Mittelschwaebische Nachrichten
NNoocchheeiinmall auf Kreuzffahrrttggeehheenn.. DDaannnnkkam Corona. Nun will ein 86-Jähriger sein Geld zurück
Ist die Sorge, sich mit dem Virus anzustecken, ausreichend, um von einer gebuchten Tour zurückzutreten? Diese Frage beschäftigt Reise-Rechtler, Veranstalter und Verbraucherzentralen derzeit massenweise
Noch einmal eine Reise machen. Dafür hatten ein 86-jähriger Pensionär und seine 84-jährige Frau aus Immenstadt im Allgäu fleißig gespart. Mit dem Flusskreuzfahrtschiff MS Johann Strauss wollten sie vom 17. bis 26. August auf dem Rhein und auf der Donau von Basel nach Passau fahren. 3000 Euro kostete die Tour. Dann kam Corona. Und die Senioren sorgten sich aus gesundheitlichen Gründen, diese Reise anzutreten. „Wir sind beide vorerkrankt“, sagt der 86-Jährige. Das Paar entschließt sich, die Reise abzusagen, die es bei Komm-mitReisen in Sonthofen gebucht hat. Das Geld erhalten die Senioren nicht ganz zurück. 20 Prozent des Reisepreises – 600 Euro – betragen die Stornokosten, die das Oberallgäuer Unternehmen einbehalten will.
Vielen nicht nur älteren Menschen geht es derzeit ähnlich. Sie haben vor der Corona-Pandemie eine Reise gebucht und wollen nun lieber davon zurücktreten, weil sie aufgrund des hohen Alters oder Vorerkrankungen zur Risikogruppe gehören. „Das ist im Moment das Thema Nummer eins im Pauschalreise-Recht“, sagt Reiserecht-Experte Ernst Führich. Aber dazu später.
Im Reisebüro weist der 86-Jährige auf zwei überstandene Herzinfarkte hin. Auch habe er nur noch eine Niere. Seine Frau leide aufgrund einer Bronchienerkrankung unter Atemproblemen. Doch diese Argumente hätten „die Angestellte im Reisebüro überhaupt nicht interessiert“, berichtet der Immenstädter. Auch nicht, dass in CoronaZeiten die Gefahr bestehe, dass er und seine Frau sich während der Reise anstecken und die Krankheit für sie tödlich enden könnte. Eine Reise-Rückrittsversicherung haben die beiden nicht abgeschlossen.
Am 31. Mai wollte der 86-Jährige die Reise das erste Mal stornieren. Im Reisebüro sei ihm geraten worden, bis zum 15. Juni zu warten. Bis zu diesem Termin bestand die Möglichkeit, dass die Reise aus Sicherheitsgründen wegen der damals noch weltweit geltenden Reisewarnung abgesagt werden könnte. In diesem Fall würden keine Stornogebühren fällig werden, so der Hinweis im Reisebüro.
Als der Immenstädter dann am 15. Juni nachfragte (an diesem Tag wurde die Reisewarnung für Europa gelockert), wurde ihm gesagt, dass die Kreuzfahrt auf dem Rhein nun definitiv stattfinden könne. Der Pensionär hat die Reise am 16. Juni storniert, mit der Folge, dass ihm jetzt 600 Euro in Rechnung gestellt werden.
Einen Gutschein für 2021 akzeptierte der 86-Jährige aufgrund des hohen Alters nicht, da er nicht wisse, ob er im nächsten Jahr noch verreisen könne. Mit einer Bearbeitungsgebühr zwischen 50 und 100 Euro für die 3000-Euro-Reise wäre der Pensionär einverstanden. Nicht aber mit Stornogebühren in Höhe von 600 Euro. Denn er habe von anderen Reiseunternehmen gehört, dass deren Kunden aufgrund von Corona kostenlos von einer Reise zurücktreten können.
