Mittelschwaebische Nachrichten
Der Bundestagspräsident als Vermittler
Wer macht die Regeln? Im Kampf gegen die Pandemie drängen Parteien auf mehr Mitsprache des Parlaments – und Schäuble schaltet sich ein. Wie eine Einkaufstour von Angela Merkel Fragen aufwarf
Berlin Im Streit über die Arbeitsbeziehungen zwischen Regierung und Parlament hat sich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble überraschend als Vermittler angeboten. Die öffentliche Debatte zeige, „dass der Bundestag seine Rolle als Gesetzgeber und öffentliches Forum deutlicher machen muss, um den Eindruck zu vermeiden, Pandemiebekämpfung sei ausschließlich Sache von Exekutive und Judikative“, mahnte der CDU-Politiker in einem Schreiben an die Fraktionen, das unserer Redaktion vorlag.
Falls seine Vermittlung gewünscht werde, stehe er bereit, erklärte Schäuble, der gleichzeitig ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages verschickte. Darin sind auf zwei Seiten „empfehlenswerte Maßnahmen zur Stärkung des Bundestages gegenüber der Exekutive bei der Bewältigung der Corona-Pandemie“aufgelistet.
Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes geht unter anderem auf die heikle Frage ein, ob die erheblichen Machtbefugnisse für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zulässig sind. Dem CDU-Politiker steht über das Infektionsschutzgesetz das Recht zu, per Rechtsverordnungen massiv in bestehende Gesetze eingreifen zu dürfen. Davon betroffen ist beispielsweise das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung. Die Gutachter äußern Bedenken, ob „die äußerst intensiven und breit wirksamen Grundrechtseingriffe im Rahmen der Corona-Pandemie“auf eine bloße Generalklausel gestützt werden dürfen, wie es derzeit der Fall ist. Sie verweisen darauf, dass das Rechtsstaats- sowie das Demokratieprinzip den parlamentarischen Gesetzgeber (also den Bundestag) dazu verpflichten, „wesentliche
Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen“.
Um der Regierung nicht zu viele Machtbefugnisse zu überlassen, empfehlen die Gutachter den Abgeordneten der Fraktionen, „konkrete Ermächtigungsgrundlagen“zu beschließen. Mit anderen Worten: Minister wie Jens Spahn sollen für ihr Handeln genaue Leitplanken bekommen. Auch eine Befristung der
Maßnahmen ist nach Auffassung der Experten sinnvoll. Sprengstoff hat zudem ein weiterer Satz in dem Gutachten, drückt er doch einiges Misstrauen gegenüber dem Regierungshandeln aus: „Es empfiehlt sich, eine Pflicht zur Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie einzuführen.“
Das Gutachten rennt mindestens in der Opposition offene Türen ein. Ausführliche Debatten, der öffentliche Austausch von Argumenten und Fakten, auch Rede und Gegenrede, seien jetzt wichtig, betonte etwa Fraktionschefin Katrin GöringEckardt. „Beratung, Abwägung, Entscheidung und Kontrolle gehören gerade in Krisenzeiten ins Parlament“, sagte sie unserer Redaktion.
Derweil treibt die außerparlamentarische Debatte über die richtigen Corona-Maßnahmen seltsame Blüten und hat nun auch das Privatleben der Regierungschefin erfasst. Kanzlerin Angela Merkel hatte sich am Wochenende in einer Videobotschaft mit der Mahnung an das Volk gewandt, angesichts steigender Infektionszahlen möglichst zu Hause zu bleiben.
Fragen eines Reporters der BildZeitung in der Regierungspressekonferenz am Montag legen jedoch nahe, dass Merkel nach der Aufzeichnung des Podcasts am Freitagnachmittag noch im Kaufhaus des Westens (KaDeWe) shoppen ging. Sie sei dort mit Einkaufstüten gesichtet worden, hieß es. Regierungssprecher Steffen Seibert nahm dazu keine Stellung – und in der Tat gibt es gerade wohl wichtigere Themen als die Einkaufsgewohnheiten der Kanzlerin.
Gutachten empfiehlt „Leitplanken“für Minister