Mittelschwaebische Nachrichten
„Ruiz hat alles, was Joshua wehtut“
Boxen Andy Ruiz gelang mit seinem Sieg gegen Weltmeister Anthony Joshua eine der größten Überraschungen des Sports. Ein Box-Experte sagt: Für den Ex-Champ steht alles auf dem Spiel
Andy Ruiz wurde im Vorfeld als „Dickerchen“verspottet und war im Juni nur als Gegner eingesprungen, weil der eigentliche Gegner infolge einer Dopingsperre suspendiert wurde. Sie haben den Kampf damals kommentiert und werden auch bei der zweiten Auflage wieder im Einsatz sein. Wie haben Sie den Kampf in Erinnerung?
Uli Hebel: Nach der Absage gab es fünf potenzielle Ersatzmänner, von denen vier ziemlich sicher nur Fallobst gewesen wären. Andy Ruiz war vorher nur wenigen ein Begriff. Diejenigen, die ihn kannten, wussten aber: Er kann Joshua durchaus gefährlich werden. Ich habe bei der Vorberichterstattung selbst noch gesagt, dass man Ruiz nicht unterschätzen sollte. Zugegeben: Das war nicht ganz vollherzig gesagt. Aber wir haben schon ein wenig damit gerechnet, dass Ruiz – wenn alles gut läuft – seine Chancen hat. Er hat eine sehr gute Amateurstatistik mit 105 Siegen und fünf Niederlagen. Er sieht zwar ein bisschen seltsam aus. Aber er hat alles, was Anthony Joshua wehtut.
Wie meinen Sie das?
Hebel: Für einen Boxer wie Joshua ist ein Box-Typ wie Ruiz ein „Bad Guy“. Er ist klein und pummelig, hat dafür aber viel Masse. Zugleich ist er unheimlich gut boxerisch ausgebildet, hat superschnelle Hände. Vor allem ist er jemand, der seinem Gegner den Weg abschneidet und permanent den Infight sucht. Seine Schläge prasseln mit einer hohen Frequenz auf den Gegner ein. Er hat Joshua damit im wahrsten Sinne des Wortes die Luft rausgelassen. Joshua kommt mit allen anderen Typen zurecht – mit einem Hooker, einem Straßenkämpfer wie das Ruiz ist, aber nicht.
Hat Joshua den Kampf nicht ernst genommen?
Hebel: Da habe ich schon länger die Vermutung. Er hat eine große Entourage, die ihn zu seinen Kämpfen begleitet – die haben alle, aber bei ihm ist es mir besonders aufgefallen. Sein Manager Eddie Hearn wollte ihn als neuen Muhammad Ali inszenieren, als den Typen, der für alle anfassbar ist. Er lebt jetzt in Miami, wo es fast schon klassischerweise viel Ablenkung gibt. Bei all diesen Dingen ist mir etwas Konzentration verloren gegangen. Und dann gab es einen kurzfristigen Wechsel zu jemandem, der dir von seinem Stil her nicht gut tut – Ruiz eben. Ich denke, die letzten zwei Prozent bei der Einstellung waren nicht da.
Ist das diesmal anders?
Hebel: Das ist die große Frage, die Fight so spannend macht. Ich kann das nicht sagen. Wir können über viele Details auf der sportlichen Ebene sprechen. Aber entscheidend wird die Beinarbeit sein. Ich bin so gespannt, wie groß der Ring sein wird. Je größer er ist, desto eher kommt das Joshua zugute, der mit seiner Reichweite arbeiten kann. Ich bin mir sicher, dass sein Management im Vertragswerk alles dafür getan hat, um den Ring so groß wie möglich zu gestalten. Auch der Standort Saudi-Arabien ist diesmal neutral, weil beide darauf gedrängt haben, nicht in der Heimat des jeweils anderen zu boxen.
Dass der Kampf in Saudi-Arabien stattfindet, wird kontrovers gesehen. Hebel: Dieser Standort ist unanständig. Mit Blick auf die dortige politische Lage kannst du das nicht anbieten. Es ist klar, dass da viel Geld bezahlt wird, aber kann es das sein? Es wird eine seltsame Stimmung in der Halle sein, die zu so einem Kampf wahrscheinlich nicht passt. Es werden wahrscheinlich keine Frauen in der Halle sein. Und es gibt in den USA viele jüdisch-stämmige Boxjournalisten – die werden wohl nicht zum Kampf reisen können. Indem man die beiden dort boxen lässt, beteiligt man sich an der Propaganda des Landes.
Wie gehen Sie als Kommentator damit um?
Hebel: Ich werde diesen MarketingTitel „Clash on the dunes“nicht erwähnen. Und ich werde sicherlich auch einmal sagen, was ich von diesem Austragungsort halte. Das reicht dann aber auch, denn die Zuschauer werden diese deutliche Ansicht verstehen.
Wie bereiten Sie sich allgemein auf diesen Kampf vor? Die Ausgangslage hat sich ebenso geändert wie die Kämpfer selbst. Ruiz etwa hat 15 Kilo abgenommen.
Hebel: Ja, das stimmt. Beide Kämpfer haben weniger Gewicht. Bei Ruiz stellt sich jetzt die Frage: Ist er schneller, um Joshua eher den Weg abzuschneiden und mit Schlägen einzudecken? Oder ist es eher ein Nachteil, dass er weniger Masse hat? Für seinen Stil ist es ja wichtig, dass vor allem seine Hände und nicht seine Beine schnell sind.
Ex-Weltmeister David Haye hat über Joshua gesagt, dass man die Auswirkungen der Niederlage erst dann sehen wird, wenn Ruiz ihn das erste Mal wieder am Kinn treffen wird.
Hebel: Ja. Joshua ist zum ersten Mal überhaupt k. o. gegangen. Alte BoxWeisheit: Du kriegst den K.o. nie aus dem Kämpfer raus. Lass Joshua mal diesen linken Haken kassieren, dann geht es los: Ist er stabil genug? Fängt er mit seinen Mätzchen an, wie im ersten Kampf? Ich bin sehr gespannt. Das ist für mich die interessanteste aller Komponenten in diesem Kampf.
Für Joshua steht aber deutlich mehr auf dem Spiel.
Hebel: Allerdings. Wenn er verliert, dann war es vielleicht nur ein großer Hype um ihn. Klar wird er auch bei einer Niederlage noch Kasse machen. Aber wenn er nochmal gegen das „Dickerchen“verliert, kann man ihn der breiten Masse im Boxpublikum nicht mehr als legitimen Schwergewichts-Champion verkaufen. Dann wird er als große Luftpumpe in die Geschichte eingehen.
Damit wäre auch die Geschichte vom nächsten Muhammad Ali durch. Hebel: Zumal Ali wie kaum ein anderer Boxer gezeigt hat, was es bedeutet, nach Niederlagen stärker zurückzukommen. Es geht für Joshua darum, zu zeigen, dass er ein echter Champion ist – und nicht nur jemand, der mal Weltmeistergürtel hatte. Wie verwundet Joshua tatsächlich noch von dieser Niederlage ist – das wissen wir alle nicht.
Interview: Florian Eisele
Der Rückkampf zwischen Andy Ruiz und Anthony Joshua startet am Samstag, 7. Dezember, um 21.15 Uhr. Übertragen wird der Kampf auf DAZN, der StreamingDienst startet seine Übertragung um 18 Uhr mit diversen Vorkämpfen. Kommentator ist Uli Hebel.