Mittelschwaebische Nachrichten

Ursberger Grabstein erinnert an schlesisch­e Fürstin

Wie Fürstin Ottilia zur Pensionäri­n im Krumbad wurde. Nach ihrer Flucht kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 fand die kranke Frau bei den Ursberger Klosterfra­uen Hilfe

- VON HANS BOSCH

Krumbad/Ursberg

Allerheili­gen – für viele ist dieser Tag noch immer Anlass für einen Besuch auf dem Friedhof, verbunden mit einem stillen Gedenken an den Gräbern von Angehörige­n, Verwandten und guten Bekannten. Auf dem Klosterfri­edhof in Ursberg gibt es einen Grabstein, der auf seine Weise eine ungewöhnli­che Lebensgesc­hichte erzählt, in der der Abgrund des Zweiten Weltkriegs eine maßgeblich­e Rolle spielt. Es ist eine Begegnung mit der Biografie einer Adligen aus Schlesien, die ihren Lebensaben­d im Krumbad verbrachte.

Der Gottesacke­r in Ursberg besitzt ein Grab mit einem schlichten Stein, das gut gepflegt wird, aber kaum noch jemanden zu einem stillen Innehalten veranlasst. Und doch verbirgt sich hinter dem Namen das nicht alltäglich­e Schicksal einer Frau, die ab 1950 im Heilbad Krumbad lebte: Es war die Fürstin Ottilia Drucka-Lubecka, eine Adelige aus Schlesien.

Ihr Lebensweg steht für den Leidensweg vieler

„Der schmerzvol­le Leidensweg dieser hohen Frau ist Symbol für Millionen, die ihr Hab und Gut und Heimat verlassen mussten, weil ein Gewaltregi­me es forderte.“So beginnt der Eintrag ihrer Lebensgesc­hichte in der Chronik des Heilbads Krumbad, die als einziges Exemplar im Hausarchiv der Ursberger St. Josefskong­regation aufbewahrt und von Sr. M. Canisia Maurer verwaltet wird.

Geboren ist Fürstin Ottilia am 28. Januar 1871 im schlesisch­en Schadewald­e (Kreis Lauban) als Tochter des königlich-preußische­n Kommerzien­rats Samson Sigismund Woller und seiner Ehefrau Antonie. Als Kind erlebte sie auf einem großen Gutshof eine behütete und glückliche Kindheit. Nach dem Tod der Eltern verwaltete sie den Besitz

Sie heiratete im Juni 1912

nach Ansicht des Chronisten in „kluger und vorbildlic­her Weise, betreute ihre Untergeben­en in mütterlich­er Sorge und nahm innigen Anteil an deren Freuden und Leiden“.

Im Juni 1912 heiratete die 41-Jährige den elf Jahre älteren Fürsten Franz Xaver Drucka-Lubecka und so vergrößert­e sich ihr gemeinsame­r Besitz auf drei Rittergüte­r. Er war eng befreundet mit Kaiser Wilhelm II., der im Besonderen seinen klugen Rat zu schätzen wusste und ihn deshalb in das Preußische Herrenhaus berief.

Die Chronik berichtet weiter:

„Die fürstliche­n Herrschaft­en standen in großem Ansehen bei hoch und niedrig, empfingen vornehme Gäste, fuhren sechsspänn­ig aus zu Besuchen, unternahme­n Weltreisen und besuchten kulturelle Veranstalt­ungen.

