Mittelschwaebische Nachrichten
Was Sie schon immer über Fisch wissen wollten
Küche Seit zehntausenden von Jahren zählt Fisch zu den wichtigsten Lebensmitteln der Menschheit. Jetzt widmet sich ein einzigartiges Kochbuch allen Fragen von Fangmethoden, Ökoproblemen bis zu den Geheimnissen der Sterneköche
Es gibt Spitzenköche, die haben nur ein kleines Bücherregal mit Kochbüchern. Andere besitzen im Wohnzimmer ganze Bibliothekswände von Rezeptsammlungen aus aller Welt. Doch eine Reihe von Bänden findet sich dabei fast immer: Die „Großen Bücher“von Teubner. Ihr Namensgeber Christian Teubner gilt nicht nur als Revolutionär dessen, was man heute „Food-Fotografie“nennt. Er ist auch ein Vorreiter moderner Kochbücher – mit Warenkunde, Schritt-für-SchrittAnleitungen und Küchengeheimnissen der Topköche.
Der Wahl-Allgäuer aus Füssen war in den Fünfzigerjahren einer der ersten, die Essen fotografisch in Szene setzten. Damals waren Bilder eine Rarität in Kochbüchern. Als der Farbdruck erschwinglich wurde, prägte Teubner die Kochbuchfotografie mit Stillleben artig inszenierten Bildern – stets mit natürlichem, echtem Essen. Als 1980 sein „Das große Buch der Pasteten“samt Rezepten von Spitzenköchen erschien, war es eine Sensation. Es folgten viele „Das große Buch vom...“– Backen, Fleisch, Wild Käse und andere. Sie wurden zu Standardwerken - eben nicht für Hobby- sondern auch für Profiköche.
Mit der Teubner Edition lässt der Münchner Gräfe und Unzer Verlag die Tradition der Ausnahmekochbücher wieder aufleben: Nachdem er vor zwei Jahren bereits das gewaltig informative „Große Buch vom Fleisch“völlig neu recherchierte und mit viel Wortwitz schrieb, legt der renommierte Hamburger FoodJournalist Peter Wagner nun „Das große Buch vom Fisch“vor. Für den Autor, bekannt mit seiner Hobbykoch-Kolumne auf Spiegel-Online und seinem Foodblog Kochmonster.de, ist Fisch schlicht „das beste Lebensmittel der Welt“. Seit zehntausenden von Jahren ernährt es die Menschheit besonders gesund.
Fisch macht dank seines hohen Eiweißgehalts nicht nur satt, sondern hält auch schlank: So kann der Mensch aus 100 Gramm Fischeiweiß 94 Gramm körpereigene Proteine aufbauen und verzehrt in der Regel weniger und schneller verbrennbare Kalorien als bei der magersten Hähnchenbrust. Nebenbei sorgen die Aminosäuren Tryptophan und Tyrosin im Gehirn für gute Laune. Von der Wirkung um das berühmte Omega-3 und anderer Fettsäuren, die vor Herzrhythmusstörungen helfen sollen, ganz zu schweigen.
Doch Autor Wagner ist eben auch Journalist: Deshalb finden sich die Schattenseiten der weltweiten Fischindustrie („Im Netz des Bösen“) in dem großformatigen 360 Seiten starken Werk ebenso, wie Einblicke in Aquakulturaufzuchten von Tonnenweisen Fischen oder die Fischerei mit bis zu hundert Kilometer langen Leinen mit Millionen von Angelhaken. „Das Thema Ökologie spielt natürlich eine wichtige Rolle“, betont Wagner. „Allerdings kann sich das in entsprechenden Fanggebieten schnell wieder verändern. Manche Bestände können sich dank rasanter Vermehrungsraten schnell wieder erholen, wenn man sie ein Jahr in Ruhe lässt.“
Doch die gigantischen maritimen Zuchtanlagen, die im südchinesischen Meer sogar aus dem Weltall sichtbar sind, haben eine lange Liste ökologischer Nachteile. So etwa den massiven Einsatz von tonnenweise Antibiotika, dem Einsatz genveränderter Futtermittel. Zudem sind manch beliebte Zuchtfische miserable Futterverwerter: So muss ein Lachs vier Kilo, ein Thunfisch sogar 25 Kilo fressen, um ein Kilo zuzunehmen. Im Buch fehlt deshalb auch der Überblick über die zahlreichen Siegel und Zertifikate von MSC bis
Bio-Meeresaquakulturen nicht – zumal Wagner eine Fülle – auch weniger oder kaum bekannter – Tipps für Verbraucher bereithält.
