Mittelschwaebische Nachrichten
Wie Kinder zu Verlierern der Krise werden
Gesellschaft Ohne Umgang mit Gleichaltrigen lernen Jungen und Mädchen weniger. Experten warnen vor den Folgen
Köln Spielplätze gesperrt, Freunde und Oma treffen verboten, Kitas und Schulen weitgehend geschlossen: Auch für Kinder gibt es wegen der Corona-Krise massive Einschränkungen. Experten fürchten: Je länger die Maßnahmen andauern, desto mehr kann sich das negativ auf die Entwicklung auswirken. „Durch das Kontaktverbot und das Eingesperrtsein drohen psychosoziale Schäden“, sagt Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. „Die Bedürfnisse von Kindern werden bisher überhaupt nicht berücksichtigt“, betont er.
Für Kinder ab dem Kita-Alter sei der Kontakt zu Gleichaltrigen sehr wichtig, weil sie dadurch soziale Kompetenzen erlernten, erläutert Kinderschutzbund-Expertin Maria Große Perdekamp. „Auch wenn Eltern sich noch so sehr bemühen, können sie das Spielen mit anderen Kindern nicht ersetzen.“Je länger das Kontaktverbot dauere, desto gravierender. Denn mehrere Monate seien für Kinder ein sehr langer
in denen ihnen eine altersgemäße Förderung fehle. „Lernen funktioniert auch über Beziehungen. E-Schooling kann den Lehrer nicht ersetzen“, betont die Kinderschutzbund-Expertin. Zudem gebe es große Konfliktgefahren. Viele Eltern sähen sich mit der Hausaufgabenbetreuung überfordert, während sie gleichzeitig im Homeoffice arbeiten oder gar um ihre berufliche Existenz bangen müssten. „Das kann zu enormen Spannungen und schlimmstenfalls zu Gewalt führen.“
Die langfristigen Folgen der Krise auf Kinder seien schwer abzuschätzen, weil es eine ähnliche Situation noch nie gegeben habe. „Kinder aus finanziell gut gestellten Familien, mit Haus, Garten und Geschwistern, werden die Zeit sicherlich besser überstehen als Kinder aus sozial schwachen Familien“, sagt der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Würzburg. Bei Jungen und Mädchen, die schon vor den CoronaEinschränkungen Probleme in Fa
oder Schule hatten, würden sich die Schwierigkeiten in der Krise wahrscheinlich verstärken.
Kinderärzte–Präsident Fischbach sieht zudem die körperliche Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Gefahr. Viele Eltern verschöben aus Angst vor Corona UnZeitraum, tersuchungen und Impfungen. Therapien wie Logopädie oder Ergotherapie fänden teilweise nicht statt. Hinzu komme Bewegungsmangel, weil Spiel- und Bolzplätze gesperrt sind und Sportvereine nicht aktiv sein dürfen. Kinder seien bislang „absolute Verlierer“der Coronamilie
Krise, sagt Fischbach. „Das ist einfach unglaublich traurig.“Dabei erkrankten sie nach bisherigem Wissensstand seltener und meist leichter an Covid-19 als Erwachsene. Inwieweit Kinder das Virus übertragen, sei noch nicht erforscht, sagt der Kinderärzte-Präsident. Wenn Bund und Länder demnächst erneut über die Corona-Maßnahmen beraten, müssten endlich auch die Interessen der Kinder in den Blick genommen werden, fordert Fischbach.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet sprach sich in der Frankfurter Allgemeinen jüngst für weitere Lockerungen aus, die auch Kitas, Spielplätze, Schulen und Sportangebote betreffen müssten. Die Lebenswirklichkeit vieler Kinder sei durch die Corona-Politik aus dem Blick geraten, kritisierte der CDU-Politiker. Auch SPD-Familienministerin Franziska Giffey ist für eine vorsichtige Öffnung von Spielplätzen. Auch über weitergehende Schritte bei Schulen und Kitas müsse nachgedacht werden.