Mittelschwaebische Nachrichten
„Dank an Neu-Ulm!“
Literatur Constance Hotz, die erste Stadtschreiberin von Neu-Ulm, hat ein poetisches, fantasievolles Buch über ihre Zeit in der Donaustadt verfasst. Sie erzählt, was sie inspiriert hat – und warum dieser schwäbische Ort doch ganz nah am Meer liegt
Neu-Ulm Ein ganzes Jahr ist vergangen, seit Constanze Hotz als erste Stadtschreiberin der Stadt vier Monate in Neu-Ulm verbrachte. Nun ist ihr Buch „Neu-Um liegt am Meer“erschienen. Im Gespräch blickt sie zurück auf die Zeit in der Donaustadt und die Entstehung ihres Werks.
Frau Hotz, wann haben Sie zuletzt an Neu-Ulm denken müssen?
Constance Hotz: Immer wieder. Ich lebe in Konstanz. Wenn ich morgens laufen gehe, am Ufer des Bodensees, dann muss ich oft an die Donau denken oder an den Glacis-Park. Dort war ich in meiner Zeit als Stadtschreiberin viel unterwegs.
Beginnen wir mit dem Ende, mit der Bilanz: Lässt sich beschreiben, wie viel Sie an Ideen, Notizen und literarischem Material in vier Monaten in Neu-Ulm gesammelt haben?
Hotz: Ich habe diese Zeit kontinuierlich dokumentiert. Am Ende waren es rund 50 eng beschriebene Seiten in meinem Rechner, dazu viele Sprachnotizen, ins Smartphone gesprochen und dann niedergeschrieben. Außerdem hatte ich Recherche-Stoff, einen Stapel von Büchern, die mir Peter Liptau vom Stadtarchiv Neu-Ulm gleich zu Beginn übergeben hatte. Das Material nimmt jetzt einen halben Meter in meinem Bücherregal ein. Aber Neu-Ulm ist mir damit nicht nur physisch und inhaltlich immer noch nahe, sondern ich behalte diese Zeit auch in der Seele, im Herzen.
Ihre Aufgabe war ja, ein literarisches Werk mit Bezug zu Neu-Ulm zu verfassen. Wie sind Sie an diese Aufgabe herangetreten?
Hotz: Von Anfang an stand für mich fest, dass es ein Essay werden sollte – auch wortwörtlich verstanden, als „Ein Versuch über...“
Ihr Buch beschreibt eine kleine poetische Reise, von der Ankunft in ihrem Pensionszimmer in der Kasernstraße bis hin zur Erkenntnis, ganz zum Schluss: „Neu-Ulm liegt am Meer“. Was hat Neu-Ulm mit Ihnen gemacht? Wie hat Sie diese Zeit beeinflusst? Hotz: Ich bin hauptberuflich Werbetexterin, 2007 habe ich meinen ersten Roman veröffentlicht. Neu-Ulm war für mich nun ein großer Schritt: Meine Zeit als erste Stadtschreiberin hat mich schon ein Stück weiter in Richtung Schriftstellerin gebracht. Ich konnte mich frei auf einen Ort einlassen, der mir zuvor fremd war. Der Auftrag der Stadtschreiberin, der Zeitraum, der Ort, das Jubiläum 150 Jahre Neu-Ulm boten den Rahmen. Aber innerhalb dieses Rahmens hatte ich alle Freiheiten, meinen Blick auf die Stadt zu entwickeln, meinen literarischen Stil zu finden. Ich habe ihn in meiner Neu-Ulmer Zeit für mich so formuliert: mit investigativ-poetischem Blick über die Dinge hinausschreiben.
Ihre Texte im Buch reichen von poetischen Beobachtungen, Gedichten, historischen Episoden bis hin zu StakkatoNotizen. An welchen Plätzen haben Sie in Neu-Ulm Inspiration gefunden? Hotz: Die Begegnung mit der Bundesfestung in Neu-Ulm – das war für mich ein erstes großes Staunen, Fragen und Schauen. Dieser Bau hat etwas Beeindruckendes, aber auch Begrenzendes. Anfangs war ich viel im Glacis-Park unterwegs, irgendwann bin ich dann zur Donau gewechselt. Und diesen Fluss habe ich im Kontrast zur Festung als freies, entgrenzendes Thema erlebt. Ich lebe am Bodensee, doch seit ich die Donau kennengelernt habe, kommt mir der See vergleichsweise harmlos vor. Die Donau dagegen mit ihrem Zug zum Meer hat etwas weitaus Größeres. Der Titel des Buches – eine Anspielung an Ingeborg Bachmanns Gedicht „Böhmen liegt am Meer“– hat auch mit dieser Größe und poetischen Offenheit zu tun.
Sie beschreiben die Stadt als einen Ort der Kontraste, der Spannungen und Reibungen, auch als wehrhaft. Gegen was verteidigt sich denn diese Stadt heute?
