Mittelschwaebische Nachrichten
Zur Person
„Ich will Mittwoch, 12 Uhr 14 in Hürben ankommen, ganz gemütlich auf Umwegen nach Krumbad gehen und mich dort in den Garten setzen; vielleicht an die Wasserquelle oder eine andere Stelle, die Du mir bezeichnest. Du kommst dann ... dort vorbei, ohne mich zu beachten; eine Weile nachher stehe ich auf, folge Dir unauffällig und Du führst mich so dahin, wo wir uns ungestört sprechen können.“
Es sind Zeilen einer Liebe, die zu diesem Zeitpunkt noch heimlich sein muss. Gustav Landauer schreibt sie im Jahr 1901 an Hedwig Lachmann aus Krumbach-Hürben, die er im Krumbad treffen – und die er wenig später heiraten wird. Gustav
„Für die Töchter in Krumbach muss es furchtbar gewesen sein, die Pressehetze mitzuerleben.“
Landauer: London und Berlin sind wesentliche Stationen im Leben des Schriftstellers, Übersetzers und Philosophen. In Krumbach war er nur kurz, und doch ist es Krumbach, das mit sehr schönen und gleichermaßen tragischen Wendungen seines Lebens verbunden ist.
Als Landauer im Jahr 1901 den Brief an seine spätere Frau Hedwig Lachmann schreibt und sie im Krumbad trifft, kann er von all den Wendungen, die kommen sollten, nichts ahnen. Weltkrieg (den man später den „Ersten“nennt), Zusammenbruch des Wilhelminischen Kaiserreichs, Sturz der bayerischen Monarchie, Revolution und Räterepublik in München, in der er eine maßgebliche Rolle spielt. Sein Tod, im Mai 1919, brutal ermordet von Freikorps-Soldaten. In Krumbach ist sein Name bald nahezu vergessen. Und doch ist sein Leben ganz maßgeblich auch eine „Krumbacher Geschichte“.
Falls sich in den Jahrzehnten nach seinem Tod überhaupt noch jemand an den Namen Gustav Landauer erinnern konnte, dann fiel nicht selten das Stichwort „Bürgerschreck“. Mit dem Journalisten Kurt Eisner, der im November 1918 beim Sturz der Wittelsbacher-Monarchie in München eine entscheidende Rolle spielt und Ministerpräsident wird, verbindet ihn eine Art „Seelenverwandtschaft“. Auch rein äußerlich gibt es bemerkenswerte Parallelen. Beide sind schlank, sie tragen lange Bärte, manche mögen bei ihnen gar etwas „Guruhaftes“sehen, schreibt Volker Weidermann in seinem 2017 erschienenen Buch über die Revolution in München („Träumer. Als Dichter die Macht übernahmen“). Eisners und Landauers Humanismus, ihre Absage an Gewalt und Terror: Das wollen viele Menschen 1918/19 nicht sehen. Die Ermordung von Eisner und Landauer wirft 1919 einen dunklen Schatten auf das, was kommen sollte, voraus – im Jahr 1933. Landauer ist 1870 in Karlsruhe geboren. 150 Jahre später rückt das Leben Landauers wieder verstärkt in den Focus der wissenschaftlichen Betrachtung. Sebastian Kunze, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Erfurt, hat in der Reihe „Jüdische Miniaturen“eine prägnante 74-seitige Kurzbiografie über Gustav Landauer, der mit der aus Hürben stammenden Lyrikerin und Übersetzerin Hedwig Lachmann (1865 bis 1918) verheiratet war, verfasst. Krumbach wurde für Landauer kurz vor seinem Tod 1919 zum Fixpunkt seines Lebens. Kunze betont aber auch, dass Landauer in Krumbach letzten Endes „weder privat noch politisch Fuß fassen“konnte.
Landauer und Krumbach: Diese intensive, zugleich tragische Beziehung spielt im Buch der Münchner Autorin Rita Steininger eine wichtige Rolle. Im Dezember 2019 ist sie in Krumbach zu Gast, im Vorfeld der Fahrt hatte es erste Kontakte zum Krumbacher Heimatverein gegeben, der sich seit Jahrzehnten intensiv der jüdischen Geschichte in Krumbach und insbesondere in Hürben (seit 1902 ein Ortsteil von Krumbach) widmet.
