Mittelschwaebische Nachrichten
Wie Corona das Einkaufen auf Dauer verändern wird
Mit großem Einsatz und viel Improvisationskunst haben es die Supermärkte geschafft, während der Krise die Versorgung sicherzustellen. Doch neue Hygieneregeln und langfristige Trends sorgen dafür, dass der Wocheneinkauf künftig anders ablaufen wird. Ein Bl
Augsburg Ganz viel Klebeband, umfunktionierte Bananenkisten, Sperrholz und Plexiglas – die meisten Supermärkte und Discounter erinnern vielerorts gerade mehr an den Werkraum eines Hobbybastlers. Dabei haben Supermärkte und Discounter in den vergangenen Jahren doch massiv in die Attraktivität ihrer Filialen investiert. Aber die quasi über Nacht eingeführten Hygieneregeln erforderten schnelle bauliche Anpassungen in den Filialen und ganz neue Abläufe im Betrieb. Mittlerweile hat sich alles eingespielt – auch wenn die neuen Regeln für Kunden und Angestellte weiterhin zumindest lästig sind. Die Frage ist, welche der improvisierten Änderungen von Dauer sind. Wie wird das Coronavirus das Einkaufen verändern? Jürgen Frank und Bernd Renzhofer vom Ladenbau-Spezialisten Wanzl aus Leipheim haben Antworten auf diese Frage. Ein Wochenendeinkauf in naher Zukunft. ● Vor dem Start Spontan einkaufen gehen, weil es gerade passt, bleibt wohl schwierig. Bis auf Weiteres gilt in Bayern die Regel, dass nicht mehr als ein Kunde je 20 Quadratmeter Verkaufsfläche im Geschäft sein darf. Kontrolliert wird dies derzeit oft so, dass man das Geschäft nur mit Einkaufswagen betreten darf – auch wenn man doch nur eben eine Tüte Milch holen will. Sind die auf die Größe des Marktes abgezählten Einkaufswagen weg, darf kein Kunde mehr rein. In Zukunft wird die Zugangskontrolle wohl eher elektronisch erfolgen. Intelligente Kameraund Videosysteme erfassen die Zahl der Menschen, die den Eingang passieren, und zeigen die Zahl der Menschen im Markt in Echtzeit auf Bildschirmen an. Wenn die zulässige Höchstzahl erreicht ist, bleibt die Eingangstür verschlossen.
Im Idealfall helfen diese Systeme aber, dass genau diese für Händler wie Kunden genauso frustrierende Situation gar nicht eintritt. „Über eine Internetseite oder eine App für das Smartphone kann der Händler dem Kunden eine Prognose oder gar den Istzustand in seinem Markt anzeigen und damit helfen, Menschenströme zu entzerren“, erklärt Renzhofer. Dies gelte nicht nur für den ganzen Markt, sondern auch für Engstellen, wie die Kasse oder Frischetheken. Datenschutzrechtlich ist dies unbedenklich, versichert Frank. Jede Person ist nur eine Zahl in einer Exceltabelle, Gesichts- oder Personenerkennung seien mit diesen Sensoren nicht möglich.
Diese Kundenerfassung bringt dem Händler noch weitere Vorteile. Wenn viele Kunden den Markt betreten, weiß der Marktleiter, dass er seine Mitarbeiter besser an die Frischetheke oder an die Kassen schickt, statt weiter Regale auffüllen zu lassen. Auch das hilft Warteschlangen und damit Menschenansammlungen zu verhindern.
● Los geht’s Der Einkaufswagen ist vielerorts zwar Pflicht. Aber vielen Kunden ist das nicht nur lästig, sie haben auch Sorge, über die Griffstange mit Viren oder Bakterien in
Berührung zu kommen. Viele Geschäfte haben einige Zeit lang Personal dafür abgestellt, die Kontaktflächen der Wagen nach jeder Benutzung zu desinfizieren. Mittlerweile gibt es vielerorts zumindest noch Desinfektionsmittelspender. Beim Einkaufswagen-Weltmarktführer Wanzl tüfteln sie an anderen Lösungen. „Statt der Reinigung nach jeder Rückgabe gibt es auch die Möglichkeit, bestimmte Materialien einzusetzen: Kupfer, antimikrobielle Lackierungen oder Kunststoffgranulat mit Silberionen etwa“, sagt Frank.
Hundertprozentigen Schutz werde es aber nie geben. Relativ aufwendig umzusetzen seien bauliche Veränderungen, etwa eine andere Anordnung der Wagen in der Parkbox, damit der jüngst zurückgegebene Wagen nicht wieder der erste ist, der weggenommen wird – und die Desinfektionsmittel gar keine Zeit haben zu wirken.
● Im Markt Ob sich das Layout der Märkte wegen der Hygienekonzepte dauerhaft ändern wird, lässt sich nach Ansicht der Experten noch nicht sagen. Grundsätzlich gelte es sicher, über die Breite der Gänge nachzudenken und sicherzustellen, dass keine Stauzonen entstehen. Aber die optimale Flächennutzung ist im hart umkämpften Lebensmitteleinzelhandel ein sensibler Punkt. Chancen auf rasche Änderungen sieht Frank in einem anderen Bereich: „Wir glauben, dass unverpacktes Obst und Gemüse in Zukunft mehr geschützt wird“, sagt er. An Lösungen dafür arbeite Wanzl gerade. Modell dafür könnten die Brotregale mit Klappen sein, die hygienisch einwandfreie Ware garantierten.
Andere Trends im Lebensmitteleinzelhandel dürften aber fortbestehen: Frische- und Bedientheken etwa, weil frische, unverpackte und regionale Produkte unverändert beliebt seien und Fachkräfte dort auf die Einhaltung aller Hygieneregeln achteten. Auch größere Gastronomiebereiche im Supermarkt dürfte es weiter geben – wenn auch mit mehr Platz für Abstandsflächen.
● Bezahlen Das Bezahlen im Supermarkt ist bislang weder für Kunden noch für Händler befriedigend gelöst. Anstehen, alle Waren aufs Band legen, nur um sie danach wieder in den Wagen zu räumen, nervt die Kunden. Der hohe Personalaufwand ist für die Händler ein großer Posten. Die Krise könnte hier viel mehr beschleunigen als nur den Trend zum bargeldlosen Bezahlen. Wanzl hat ein System entwickelt, mit dem jeder Kunde seine Waren schon während des Einkaufs bezahlt. Dazu wird ein Scanmodul an den Wagen gesteckt, das sich über das Smartphone mit der App des Händlers verbindet. Beim Gang durch den Markt scannt der Kunde seine Einkäufe, wenn er sie in den Wagen legt. Produkte, die er doch nicht mitnehmen möchte, kann er jederzeit wieder auslisten. Vor dem Verlassen des Geschäfts wird einfach mit dem Handy bezahlt – oder mit Karte an einem Terminal. Eine Kasse, wie man sie bisher kennt, gibt es dann nicht mehr – aber auch keine Kassiererin.