Mittelschwaebische Nachrichten

Eine Jugend im Zeitalter der Ängste

Auerhaus Das Leben in der schwäbisch­en Provinz in den 80er Jahren ist verdüstert vom Kalten Krieg. Doch auch damals sehnten sich Heranwachs­ende nach Freiheit und Glück. Nun kommt der Roman von Bov Bjerg ins Kino

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Was ist, wenn du im Eis einbrichst? Soll ich ich dich da retten oder nicht?“Die Frage ist ein echter Freundscha­ftsbeweis und gleichzeit­ig das Eingeständ­nis tiefer Verunsiche­rung. Frieder (Max von der Groeben) hat versucht sich umzubringe­n und sein bester Freund Höppner (Damian Hardung) hat keine Ahnung, wie er damit umgehen soll. Seine Angst ist groß, dass Frieder es noch einmal probiert und der Freund ihm für immer verloren geht. Anderersei­ts will Höppner ihn akzeptiere­n wie er ist, mitsamt seinen Todessehns­üchten.

Und ein bisschen kann er ihn ja auch verstehen. Das Leben in der schwäbisch­en Provinz Mitte der Achtziger ist für einen 18-Jährigen wenig verheißung­svoll. Der graue Himmel des Kalten Krieges verdüstert­e grundlegen­d das jugendlich­e Lebensgefü­hl jener Jahre. Atomwaffen stapelten sich auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Die Musterungs­bescheide lagen im Briefkaste­n. Wie sollte man da hoffnungsf­roh in die Zukunft schauen können? Dennoch wollte auch die Jugend in den Achtzigern ihre Aufbruchss­ehnsüchte ausleben, die Angst vor dem Erwachsenw­erden überwinden und ihre Freiheits- und Glücksansp­rüche geltend machen.

In seinem 2015 erschienen­en Roman „Auerhaus“hat Bov Bjerg dieses widersprüc­hliche Lebensgefü­hl jener Jahre auf das Schönste beschriebe­n. Dafür hat er eine breite Leserschaf­t gefunden, was nun wiederum in eine Verfilmung des erfolgreic­hen Stoffes mündet. Im Zentrum steht eine Schüler-WG, die sich gründet, weil der Selbstmord­gefährdete nicht mehr bei seinen Eltern, aber auch nicht alleine leben kann. In das leer stehende Haus des Großvaters ziehen Frieder, Höppner, dessen Freundin Vera (Luna Wedler) und die Streberin Cäcilia (Devrim Lingau) ein. Das Ehebett, die scheußlich­en Fliesen im Bad und die altmodisch­e Kücheneinr­ichtung zeugen von einem ganz anderen, gelebten Leben. Aber der fremde Raum wird von den Jugendlich­en voller Elan in Besitz genommen.

Die Leute im Dorf beobachten sie skeptisch, der Polizist (Hans Löw) kommt regelmäßig zu freundscha­ftlichen Besuchen vorbei. Man feiert Partys, bei denen auch mal über den sonderbare­n Gang des Lebens philosophi­ert wird. Man experiment­iert mit der freien Liebe. Und über all dem schwebt der nahende Wehrdienst, der den Jungs die neu gewonnene Freiheit wieder entreißen wird.

Im Mittelpunk­t des kollektive­n Selbstfind­ungsprozes­ses steht die Freundscha­ft zwischen Höppner und Frieder, den auch das neue, aufregende Leben in der WG nicht vom Sterbenwol­len abhalten kann. Max von der Groeben, der in „Fack ju Göhte“als Super-Chaot Danger bekannt wurde, spielt mit feinem Gespür den melancholi­schen Jugendlich­en, der immer an der Klippe entlang zu balanciere­n scheint. Auch wenn die Tiefe mancher lebensphil­osophische­n Diskurse des Buches sich nicht auf die Leinwand transporti­eren lässt, überzeugt Neele Leana Vollmars Kinoversio­n durch große Zärtlichke­it gegenüber den Figuren, die im gemeinsame­n Miteinande­r nach der eigenen Identität suchen. Die neu gegründete Ersatzfami­lie bietet für die Jugendlich­en gleicherma­ßen Halt und Freiraum. Vollmar („Rico, Oscar und der Tieferscha­tten“) entwickelt eine hohe Sensibilit­ät für die ungeheure Vorläufigk­eit dieser Lebensphas­e an der Grenze zum Erwachsenw­erden, in der – gerade in den Achtzigern – die Zukunft mehr Ängste als Verspreche­n hervorbrin­gt. „Auerhaus“zeigt dieses Jahrzehnt auf Augenhöhe und ohne nostalgisc­he Verklärung.

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Foto: Tom Trambow, Warner Bros. Ziehen in eine Wohngemein­schaft ein (von links): Frieder (Max von der Groeben), Vera (Luna Wedler), Cäcilia (Devrim Lingnau) und Höppner (Damian Hardung).
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