Rita Steininger trifft mit Herbert Auer, seinem Sohn Bernd und Beate Hamp-Wohllaib zusammen. Rita Steininger kann in Auers Archiv Briefe einsehen, die Gustav Landauers Töchter Charlotte (aus Landauers erster Ehe mit Margarethe Leuschner), Gudula und Brigitte aus Krumbach (dort wohnte die Familie Landauer-Lachmann seit 1917) an ihren Vater nach München schreiben. Die Autorin besucht den jüdischen Friedhof, steht am Grab von Landauers Frau Hedwig Lachmann. „Der Aufenthalt war sehr berührend“, sagt sie rückblickend.
Mehr als 100 Jahre zuvor steht Gustav Landauer auf diesem Friedhof am Grab seiner Frau. Man kann allenfalls ahnen, welche Gefühle, welche Gedanken in diesem Moment seine Begleiter sind. Vielleicht die Zeit in England 1901/1902. Hedwig Lachmann und Gustav Landauer übersetzen den legendären Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“von Oscar Wilde. Diese Geschichte von der Menschheitsversuchung der „ewigen Jugend“, die nur tragisch enden kann. Die Scheidung Landauers von seiner ersten Frau Margarethe bahnte sich damals an, der England-Aufenthalt von Hedwig Lachmann und Gustav Landauer, er ist vielleicht auch eine Art Flucht. „1902 kehrt das Paar zurück und lässt sich in Hermsdorf bei Berlin nieder. Am 17. August kommt die gemeinsame Tochter Gudula zur Welt“, ist in Brigitte Steiningers Buch nachzulesen. Am 21. März 1903 wird Landauer von seiner Frau Margarethe geschieden, am 18. Mai heiraten Hedwig Lachmann und Gustav Landauer. Am 10. April 1906 wird die jüngste Tochter Brigitte geboren. Landauer arbeitet vorübergehend in der Berliner Buchhandlung Axel Juncker. Landauer und seine Frau Hedwig Lachmann stehen dem autoritären Kaiserreich zutiefst kritisch gegenüber. Und sie lehnen Krieg ab. Landauer formuliert dies 1911 in seinem Aufsatz „Die Abschaffung des Krieges durch die Selbstbestimmung des Volkes“. Das wird die beiden drei Jahre später, als der Erste Weltkrieg ausbricht und die Kriegsbegeisterung kaum Grenzen kennt, in eine schwierige Lage bringen.
1917 zieht das Paar mit seinen Kindern (dabei auch Landauers Tochter Charlotte aus erster Ehe) nach Krumbach-Hürben. Hedwigs Mutter Mina war gestorben. So konnte das Paar mit den Töchtern die frei gewordene Wohnung im jüdischen Schulhaus in der Hürbener Synagogengasse beziehen. 1918 schließt Landauer die Herausgabe des Werkes „Die Französische Revolution in Briefen“ab. In seinem Vorwort, geschrieben in „Krumbach in Schwaben, Juni 1918“finden wir einen nachdenklich stimmenden Satz: „Die intime Kenntnis des Geistes und der Tragik der Revolution möge uns in den ernsten Zeiten, die vor uns stehen, eine Hilfe sein.“Als Landauer diese Zeilen schreibt, hat er kein Jahr mehr zu leben. Seine Frau war nur kurz zuvor an den Folgen einer Lungenentzündung in Verbindung mit einer Grippe gestorben. Landauer und die drei Kinder bleiben zurück. Er verfällt in eine tiefe Depression, um sich dann in München einer Revolution zuzuwenden, von der er glaubt, dass sie Menschen und Staaten in einem wahren Wortsinn, menschlicher machen könnte. In Krumbach wohnen weiterhin seine drei Töchter