Das sagt die Verbraucherzentrale
Die Frage, ob Risikopatienten trotz Aufhebung der Reisewarnung kostenfrei von ihrer Reise zurücktreten können, lasse sich aktuell nicht eindeutig beantworten, sagt Julia Zeller von der Verbraucherzentrale Bayern in München. „Wir befinden uns hier rechtlich auf Neuland. Zu dieser Problematik gibt es aktuell noch keine Gerichtsentscheidungen.“
Reisende hätten grundsätzlich das Recht, vor Reisebeginn von der gebuchten Pauschalreise wieder zurückzutreten. Bei einem Rücktritt habe der Reiseveranstalter jedoch einen Entschädigungsanspruch gegenüber dem Reisenden. Im Falle des Allgäuer Paares würde sich die Entschädigung auf 600 Euro belaufen. Eine kostenfreie Stornierung der Reise sei nur möglich, „wenn ein sogenannter unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand vorliegt. Bei Vorliegen einer Reisewarnung ist das in der Regel auch der Fall“, so Zeller.
Ein kostenfreier Rücktritt von einer Reise sei nur bei einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise möglich. Dies müsse man im Einzelfall prüfen. Risikopatienten könnten wohl unter Umständen die Reise kostenfrei stornieren. Bei der individuellen Beurteilung dürfte es entscheidend darauf ankommen, „wie die Situation während der Kreuzfahrt konkret ist und ob diese Situation bei den Reisenden zu weiteren gesundheitlichen Schädigungen führen kann, selbst wenn der Reiseveranstalter alle Hygieneregeln beachtet“.
Risikopatienten sollten sich in jedem Fall von einem Arzt bestätigen lassen, dass die Durchführung der Reise während der Corona-Pandemie zu einer möglichen Verschlechterung der Gesundheit führen kann, rät Zeller. Jedoch sei nicht gesagt, dass der Reiseveranstalter ein solches Attest auch akzeptiere. „Im Streitfall bedarf es einer gerichtlichen Entscheidung. Jedoch ist aktuell nicht einzuschätzen, zu welchem Ergebnis ein Gericht kommen wird.“
Das sagt der Reise-Rechtler Ernst Führich
„Solche Fälle sind derzeit das Thema Nr. 1 im Pauschalreiserecht. Reisevermittler warnen ihre Kunden, nicht zu früh die gebuchte Pauschalreise wegen der Corona-Pandemie zu stornieren und zu warten, ob die Reise nicht vom Reiseveranstalter abgesagt wird. Nach den Geschäftsbedingungen steigen aber die Stornopauschalen bis zum Reisebeginn. Ärgerlich ist, dass viele Veranstalter nicht die neuen Verbraucherschutzrechte der Pauschalreise anwenden und für eine kostenfreie Stornierung nur eine amtliche
Reisewarnung akzeptieren, obwohl das Gesetz und die Gerichte auch andere Gründe zulassen.
Nach dem Gesetz des § 651h Absatz 3 BGB darf der Veranstalter abweichend von seinen Geschäftsbedingungen keine Stornopauschale verlangen, wenn während der Urlaubsreise oder bei der Anreise unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Zielort erheblich beeinträchtigen. Die Corona-Pandemie ist ein solcher außergewöhnlicher Umstand, der für den Kunden unvermeidbar ist. Reisewarnungen des Auswärtigen Amts stellen dabei ein wichtiges, aber nicht das alleinige Indiz für eine Beeinträchtigung dar. Wie wir alle wissen, bestand bis mindestens 14. Juni für alle Reisen, also auch für Flusskreuzfahrten, eine weltweite Reisewarnung, sodass nicht nur Veranstalter gebuchte Reisen absagen durften, sondern auch deren Kunden kostenlos vom Vertrag zurücktreten konnten. Viele Veranstalter missachten nun die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Reisenden eine relativ niedrige Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent für eine Beeinträchtigung der Pauschalreise durch die Pandemie ausreicht.
