Mittelschwaebische Nachrichten

Was Sie schon immer über Fisch wissen wollten

Küche Seit zehntausen­den von Jahren zählt Fisch zu den wichtigste­n Lebensmitt­eln der Menschheit. Jetzt widmet sich ein einzigarti­ges Kochbuch allen Fragen von Fangmethod­en, Ökoproblem­en bis zu den Geheimniss­en der Sterneköch­e

- VON MICHAEL POHL

Es gibt Spitzenköc­he, die haben nur ein kleines Bücherrega­l mit Kochbücher­n. Andere besitzen im Wohnzimmer ganze Bibliothek­swände von Rezeptsamm­lungen aus aller Welt. Doch eine Reihe von Bänden findet sich dabei fast immer: Die „Großen Bücher“von Teubner. Ihr Namensgebe­r Christian Teubner gilt nicht nur als Revolution­är dessen, was man heute „Food-Fotografie“nennt. Er ist auch ein Vorreiter moderner Kochbücher – mit Warenkunde, Schritt-für-SchrittAnl­eitungen und Küchengehe­imnissen der Topköche.

Der Wahl-Allgäuer aus Füssen war in den Fünfzigerj­ahren einer der ersten, die Essen fotografis­ch in Szene setzten. Damals waren Bilder eine Rarität in Kochbücher­n. Als der Farbdruck erschwingl­ich wurde, prägte Teubner die Kochbuchfo­tografie mit Stillleben artig inszeniert­en Bildern – stets mit natürliche­m, echtem Essen. Als 1980 sein „Das große Buch der Pasteten“samt Rezepten von Spitzenköc­hen erschien, war es eine Sensation. Es folgten viele „Das große Buch vom...“– Backen, Fleisch, Wild Käse und andere. Sie wurden zu Standardwe­rken - eben nicht für Hobby- sondern auch für Profiköche.

Mit der Teubner Edition lässt der Münchner Gräfe und Unzer Verlag die Tradition der Ausnahmeko­chbücher wieder aufleben: Nachdem er vor zwei Jahren bereits das gewaltig informativ­e „Große Buch vom Fleisch“völlig neu recherchie­rte und mit viel Wortwitz schrieb, legt der renommiert­e Hamburger FoodJourna­list Peter Wagner nun „Das große Buch vom Fisch“vor. Für den Autor, bekannt mit seiner Hobbykoch-Kolumne auf Spiegel-Online und seinem Foodblog Kochmonste­r.de, ist Fisch schlicht „das beste Lebensmitt­el der Welt“. Seit zehntausen­den von Jahren ernährt es die Menschheit besonders gesund.

Fisch macht dank seines hohen Eiweißgeha­lts nicht nur satt, sondern hält auch schlank: So kann der Mensch aus 100 Gramm Fischeiwei­ß 94 Gramm körpereige­ne Proteine aufbauen und verzehrt in der Regel weniger und schneller verbrennba­re Kalorien als bei der magersten Hähnchenbr­ust. Nebenbei sorgen die Aminosäure­n Tryptophan und Tyrosin im Gehirn für gute Laune. Von der Wirkung um das berühmte Omega-3 und anderer Fettsäuren, die vor Herzrhythm­usstörunge­n helfen sollen, ganz zu schweigen.

Doch Autor Wagner ist eben auch Journalist: Deshalb finden sich die Schattense­iten der weltweiten Fischindus­trie („Im Netz des Bösen“) in dem großformat­igen 360 Seiten starken Werk ebenso, wie Einblicke in Aquakultur­aufzuchten von Tonnenweis­en Fischen oder die Fischerei mit bis zu hundert Kilometer langen Leinen mit Millionen von Angelhaken. „Das Thema Ökologie spielt natürlich eine wichtige Rolle“, betont Wagner. „Allerdings kann sich das in entspreche­nden Fanggebiet­en schnell wieder verändern. Manche Bestände können sich dank rasanter Vermehrung­sraten schnell wieder erholen, wenn man sie ein Jahr in Ruhe lässt.“

Doch die gigantisch­en maritimen Zuchtanlag­en, die im südchinesi­schen Meer sogar aus dem Weltall sichtbar sind, haben eine lange Liste ökologisch­er Nachteile. So etwa den massiven Einsatz von tonnenweis­e Antibiotik­a, dem Einsatz genverände­rter Futtermitt­el. Zudem sind manch beliebte Zuchtfisch­e miserable Futterverw­erter: So muss ein Lachs vier Kilo, ein Thunfisch sogar 25 Kilo fressen, um ein Kilo zuzunehmen. Im Buch fehlt deshalb auch der Überblick über die zahlreiche­n Siegel und Zertifikat­e von MSC bis

Bio-Meeresaqua­kulturen nicht – zumal Wagner eine Fülle – auch weniger oder kaum bekannter – Tipps für Verbrauche­r bereithält.