Charlotte, Gudula und Brigitte. Den Briefwechsel zwischen Landauer und seinen Töchtern hat Rita Steininger über ihr aktuelles Buch hinausgehend im Literaturportal Bayern zugänglich gemacht. Charlotte schickt ihrem Vater 1919 Ausschnitte aus dem Krumbacher Boten, die sehr deutlich machen, dass die ländliche Bevölkerung der Räterepublik in München (Landauer ist dort vorübergehend „Volksbeauftragter für Volksaufklärung“und damit de facto Kultusminister) ablehnend gegenübersteht: „In diesen Tagen soll eine Bauernbundversammlung sein. Allgemein wird gesagt, daß der Kreis Schwaben sich ablehnend verhält.“Am 14. April schreibt sie: „Ich brauche doch nicht erst zu versichern, daß wir mit ganzer Seele zu dir stehen.“Die Münchner Räterepublik wird von Reichswehrtruppen und Freikorps-Soldaten im Mai 1919 in einem wahren Blutrausch niedergeschlagen, Landauer im Zuchthaus Stadelheim ermordet. Das Urteil vieler seiner Zeitgenossen über Landauer, der zeit seines Lebens jede Gewalt abgelehnt hat, fällt mitunter geradezu vernichtend aus. Nun würdigt Rita Steininger in ihrer einfühlsamen Biografie Landauers Eintreten für die „Freiheit des Individuums und für ein humanes Miteinander“. Und Landauer-Biograf Sebastian Kunze schreibt, dass Menschen in all den Krisen seit 2007 wieder „verstärkt nach Modellen für ein besseres Zusammenleben“suchen würden. „Diese Suchenden stießen auch auf Gustav Landauer“. Das ist, nach all dem, was vor über 100 Jahren war, eine bemerkenswerte Botschaft.
Rita Steininger, Gustav Landauer. Ein Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit. Buchreihe „Vergessenes Bayern“. Volk-Verlag, München, 2020, 208 Seiten.
Sebastian Kunze, Gustav Landauer. Zwischen Anarchismus und Tradition. Verlag Hentrich & Hentrich, Centrum Judaicum, Berlin, Leipzig, 2020, 74 Seiten.
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● Herkunft Gustav Landauer wurde am 7. April 1870 in Karlsruhe als zweiter Sohn jüdischer, aber nicht religiöser Eltern geboren. Sein Vater war Schuhwarenhändler. Als Schriftsteller und Philosoph beschäftigte er sich beispielsweise auch mit der spätmittelalterlich-christlichen Mystik des Meisters Eckart, er gilt als bedeutender ShakespeareInterpret und Übersetzer.
● Studium Nach dem Studium der Fächer Germanistik, Philosophie, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte lebte er lange in Berlin. Unter anderem durch seine journalistische Tätigkeit geriet er wiederholt in Konflikt mit der wilhelminischen Staatsmacht, er wurde mehrfach inhaftiert. 1903 heiratete er in zweiter Ehe die in Hürben aufgewachsene jüdische Lyrikerin und Übersetzerin Hedwig Lachmann (geboren 1865), mit der er 1917 nach Krumbach-Hürben zog. Hedwig Lachmann starb dort am 21. Februar 1918 an einer Lungenentzündung.
● Revolution Landauer engagierte sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der deutschen Niederlage von Krumbach aus in der Folgezeit vehement für eine bayerische Rätedemokratie. Als Kulturbeauftragter des neuen Freistaats Bayern wollte er unter anderem die Prügelstrafe abschaffen. Nach der gewaltsamen Niederschlagung der Räterepublik wurde er am 2. Mai 1919 im Zuchthaus Stadelheim von Freikorps-Soldaten ermordet.
● Kinder und Enkel Aus der Ehe mit Hedwig Lachmann waren zwei Töchter hervorgegangen. Brigitte wanderte 1939 in die USA aus, wo sie 1985 starb. Brigittes Sohn Mike Nichols wurde zu einem bekannten Regisseur, er führte unter anderem Regie beim legendären Film „Die Reifeprüfung“mit Dustin Hoffman (1967). Tochter Gudula überlebte den Holocaust in Berlin. Sie wanderte 1946 in die USA aus – und wurde nach ihrer Ankunft an einer Fußgängerampel überfahren. Julius Lachmann, der musikalisch begabte Bruder Hedwig Lachmanns, wurde 1942 von den Nazis in das vom Deutschen Reich besetzte Polen deportiert und ermordet.
„Diese Suchenden stießen auch auf Gustav Landauer.“
● Ausbildung/ Beruf
● Herkunft Kunze ist 1987 in Northeim/Niedersachsen geboren. Nahoststudien, Politikwissenschaften und Jüdische Studien waren seine Studiumsschwerpunkte. (pb)