Auch wenn hier die Kreuzfahrt erst am 17. August beginnen sollte, durften die Reisenden bei ihrer Rücktrittserklärung am 16. Juni von einer wahrscheinlichen Gefährdung der Reisedurchführung ausgehen. Zum einen galt die Reisewarnung bis ,mindestens‘ 14. Juni. Zudem betonten der Außenminister und das Robert-Koch-Institut (RKI) andauernd öffentlich, dass in diesem Sommer Reisen generell gesundheitlich gefährlich sind. Auch die seit 15. Juni geltende Reisewarnung rät dringend von der Teilnahme an Kreuzfahrten aufgrund der an Bord herrschenden besonderen Risiken ab. Hiervon ausgenommen seien nur Flusskreuzfahrten innerhalb der EU bzw. Schengen mit besonderen Hygienekonzepten. Reiserechtlich spielen auch der Einzelfall einer hohen Infektionsgefahr gerade auf einem Schiff und die hohe Gefährdung für ältere Risikopersonen eine wichtige Rolle.
Als Reiserechtler bin ich der Meinung, dass das Ehepaar kostenfrei die Pauschalreise storniert hat und der Reisepreis, soweit er bereits gezahlt worden ist, binnen 14 Tagen nach dem Rücktritt in Geld zu erstatten ist. Ein Zwangsgutschein darf dem Kunden nicht aufgedrängt werden. Das bestätigt das neue Gesetz vom 16. Juli 2020 zur freiwilligen Gutscheinlösung.“
Das sagt der Reiseveranstalter
„Seit Juli dürfen Pauschalreisen unter bestimmten Auflagen wieder durchgeführt werden. Dies gilt auch für Flusskreuzfahrten, diese sind unter Einhaltung von Auflagen und Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO erlaubt, Schiffe dürfen zu hundert Prozent belegt werden.
In der Praxis sieht es leider so aus, dass viele Menschen durch die anhaltend negative Berichterstattung und oft falsche oder unsachliche Informationen verunsichert sind. Solange in Regionen oder Reiseländern aber keine Reisewarnung besteht oder sonstige Vorgaben seitens der Bundesregierung die Reisefreiheit einschränken, besteht ,allein aus Angst‘ kein Anspruch auf eine kostenfreie Stornierung der Pauschalreise. Aktuell sind wir mit mehreren Bussen in Europa und auch mit einem gecharterten Flussschiff in Frankreich unterwegs. Wir stehen täglich mit unseren Mitarbeitern und Leistungsgebern in Verbindung. Ausnahmslos bekommen wir positive Rückmeldungen über Ablauf und Wohlbefinden unserer Gäste (siehe auch Gästebuch www.komm-mit-reisen.net/gaestebuch).
Gerade aufgrund der hohen Hygieneund Sicherheitsstandards, das war bei Flusskreuzfahrten schon immer so, wird diese Reiseform aktuell verstärkt gebucht. In diesem Jahr sind wir noch mit fünf Charterschiffen unterwegs, Stornierungswünsche sind hier aktuell eher die Ausnahme.
Als führendes Reiseunternehmen im Allgäu sind wir von Anfang an sehr vorsorglich und kundenorientiert mit der Situation umgegangen. So haben wir frühzeitig alle Reisen bis Juli kostenfrei storniert und führen ,für das gute Gefühl‘ sehr stark gebuchte Reisen mit zwei bis drei Bussen durch. Unsere Charterschiffe werden nur zu maximal 70 Prozent belegt, auch das geht weit über die gesetzlichen Vorgaben hinaus. Mehr können wir für unsere Kunden nicht tun, ihnen das allgemeine Lebensrisiko auch nicht abnehmen.“
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Unterstützung in solchen Fällen
bieten auch Schlichtungsstellen, mit denen auch zahlreiche Reiseveranstalter zusammenarbeiten. Ansprechpartner ist etwa die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SöP). Kontakt: Tel. 030/64 499 330 oder im Internet: www.soep-online.de. Auf der Homepage gibt es ein Online-Formular. Kontakt für Schiffsreisende per E-Mail: schiffkontakt@soep-online.de