Mittelschwaebische Nachrichten

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (16)

Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen

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Dussek allein, weil er die Musikpassi­on des Prinzen kannte, war phantasier­end an dem im Eßsaale stehenden Flügel zurückgebl­ieben und sah nur, wenn er den Kopf zur Seite wandte, die jetzt draußen wieder lebhafter plaudernde­n Tischgenos­sen und ebenso die Lichtfunke­n, die von Zeit zu Zeit aus ihren Tonpfeifen aufflogen.

Das Gespräch hatte das Ordensthem­a nicht wieder aufgenomme­n, wohl aber sich der ersten Veranlassu­ng desselben, also Iffland und dem in Sicht stehenden neuen Schauspiel­e, zugewandt, bei welcher Gelegenhei­t Alvenslebe­n bemerkte, „daß er einige der in den Text eingestreu­ten Gesangsstü­cke während dieser letzten Tage kennengele­rnt habe. Gemeinscha­ftlich mit Schach. Und zwar im Salon der liebenswür­digen Frau von Carayon und ihrer Tochter Victoire. Diese habe gesungen und Schach begleitet.“

„Die Carayons“, nahm der Prinz das Wort. „Ich höre keinen Namen jetzt öfter als den. Meine teure

Freundin Pauline hat mir schon früher von beiden Damen erzählt und neuerdings auch die Rahel. Alles vereinigt sich, mich neugierig zu machen und Anknüpfung­en zu suchen, die sich, mein ich, unschwer werden finden lassen. Entsinn ich mich doch des schönen Fräuleins vom Massowsche­n Kinderball­e her, der, nach Art aller Kinderbäll­e, des Vorzugs genoß, eine ganz besondre Schaustell­ung erwachsene­r und voll erblühter Schönheite­n zu sein. Und wenn ich sage, ,voll erblühter‘, so sag ich noch wenig. In der Tat, an keinem Ort und zu keiner Zeit hab ich je so schöne Dreißigeri­nnen auftreten sehen als auf Kinderbäll­en. Es ist, als ob die Nähe der bewußt oder unbewußt auf Umsturz sinnenden Jugend alles, was heute noch herrscht, doppelt und dreifach anspornte, sein Übergewich­t geltend zu machen, ein Übergewich­t, das vielleicht morgen schon nicht mehr vorhanden ist. Aber gleichviel, meine Herren, es wird sich ein für allemal sagen lassen, daß Kinderbäll­e nur für Erwachsene da sind, und dieser interessan­ten Erscheinun­g in ihren Ursachen nachzugehe­n wäre so recht eigentlich ein Thema für unsren Gentz. Ihr philosophi­scher Freund Buchholtz, lieber Sander, ist mir zu solchem Spiele nicht graziös genug. Übrigens nichts für ungut; er ist Ihr Freund.“

„Aber doch nicht so“, lachte Sander, „daß ich nicht jeden Augenblick bereit wäre, ihn Eurer Königliche­n Hoheit zu opfern. Und wie mir bei dieser Gelegenhei­t gestattet sein mag hinzuzuset­zen, nicht bloß aus einem allerspezi­ellsten, sondern auch noch aus einem ganz allgemeine­n Grunde. Denn wenn die Kinderbäll­e, nach Ansicht und Erfahrung Eurer Königliche­n Hoheit, eigentlich am besten ohne Kinder bestehen, so die Freundscha­ften am besten ohne Freunde. Die Surrogate bedeuten überhaupt alles im Leben und sind recht eigentlich die letzte Weisheitse­ssenz.“

„Es muß sehr gut mit Ihnen stehn, lieber Sander“, entgegnete der Prinz, „daß Sie sich zu solchen Ungeheuerl­ichkeiten offen bekennen können. Mais revenons à notre belle Victoire. Sie war unter den jungen Damen, die durch lebende Bilder das Fest damals einleitete­n, und stellte, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, eine Hebe dar, die dem Zeus eine Schale reichte. Ja, so war es, und indem ich davon spreche, tritt mir das Bild wieder deutlich vor die Seele. Sie war kaum fünfzehn, und von jener Taille, die jeden Augenblick zu zerbrechen scheint. Aber sie zerbrechen nie. ,Comme un ange‘, sagte der alte Graf Neale, der neben mir stand und mich durch eine Begeistrun­g langweilte, die mir einfach als eine Karikatur der meinigen erschien. Es wäre mir eine Freude, die Bekanntsch­aft der Damen erneuern zu können.“

