Mittelschwaebische Nachrichten
Pfarrer Jungs Grablieder
Lob vom Bischöflichen Ordinariat
Es gibt berühmte Grabreden, die in die Geschichte eingegangen sind wie die Rede des Marc Anton für Julius Caesar, oder Gregor von Nazianz für Basilius, oder Ambrosius für Kaiser Theodosius I. oder Kardinal Josef Ratzinger für Papst Johannes Paul II. Noch viele weitere ließen sich aufzählen, aber Lieder am Grab hat nur einer gesungen: der Pfarrer von Kirchdorf/Iller. Er wurde vom Bischöflichen Ordinariat dafür gerügt. Man hat es ihm schließlich verboten. Über dieses Verbot hat sich Pfarrer Michael von Jung hinweggesetzt. Solange er Pfarrer in Kirchdorf/Iller war, durften sich die Pfarrangehörigen auf ein Grablied freuen und sich auf diese Weise trösten lassen.
Der 1781 geborene Sohn Michael des Schneidermeisters Jung in Saulgau wurde schon mit fünf Jahren in die Schule geschickt. Mit neun Jahren kam er aus der Schule. Der Vater brauchte ihn in seiner Werkstatt. Michael wurde Schneiderlehrling. Bald musste man feststellen, dass er sich für den Beruf nicht eignet. Der Pfarrer riet dem Vater, Michael auf das Gymnasium in Überlingen zu schicken. Da sein Berufsziel Pfarrer war, wechselte er nach dem Gymnasium 1801 an die Benediktiner-Universität in Salzburg. Um zum Priester geweiht zu werden, musste er noch ein Jahr nach Meersburg ins Priesterseminar der Diözese Konstanz. 1806 war es soweit. Michael Jung empfing die Priesterweihe.
Generalvikar Ignaz von Wessenberg schickte den Neupriester als Vikar nach Erolzheim. 1811 wurde Michael Jung Pfarrer im benachbarten Kirchdorf/Iller. Als durchziehende Soldaten der Armee Napoleons eine Typhusepidemie verursachten, hat sich Pfarrer Jung aufopfernd um die Kranken gekümmert. Nicht ein einziger Pfarrangehöriger ist am Typhus gestorben. Das veranlasste den König von Württemberg den Pfarrer zum Ritter des Königlich Württembergischen Civilverdienstordens zu erheben. Michael Jung durfte sich fortan „Michael Ritter von Jung“nennen. Darauf war er sehr stolz. Das Ordenskreuz trug er stets, sogar auf dem Messgewand.
So hingebungsvoll er für die Kranken sorgte, wirkte er auch als Seelsorger. Seine volksnahen Predigten würzte er mit Beispielen, die von Mund zu Mund gingen. Von seinem Religionsunterricht schwärmten seine Schüler noch nach
Jahren. Die Regierung machte ihn zum Schulinspektor für den Illerkreis. Er hatte damit eine Stellung wie Christoph von Schmid in Thannhausen. Wie bei vielen Pfarrern damals gehörten zum Pfarrhaus ein Stall, in dem er ein paar Kühe hielt, und auch ein Pferd durfte nicht fehlen. Es wurde gesattelt, wenn er die Lehrer visitierte. Dies alles machte ihn nicht berühmt, berühmt machten ihn seine „Grablieder“.
Bei jeder Beerdigung griff er zu seiner Gitarre, um ein Lied auf den Verstorbenen zu singen. In den einzelnen Strophen zeichnete er sowohl das Leben des Verstorbenen wie er auch versuchte die Angehörigen zu trösten. Diese Grablieder waren eine echte Sensation. Bei Beerdigungen in Kirchdorf füllte sich der Friedhof nicht nur mit Leidragenden, sondern auch mit Neugierigen, die hören wollten, ob der Pfarrer auch die Schwächen des Verstorbenen zur Sprache bringt. Das war nicht selten der Fall, aber das geschah nie verletzend. Da seine Grabreden besser gesagt „Grabgesänge“einen solchen Zuspruch erfuhren, entschloss er sich, sie als Buch herauszubringen. Er reichte das Manuskript beim Bischöflichen Ordinariat ein und bat um die kirchliche Druckerlaubnis, das Imprimatur. Dies wurde ihm verweigert. Pfarrer von Jung ließ es trotzdem drucken und es ging reißend weg. 200 Grabgesänge hat er gedichtet. Freilich so viele Beerdigungen hat er in Kirchdorf nicht gehalten. Er verfasste Grabgesänge auf Grund von Zeitungsberichten. Dabei bevorzugte er ausgefallene Todesfälle: ein Betrunkener, der auf dem Heimweg erfror; einer, der sich vom Kirchturm stürzte. Sogar den König von Württemberg bedachte er mit einem Grablied.
Mit 68 Jahren verabschiedete er sich von seiner Pfarrei und ging in den Ruhestand nach Tettnang. Die Beerdigungen hielten die dort tätigen Geistlichen. Michael von Jung war zum Kommoranten geworden. Manche meinten, es sei eine Strafversetzung gewesen, dem widersprach der Ruheständler entschieden. Das Bischöfliche Ordinariat habe ihm mit Rücksicht auf seine Gesundheit und sein fortgeschrittenes Alter noch einige ruhigere Jahre ermöglicht. Mit 78 Jahren starb Ritter Michael von Jung Kommorant in Tettnang, wo er auch begraben wurde.