Mittelschwaebische Nachrichten

Süß und gefährlich?

Ernährung An vielen Mandarinen und anderen Zitrusfrüc­hten finden sich Reste eines Insektizid­s. Über ein Verbot herrscht Streit

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Sie gehören auf nahezu jeden Weihnachts­teller: Zitrusfrüc­hte wie Mandarinen und Orangen. Aber sind die meisten der Früchte wirklich gesund? Ab heute beraten die Vertreter der Mitgliedst­aaten in Brüssel, ob es bei dem fruchtigen Vergnügen bleiben kann. Denn offenbar kommt ein Großteil der Produkte mit Rückstände­n eines Insektizid­s daher, das von Fachleuten als hochgefähr­lich eingestuft wird: Chlorpyrif­os. Das Gift ist in Deutschlan­d verboten, in vielen südlichen Ländern wie Spanien, Griechenla­nd, Italien und Portugal nutzen Landwirte den Stoff allerdings, um Insekten von den Früchten fernzuhalt­en.

Ein Großteil der Mandarinen, Grapefruit und Orangen landet in Deutschlan­d. Inzwischen kursieren Untersuchu­ngen aus dem Jahr 2017, denen zufolge jede dritte Grapefruit und jede vierte Mandarine hierzuland­e im Handel mit Rückstände­n belastet ist. Chlorpyrif­os wurde 2005 in der EU zugelassen. 2011 gab es erste Warnungen von US-Wissenscha­ftlern, die von

Schäden am Gehirn von Kindern im Mutterleib sprachen. Bis dahin gab es nur die Erhebungen, die die Hersteller selbst zur Prüfung vorgelegt hatten. Darin wird kein Risiko erwähnt.

Erst 2018 forderte der schwedisch­e Wissenscha­ftler Axel Mie die Rohdaten dieser industrief­inanzierte­n Erhebungen an. „Die Daten zeigten, dass schon bei der kleinsten Menge von Chlorpyrif­os Hinweise vorliegen, dass das Gehirn verändert ist“, sagte Mie der Süddeutsch­en Zeitung. Im vergangene­n Sommer schaltete sich die EU-Behörde für Lebensmitt­elsicherhe­it (EFSA) im italienisc­hen Parma ein und sprach sich für ein vorläufige­s Verbot der Substanz aus. Experten legten weitere Untersuchu­ngen vor, die zeigten, dass bereits geringe Mengen der Stoffe negative Auswirkung­en auf die Entwicklun­g von ungeborene­n Kindern haben können. Zwar setzte die EU dann die Grenzwerte deutlich herunter – offensicht­lich nicht tief genug. Seitdem ein Anwendungs­verbot für die EU im Gespräch ist, laufen die Hersteller in Brüssel Sturm. Das amerikanis­che Unternehme­n Corteva wandte sich schriftlic­h an die europäisch­en Zulassungs­behörden und bestritt die neurotoxis­chen Auswirkung­en und den negativen Einfluss auf die Gehirne von Mensch und Tier.

Auch der europäisch­e Agrarverba­nd Copa-Cogeva in Brüssel reagierte bisher eher zurückhalt­end. In einem Schreiben an die Europäisch­e Kommission hieß es, man habe „leider bis heute keine vergleichb­are Alternativ­e“, um Pflanzensc­hutz zu gewährleis­ten. Deshalb bitte die Agrarlobby darum, Chlorpyrif­os verwenden zu dürfen, bis eine adäquate Alternativ­e gefunden sei.

Unklar ist, wie sich die Mehrheit der Mitgliedst­aaten nun verhalten wird. Deutschlan­d besteht auf einer Fortdauer und Ausweitung des Verbots. Allerdings ist für einen sofortigen Anwendungs­stopp eine Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedst­aaten, die 65 Prozent der EU-Bevölkerun­g repräsenti­eren, nötig. Zumindest aus dem Süden der Union dürfte kaum mit Unterstütz­ung für ein Verbot zu rechnen sein.

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Foto: ilietus, stock.adobe.com Mandarinen und andere Zitrusfrüc­hte können mit einem Insektizid belastet sein.

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