So bietet er nicht nur die üblichen drei Kriterien, um frischen Fisch zu erkennen, sondern 13 Qualitätsmerkmale. Wir lernen auch, dass manch Händler vermeintlich klare Augen mit einem Tropfen des Feuchthaltemittels Glycerin aufhübscht. „Wenn es um die Frische von Fisch geht, sollte man nie auf nur ein Merkmal achten“, rät Wagner. Nicht nur müssen die Kiemen leuchtend rot sein, sich die Flossen feucht anfühlen, sondern der Fisch muss noch Spannung und eine helle Bauchhöhle haben und bestenfalls grasig riechen.
Denn tatsächlich stinkt der Meeresfisch vom – genauer gesagt hinterm – Kopf her, weil die Substanz, die in den Kiemen den Wasserdruck ausgleicht, chemisch zerfällt. „Oft darf man Fisch als Kunde leider gar nicht anfassen, deshalb bleibt einem als Kunde oft nur das Vertrauen in den Händler“, sagt Wagner. „Aber man kann sich vom Fischhändler die Kiemendeckel heben lassen, um die Farbe zu sehen.“Auch ein Blick in die Bauchhöhle lohnt: „Wenn da noch Blutreste oder Teile von Innereien zu sehen sind, würde ich ihn eher nicht kaufen.“Zudem rät er Fischessern auf den Saisonkalender achten.
Von der atlantischen Makrele bis zum Zander: In vielen Kapiteln Warenkunde und ausführlicher Küchenpraxis beantwortet Autor Wagner alles, was man schon immer über Fisch wissen wollte oder bisher nicht zu fragen gedachte. Etwa warum braucht Fisch eigentlich anders als Fleisch oder Geflügel oft nur ein paar Minuten Garzeit? Der Grund liegt in der Muskulatur, die sich von Landtieren deutlich unterscheidet: Fische haben kein komplexes Skelett und müssen nicht ihr Eigengewicht durch die Gegend schleppen. Sie schwimmen fast nur vorwärts – es geht dabei hauptsächlich darum, Fressfeinden zu entkommen. Das hauchdünne Netzwerk von Kollagenfasern umhüllt die Muskelfasern, beim Garen lassen sie es das Filet blätterartig zerfallen.
Natürlich lernt man in dem von Mathias Neubauer in Tradition Teubners grandios fotografierten Buch in unzähligen Schritt für Schritt Anleitung, wie man welchen Fisch schuppt, ausnimmt und filetiert. Egal, ob für Plattfischfilets, Rundfisch-Steaks oder im klassisch japanischen, Sahshimi-, Sushi- oder peruanischen Ceviche-Zuschnitt. Und ebenso ausführlich sind die „Workshops“, wie man ihn zubereitet: Grillen, Braten, Dämpfen, Frittieren, Räuchern, Sieden oder Kaltgaren. Neben einfachen Grundrezepten präsentieren in dem Kochbuch nach Teubner-Traditon auch mehrere Sterneköche ausgefallene Kreationen bis hin zum „Kabeljau
„Wenn es um die Frische von Fisch geht, sollte man nie auf nur ein Merkmal achten.“
Autor Peter Wagner
sous-vide mit Basilikuminfusion“oder aufwendig gemachten „Currywurst von Lachs und Seezunge“.
Unter Letzteres fällt der klassische Graved Lachs, den die meisten nur aus dem Supermarktregal kennen und anerkennend nicken, wenn sie auf Speisekarten „hausgebeizt“lesen. Doch er lässt sich selber machen. Das Wort Graved kommt übrigens vom nordischen Gravlax – eingegrabener Lachs: Man gab den Fisch mit Salz, Zucker, Kräutern und Gewürzen drei Tag zum Marinieren in kalte Erdlöcher.
Wagner beizt den Lachs mit einer Mischung aus Salz, Zucker und Dill oder anderen frischen Kräutern, die er auf zwei Filets mit Haut gibt. Er klappt die Filets – Haut nach außen – übereinander, beschwert sie und lässt den Lachs zwei Tage lang im Kühlschrank marinieren, bevor er ihn häutet und in dünne Scheiben schneidet. „Wenn keine Kinder dabei sind, empfehle ich eine Variante mit Gin“, sagt er. Dafür beizt er den Lachs mit zerstoßenen Wacholderbeeren, Estragon und Zitronenabrieb und zieht ihn nach dem Beizen vor dem Servieren durch eine Marinade aus angebratenen, mit Tonicwater abgelöschten Zitronenscheiben und Gin. „Das ist gerade für Weihnachten eine schöne Vorspeise“, sagt Wagner. ⓘ
Buchtipp „Das große Buch vom Fisch“von Peter Wagner und 10 Spitzenköchen, 360 Seiten mit 500 Fotos, erschienen bei Teubner Edition
79,90 Euro