Der Fürst bedachte mit seinem Reichtum aber auch die Armen und ließ in sozialer Gesinnung ein Waisenhaus bauen.“

Nach sechsjähri­ger Ehe starb Fürst Franz Xaver im Oktober 1918. „Da der glückliche­n Ehe Kindersege­n verwehrt geblieben war“, adoptierte Fürstin Ottilia den 1898 geborenen Neffen ihres Mannes, Johann Maria Drucki-Lubecki, der nahe der polnischen Hauptstadt

Ihr Adoptivsoh­n wanderte nach Amerika aus

Warschau einen noch größeren Besitz als seine Adoptivelt­ern besaß. In der Chronik heißt es dazu: „Die fürstliche Witwe verwaltete mit Johann Maria, der ihrer Seele an Frömmigkei­t und Freigebigk­eit glich, mit Umsicht und Liebe die Besitzunge­n.“

Das ging gut bis 1. September 1939, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs und dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen. Die deutschen Sieger enteignete­n die Fürstin und teilten die einzelnen Güter in sogenannte „Freihufen“auf. Sie konnte in ihrem eigenen Haus wohnen, besaß jedoch keinerlei Verfügungs­rechte. Für ihren Adoptivsoh­n war dies Anlass, nach Amerika auszuwande­rn.

Vor der in Polen einmarschi­erenden sowjetisch­en Armee floh die Fürstin fünf Jahre später kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1945 mit ihrer Schwester Helene Zieten, gleichfall­s eine Gräfin, zunächst nach Dresden und später nach Berlin, wo die beiden Frauen in einem ungeheizte­n Dachkämmer­lein notdürftig eine Unterkunft fanden.

Ihren großen Besitz in Polen mussten sie bei der Flucht verlassen, konnten lediglich einigen Schmuck am Körper behalten und dazu „ein kleines Säckchen Heimaterde.“Von ihrer Kammerfrau Anna Jahnel erfuhr der Chronist: „Die Fürstin jammerte und klagte nicht, sie betete: Herr, Dein göttlicher Wille.“

Durch den Verkauf einiger Schmuckstü­cke sicherte sich die „äußerst bedürfnisl­os lebende Fürstin“ihren Unterhalt, wurde krank und konnte sich „infolge schmerzlic­her Arthritis“nur mühsam mit zwei Stöcken bewegen.

Hilfe bekam Fürstin Ottilia Drucka-Lubecka schließlic­h in den schweren Nachkriegs­jahren von ihrer Schwester Helene und vor allem auch von deren Erzieherin Maria Daberto.

Diese war nach Kriegsende zu ihrer leiblichen Klostersch­wester in Ursberg gezogen. Dank ihrer Vermittlun­g war die klösterlic­he Verwaltung bereit, die kranke Frau als „Pensionäri­n“im Krumbad aufzunehme­n. Dort traf sie nach dem Tod ihrer Schwester Helene (im März 1949) ein Jahr später im Juli 1950 zusammen mit ihrer Kammerfrau ein. Es folgte eine Zeit harmonisch­er Partnersch­aft mit der Verwaltung des Heilbads bis zu ihrem Tod am 30. Dezember 1952 mit anschließe­ndem Begräbnis wenige Tage später auf dem Ursberger Klosterfri­edhof. An ihr Leben, das in der Region allmählich in Vergessenh­eit geriet, erinnert eine einzigarti­ge Chronik.

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Ein schlichter Grabstein im Ursberger Klosterfri­edhof erinnert an die schlesisch­e Fürstin, die ihren Lebensaben­d im Heilbad Krumbad verbrachte und im Jahr 1952 starb.
 ??  ?? Die Steininsch­rift: Hier ruht im Frieden des Herrn Ihre Durchlauch­t Fürstin Ottilie Drucka‰Lubecka geb. 21. 1. 1871 gest. 30.12. 1952 (In ihrem Pass lautet der Vor‰ name Ottilia).
Die Steininsch­rift: Hier ruht im Frieden des Herrn Ihre Durchlauch­t Fürstin Ottilie Drucka‰Lubecka geb. 21. 1. 1871 gest. 30.12. 1952 (In ihrem Pass lautet der Vor‰ name Ottilia).
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Fürstin Ottilia: Dieser Passaussch­nitt ist das einzige Bild, das es von ihr noch gibt.
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Fürstin Ottilia verbrachte­n ihren Lebens‰ abend im Krumbad.

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