Mittelschwaebische Nachrichten
Eine neue Liebe?
Corona Busse und Bahnen sind in der Pandemie nicht so angesagt. Dafür aber das Auto, laut einer Studie sogar wieder bei den Jungen. Wird daraus ein Trend, wäre das gut für die Branche – und schlecht fürs Klima
Augsburg Dieses Studienergebnis wirkt wie ein Licht in dunkler Nacht. Vielleicht auch wie ein Irrlicht? Während sich die Autoindustrie gerade in historisch finsterer Lage befindet, die Autolobby vehement Kaufprämien vom Staat einfordert, sagt die Unternehmensberatung Capgemini, dass „ein eigenes Auto für jüngere Verbraucher wieder attraktiver wird“. Warum? Wegen Corona.
Ist das nur eine Momentaufnahme? Oder könnte sich das zu einem Trend verstetigen? Und falls ja, wäre das in Zeiten von Pandemie und Klimawandel eine gute Nachricht? Sebastian Tschödrich, Vice President im Bereich Automotive bei Capgemini Invent, sagt: „Für die Autoindustrie ist das eine Chance und eine gute Nachricht.“
Für die neueste Untersuchung des Capgemini Research Institute wurden mehr als 11000 Verbraucher aus elf Ländern befragt. Für drei Viertel der Befragten weltweit sei „eine bessere Kontrolle über die Hygiene“einer der wesentlichen Gründe für den Kauf eines Autos. In Deutschland sind es laut Capgemini 64 Prozent. Über ein Drittel der weltweit befragten Verbraucher erwäge, noch in diesem Jahr ein Auto zu erwerben (35 Prozent). In Deutschland denken 25 Prozent darüber nach. Dazu kämen noch die Unentschiedenen. Besonders interessant ist: Wegen der Pandemie liebäugeln auch viele Junge (44 Prozent der unter 35-Jährigen) mit einem eigenen Wagen – eine laut Studie „wichtige Umkehrung ihrer historischen Präferenz“. Für Tschödrich war das Studienergebnis „sehr überraschend“. Ein eigenes Auto ist schon länger nicht mehr das, was jüngere Leute zwecks Statuspolitur anstreben. Die Befragung zeigt zudem, dass der öffentliche Nahverkehr und Sharing-Dienste an Zustimmung verlieren. Fast die Hälfte (44 Prozent) der Befragten weltweit möchte ihr Auto „häufiger und öffentliche Verkehrsmittel und Shared-Mobility-Dienste weniger häufig nutzen“. Tschödrich sagte es so: „Was sich verstärkt, ist der Trend zu individueller Mobilität.“Das könne das Auto sein, der Roller, auch das Fahrrad. Manche gingen auch lieber wieder zu Fuß. Schwer dagegen hätten es die öffentlichen
Verkehrsmittel, Taxi-Anbieter, sprich jene, bei denen man nicht die Kontrolle habe, wer vor einem auf dem Sitz gesessen habe.
Auch die Verkaufswege werden sich weiter verändern. Tschödrich: „Vor dem Hintergrund von Lockdowns und Social Distancing wird für die Automobilunternehmen die digitale Transformation des Kaufprozesses wichtiger denn je, um Verbindungen zu Verbrauchern aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Unternehmen, die bereits jetzt ein digitales Kundenerlebnis und innovative Geschäftsmodelle wie Abonnements und Pay-per-Use bieten, sind gut aufgestellt, um diese Krise zu meistern.“In einem halben Jahr will Capgemini dieselbe Studie nochmals auflegen, um zu verifizieren, ob sich der Trend verfestigt hat.
