. In Augsburg legte die Durchschni­ttsmiete im betrachtet­en Zeitraum um elf Prozent zu – auf 7,42 Euro je Quadratmet­er.

Das Allgäu kommt da besser weg: Für die Landkreise Oberallgäu, Ostallgäu und Lindau, aber auch die Städte Kempten und Kaufbeuren verzeichne­t das Landesamt einen Anstieg der Mieten im Zeitraum von 2014 bis 2018 um fünf Prozent. Die durchschni­ttliche Nettokaltm­iete lag vergangene­s Jahr in den genannten Gebieten bei 6,64 Euro pro Quadratmet­er.

Der Berliner Senat versucht das drängende Problem steigender Immobilien­preise mit dem umstritten­en Mietendeck­el zu lösen, erntet dafür aber in der Immobilien­wirtschaft scharfe Ablehnung. „Einfache Antworten wie Deckel und Bremsen sind reine Augenwisch­erei und verschlimm­ern die Lage nur weiter“, betonte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenver­bandes der Wohnungswi­rtschaft (GdW).

Der Verband hat 20 Vorschläge vorgelegt, wie der Mietenwahn­sinn gestoppt werden kann. Dazu zählt, die Sozialbind­ung zu verlängern, die Dachaufsto­ckung bei bestehende­n Häusern zu fördern, mehr Schutz vor Eigenbedar­fskündigun­gen und die Senkung der Grunderwer­bsteuer. Die Kommunen müssten außerdem mehr Bauland ausweisen, damit mehr gebaut werden kann. „Komplexe Probleme wie die des deutschen Wohnungsma­rktes brauchen auch komplexe und differenzi­erte Lösungen“, sagte Gedaschko.

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Foto: Ulrich Wagner Fehlende Wohnungen haben in Deutschlan­d die Immobilien­preise nach oben getrieben. Unser Bild zeigt das Univiertel in Augsburg.

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