Hotz: Vielleicht gibt es da immer noch ein spannungsgeladenes Verhalten gegen das „große Ulm“, auf der anderen Seite der Donau. Aber auch das scheint sich zu verändern. Gerade im Bereich der Kunst und Kultur entwickelt sich seit dem Jubiläumsjahr eine neue Dynamik im „kleinen Ulm“. Ein neuer Schwung, ein neues Selbstbewusstsein unter dem Motto Aufbruch. Das war zumindest mein Eindruck.
In Ihrem Werk spielen auch Integration und Emanzipation eine Rolle, vor allem mit Blick auf muslimische Frauen in Neu-Ulm. Ist das Zufall? Oder ist Ihnen dieses Thema in Neu-Ulm besonders aufgefallen?
Hotz: Ich habe in der Kasernstraße, in der Innenstadt, gewohnt. Von Anfang an sind mir die vielen jungen Frauen mit Kopftuch und Kinderwagen aufgefallen, oder Paare – lässig gekleidete Männer in Tank Tops und Frauen mit Kopftüchern und langen Mänteln. Diese Szenen habe ich dann auch im Buch protokolliert, ganz „sec“, ganz trocken, ohne Kommentar beschreibend, wie eine ModeStrecke in einem Magazin. Diese Geschlechterapartheid haben wir im Layout des Buchs bewusst aufgegriffen: auf der linken Seite immer die Beschreibung der Männer, rechts die Beschreibung der Frauen. Für mich eine stimmige Übersetzung dieses Themas. Den Kontrast dazu bildet die Geschichte einer türkischen Schneiderin, einer Unternehmerin mit eigenem Geschäft, die ein zerrissenes Jackett wieder herrichtet. Diese Geschichte ist erfunden und hat bewusst etwas Märchenhaftes.
Liegt darin eine besondere Freiheit, als Stadtschreiberin auch seiner Fantasie folgen zu können?
Hotz: Ja, so habe ich das erlebt! Es war ein beglückendes Schreiben, auch insofern, als ich über die Fakten, über die Dinge hinausgehen konnte. Es gibt ja bewusst auch keinen durchgängigen Stil. Vielmehr war mir wichtig, für jedes Thema seine eigene Form, seine eigene Tonalität zu finden, und tatsächlich hat jedes Thema im Prozess des Schreibens seinen Stil gefunden: so gibt es nüchterne Dokumentationen, lakonische Dreizeiler, Märchenhaftes, Expressionistisches etwa in der Beschreibung des Markus-Löwen vor der St.Johann-Baptist-Kirche. In eine Textsequenz ist es der Schatten eines Mülleimers, der auf ein Werbeplakat fällt – und eine ganz eigene Assoziationskette auslöst. Eigentlich kann ich die Arbeit an meinem Buch mit der Bildhauerei vergleichen: Aus einem Materialblock aus Aufzeichnungen, Textfragmenten und Recherche habe ich die Texte nach und nach herausgearbeitet, bis sie für mich stimmig waren. In diesem Prozess hat sich auch meine Art des Schreibens weiterentwickelt, und ich habe das Gefühl, meinen Stil gefunden zu haben – Dank an Neu-Ulm!
War das Ihr persönliches Ziel, an Ihrem Stil zu feilen?
Hotz: Zumindest nicht bewusst. Ich habe das Amt bewusst ganz unvorbereitet angetreten, denn mit Kinderaugen staunt man viel intensiver, und mich beim Schreiben vom Gesehenen leiten lassen. Dass ich meinen Stil gefunden habe, ist wie nebenbei passiert, ganz leichtfüßig. Bei alldem hat die große Offenheit der Stadt und der Menschen sehr geholfen. Ich habe hier sehr schöne Kontakte geknüpft, die bis heute bestehen.
Wenn Sie für einen Tag Stadtführerin sein könnten, welche Orte würden Sie guten Freunden in Neu-Ulm zeigen? Hotz: Da gab es für mich viele Stellen: Zuerst der Biergarten im Glacispark. Dann sicherlich das EdwinScharff-Museum – es war mein zweites Wohnzimmer, dort habe ich viele Gespräche geführt. Weiter würde es dann zum Markus-Löwen vor der St.-Johann-Baptist-Kirche gehen und schließlich zur Donau. Diese Orte würde ich Freunden unbedingt vorstellen.
Interview: Veronika Lintner
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„Neu-Ulm liegt am Meer“Als sich Constance Hotz um das Amt der Stadtschreiberin bewarb, konnte sie sich gegen 10 Mitbewerber aus Deutschland und Österreich durchsetzen. Hotz wurde 1954 geboren, ist promovierte Germanistin und hat neben vielen Kurzgeschichten auch den Roman „Vier Tage im März“veröffentlicht.