An den Ergebnissen wird dann auch Barbara Lenz, Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung am
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, interessiert sein. Auch sie hat im April eine deutschlandweite repräsentative Studie zum Mobilitätsverhalten durchgeführt. Sie fragte, wie wohl oder unwohl sich die Leute in den jeweiligen Gefährten fühlten und ob sich die Einstellung zur Wahl des Verkehrsmittels geändert habe: Das Ergebnis: „Das Auto gewinnt. Und auch das Fahrrad gewinnt, wenn auch nicht so deutlich. Es verlieren die öffentlichen Verkehrsmittel, Flugzeuge, Shared-Mobility.“
Besonders interessant sind auch in ihrer Studie die genaueren Erkenntnisse zum Auto: Gefragt wurde auch, ob die, die keinen Wagen haben (bundesweit 20 Prozent der Haushalte), einen vermissen würden. Was ein Drittel derer ohne Auto bestätigten. Und zwar laut Lenz zum größeren Teil Ein-Personen-Haushalte junger Städter. In sechs bis acht Wochen will auch
Lenz ihre Studie wiederholen. Natürlich will auch sie wissen, ob aus dem „punktuellen Ausschnitt“ein Trend wird.
Den Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer überrascht es nicht, dass das Auto mittelfristig ein Krisengewinner sein könnte. Der Professor vom Center Automotive Research (Car) an der Uni Duisburg ist überzeugt: „Der Trend zum eigenen Auto ist ungebrochen und er verschärft sich jetzt. Mit dem eigenen Wagen unterwegs zu sein ist nach wie vor attraktiv.“
Dazu passen die Fahrgastzahlen im öffentlichen Personennahverkehr, die das Statistische Bundesamt am Mittwoch bekannt gab. Demnach seien im ersten Quartal 2020 im Vergleich zu den ersten drei Monaten des Vorjahres die Fahrgastzahlen in Bussen und Bahnen um insgesamt rund elf Prozent zurückgegangen. Es ist der erste Einbruch seit über 16 Jahren. Seit 2004 waren es Jahr für Jahr immer mehr geworden. In Augsburg sind nach Angaben der Stadtwerke die Fahrgastzahlen im ÖPNV während des Lockdowns um über 80 Prozent eingebrochen. Seit den Lockerungsmaßnahmen sei zwar nun „ein leichter Aufwärtstrend zu spüren. Allerdings stiegen immer noch über 70 Prozent weniger zu als sonst üblicherweise. Auch in Ingolstadt, zweites Beispiel, hat die Verkehrsgesellschaft (INVG) wegen Corona Fahrgastverluste von 80 bis 90 Prozent zu verzeichnen. Geschäftsführer Robert Frank ist zwar „zuversichtlich, dass die Gäste wieder in die Busse kommen“, die Tendenz sei inzwischen wieder „leicht steigend“, dennoch rechnet er auf das Jahr hin mit bis zu 40 Prozent weniger an Erlösen. Frank bleibt aber kämpferisch gerade mit Blick auf den Klimawandel: „Wir sind Problemlöser. Wir wollen den Individualverkehr zurückdrängen.“
Für die Umwelt wäre es nicht nur besser, wenn die Busse wieder voller würden, sondern auch noch mehr auf das Rad umstiegen. Und hier gibt es aus Sicht der Branche frohe Kunde: David Eisenberger, Sprecher des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV), sagt auf Anfrage, dass die Branche, Stand jetzt, trotz der Auswirkungen der Corona-Pandemie zuversichtlich sei, „mit einem blauen Auge“davonzukommen. 2019 sei ein Rekordjahr gewesen, gerade das Wachstum bei E-Bikes „sei explodiert“und das Fahrrad werde immer beliebter. Er weiß von einem „extremen Run“auf Fahrradläden zu berichten. Da seien Nachholeffekte wegen des Lockdowns, das übliche Frühjahrshoch aber eben auch ein nachhaltiger Trend. Es gebe Händler, die eine Umsatzsteigerung von bis zu 70 Prozent hätten. Im Vergleich zum Vorjahresmonat wohlgemerkt. Eisenberger ist überzeugt: „Das Fahrrad ist das Fahrzeug der Stunde.“
Von 70-prozentigen Umsatzsteigerungen sind die Autohersteller derzeit weit entfernt. Dass das Auto attraktiv bleibt, davon ist Albert Still, Vorstandssprecher von AVAG, einem der größten Autohändler Europas mit Sitz in Augsburg, überzeugt: „Wir können den Trend, dass 18- bis 35-Jährige sich für einen Fahrzeugkauf interessieren, bestätigen, obwohl der gar nicht so neu ist.“