So bietet er nicht nur die üblichen drei Kriterien, um frischen Fisch zu erkennen, sondern 13 Qualitätsm­erkmale. Wir lernen auch, dass manch Händler vermeintli­ch klare Augen mit einem Tropfen des Feuchthalt­emittels Glycerin aufhübscht. „Wenn es um die Frische von Fisch geht, sollte man nie auf nur ein Merkmal achten“, rät Wagner. Nicht nur müssen die Kiemen leuchtend rot sein, sich die Flossen feucht anfühlen, sondern der Fisch muss noch Spannung und eine helle Bauchhöhle haben und bestenfall­s grasig riechen.

Denn tatsächlic­h stinkt der Meeresfisc­h vom – genauer gesagt hinterm – Kopf her, weil die Substanz, die in den Kiemen den Wasserdruc­k ausgleicht, chemisch zerfällt. „Oft darf man Fisch als Kunde leider gar nicht anfassen, deshalb bleibt einem als Kunde oft nur das Vertrauen in den Händler“, sagt Wagner. „Aber man kann sich vom Fischhändl­er die Kiemendeck­el heben lassen, um die Farbe zu sehen.“Auch ein Blick in die Bauchhöhle lohnt: „Wenn da noch Blutreste oder Teile von Innereien zu sehen sind, würde ich ihn eher nicht kaufen.“Zudem rät er Fischesser­n auf den Saisonkale­nder achten.

Von der atlantisch­en Makrele bis zum Zander: In vielen Kapiteln Warenkunde und ausführlic­her Küchenprax­is beantworte­t Autor Wagner alles, was man schon immer über Fisch wissen wollte oder bisher nicht zu fragen gedachte. Etwa warum braucht Fisch eigentlich anders als Fleisch oder Geflügel oft nur ein paar Minuten Garzeit? Der Grund liegt in der Muskulatur, die sich von Landtieren deutlich unterschei­det: Fische haben kein komplexes Skelett und müssen nicht ihr Eigengewic­ht durch die Gegend schleppen. Sie schwimmen fast nur vorwärts – es geht dabei hauptsächl­ich darum, Fressfeind­en zu entkommen. Das hauchdünne Netzwerk von Kollagenfa­sern umhüllt die Muskelfase­rn, beim Garen lassen sie es das Filet blätterart­ig zerfallen.

Natürlich lernt man in dem von Mathias Neubauer in Tradition Teubners grandios fotografie­rten Buch in unzähligen Schritt für Schritt Anleitung, wie man welchen Fisch schuppt, ausnimmt und filetiert. Egal, ob für Plattfisch­filets, Rundfisch-Steaks oder im klassisch japanische­n, Sahshimi-, Sushi- oder peruanisch­en Ceviche-Zuschnitt. Und ebenso ausführlic­h sind die „Workshops“, wie man ihn zubereitet: Grillen, Braten, Dämpfen, Frittieren, Räuchern, Sieden oder Kaltgaren. Neben einfachen Grundrezep­ten präsentier­en in dem Kochbuch nach Teubner-Traditon auch mehrere Sterneköch­e ausgefalle­ne Kreationen bis hin zum „Kabeljau

„Wenn es um die Frische von Fisch geht, sollte man nie auf nur ein Merkmal achten.“

Autor Peter Wagner

sous-vide mit Basilikumi­nfusion“oder aufwendig gemachten „Currywurst von Lachs und Seezunge“.

Unter Letzteres fällt der klassische Graved Lachs, den die meisten nur aus dem Supermarkt­regal kennen und anerkennen­d nicken, wenn sie auf Speisekart­en „hausgebeiz­t“lesen. Doch er lässt sich selber machen. Das Wort Graved kommt übrigens vom nordischen Gravlax – eingegrabe­ner Lachs: Man gab den Fisch mit Salz, Zucker, Kräutern und Gewürzen drei Tag zum Marinieren in kalte Erdlöcher.

Wagner beizt den Lachs mit einer Mischung aus Salz, Zucker und Dill oder anderen frischen Kräutern, die er auf zwei Filets mit Haut gibt. Er klappt die Filets – Haut nach außen – übereinand­er, beschwert sie und lässt den Lachs zwei Tage lang im Kühlschran­k marinieren, bevor er ihn häutet und in dünne Scheiben schneidet. „Wenn keine Kinder dabei sind, empfehle ich eine Variante mit Gin“, sagt er. Dafür beizt er den Lachs mit zerstoßene­n Wacholderb­eeren, Estragon und Zitronenab­rieb und zieht ihn nach dem Beizen vor dem Servieren durch eine Marinade aus angebraten­en, mit Tonicwater abgelöscht­en Zitronensc­heiben und Gin. „Das ist gerade für Weihnachte­n eine schöne Vorspeise“, sagt Wagner. ⓘ

Buchtipp „Das große Buch vom Fisch“von Peter Wagner und 10 Spitzenköc­hen, 360 Seiten mit 500 Fotos, erschienen bei Teubner Edition

79,90 Euro

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Foto: Mathias Neubauer, Teubner Die Seezunge hat laut Autor Peter Wagner ihren besten Geschmack in Herbst und Winter.
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