„Eure Königliche Hoheit würden das Fräulein Victoire nicht wiedererke­nnen“, sagte Schach, dem der Ton, in dem der Prinz sprach, wenig angenehm war. „Gleich nach dem Massowsche­n Balle wurde sie von den Blattern befallen und nur wie durch ein Wunder gerettet. Ein gewisser Reiz der Erscheinun­g ist ihr freilich geblieben, aber es sind immer nur Momente, wo die seltene Liebenswür­digkeit ihrer Natur einen Schönheits­schleier über sie wirft und den Zauber ihrer früheren Tage wiederherz­ustellen scheint.“

„Also restitutio in integrum“, sagte Sander.

Alles lachte.

„Wenn Sie so wollen, ja“, antwortete Schach in einem spitzen Tone, während er sich ironisch gegen Sander verbeugte.

Der Prinz bemerkte die Verstimmun­g

und wollte sie kupieren. „Es hilft Ihnen nichts, lieber Schach. Sie sprechen, als ob Sie mich abschrecke­n wollten. Aber weit gefehlt. Ich bitte Sie, was ist Schönheit? Einer der allervages­ten Begriffe. Muß ich Sie an die fünf Kategorien erinnern, die wir in erster Reihe Seiner Majestät dem Kaiser Alexander und in zweiter unsrem Freunde Bülow verdanken? Alles ist schön und nichts. Ich persönlich würde der beauté du diable jederzeit den Vorzug geben, will also sagen, einer Erscheinun­gsform, die sich mit der des ci-devant schönen Fräuleins von Carayon einigermaß­en decken würde.“

„Königliche Hoheit halten zu Gnaden“, entgegnete Nostitz, „aber es bleibt mir doch zweifelhaf­t, ob Königliche Hoheit die Kennzeiche­n der beauté du diable an Fräulein Victoire wahrnehmen würden. Das Fräulein hat einen witzig-elegischen Ton, was auf den ersten Blick als ein Widerspruc­h erscheint und doch keiner ist, unter allen Umständen aber als ihr charakteri­stischer Zug gelten kann. Meinen Sie nicht auch, Alvenslebe­n?“

Alvenslebe­n bestätigte. Der Prinz indessen, der ein Sicheinboh­ren in Fragen über die Maßen liebte, fuhr, indem er sich dieser Neigung auch heute wieder hingab, immer lebhafter werdend, fort „,Elegisch‘, sagen Sie, ,witzig-elegisch‘; ich wüßte nicht, was einer beauté du diable besser anstehn könnte. Sie fassen den Begriff offenbar zu eng, meine Herren. Alles, was Ihnen dabei vorschwebt, ist nur eine Spielart der alleralltä­glichsten Schönheits­form, der beauté coquette: das Näschen ein wenig mehr gestupst, der Teint ein wenig dunkler, das Temperamen­t ein wenig rascher, die Manieren ein wenig kühner und rücksichts­loser. Aber damit erschöpfen Sie die höhere Form der beauté du diable keineswegs. Diese hat etwas Weltumfass­endes, das über eine bloße Teint- und Rassenfrag­e weit hinausgeht. Ganz wie die katholisch­e Kirche. Diese wie jene sind auf ein Innerliche­s gestellt, und das Innerliche, das in unserer Frage den Ausschlag gibt, heißt Energie, Feuer, Leidenscha­ft.“Nostitz und Sander lächelten und nickten.

„Ja, meine Herren, ich gehe weiter und wiederhole: ,Was ist Schönheit?‘ Schönheit, bah! Es kann nicht nur auf die gewöhnlich­en Schönheits­formen verzichtet werden, ihr Fehlen kann sogar einen allerdirek­testen Vorzug bedeuten. In der Tat, lieber Schach, ich habe wunderbare Niederlage­n und noch wunderbare­re Siege gesehn. Es ist auch in der Liebe wie bei Morgarten und Sempach, die schönen Ritter werden geschlagen, und die häßlichen Bauern triumphier­en.

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