Mittelschwaebische Nachrichten
MafiaKrimi mitten in Berlin
Eine blutige Auseinandersetzung um die Macht in der Unterwelt droht zu eskalieren. Die Polizei befürchtet schwere Unruhen. Ein Profiboxer will nun „Frieden“gestiftet haben – doch ob der hält, ist fraglich
Berlin In der Berliner Unterwelt droht eine blutige Fehde zwischen einem berüchtigten arabischstämmigen Clan und tschetschenischen Gangstern zu eskalieren. Momentan herrscht offenbar eine Art Waffenstillstand, vermittelt von einem schillernden Boxprofi, doch Ermittler trauen dem Frieden nicht. Sie befürchten schwere Kämpfe, bei denen Schusswaffen zum Einsatz kommen könnten.
Am vorvergangenen Wochenende war es zu mehreren Zusammenstößen von Angehörigen der deutsch-arabischen Remmo-Großfamilie und Mitgliedern von Banden aus der Kaukasus-Republik gekommen. Zunächst überfielen rund 30 vermummte Männer einen sogenannten Spätkauf, einen auch nachts geöffneten Kiosk. Offiziell gehört der „Späti“im Stadtteil Neukölln einem Polen, doch es heißt, der Laden werde in Wirklichkeit vom Remmo-Clan kontrolliert. Mit Messern, Hämmern und Stühlen gingen die Angreifer auf die Anwesenden los, auch Wasserpfeifen wurden als Waffen benutzt. Offenbar führte die Attacke auf den Spätkauf zu einem Racheakt am Bahnhof Gesundbrunnen. Zeugen beobachteten, wie fünf Männer, die sich auf der Straße neben einem Porsche unterhielten, von zehn Männern brutal mit Messern und Schlagstöcken attackiert wurden. Tags darauf griffen dann rund 20 arabisch sprechende Männer zwei Männer an. Videoaufnah
zeigen, wie einer am Boden liegenden Person mit einem Messer in den Rücken gestochen wird. Das Opfer wird später als 43-jähriger Tschetschene identifiziert. Bei einem weiteren Vorfall wurde ein 34-jähriger russischer Staatsbürger nahe des Amtsgerichts Wedding in den Oberkörper gestochen.
Die Hintergründe der Fehde sind unklar. Vermutet wird aber, dass es wieder einmal um die Hackordnung in der durchaus vielfältigen kriminellen Szene der Hauptstadt geht. Deutsch-arabische Clans sind dort seit rund drei Jahrzehnten aktiv in allen Spielarten des Verbrechens. Von Schutzgelderpressung über Drogenhandel bis zur Zwangsprostitution reicht die Bandbreite. Spektakuläre Einbrüche oder Raubüberfälle sind nicht nur Beutezüge, sondern dienen oft auch dazu, Ansehen und Ruhm in der Unterwelt zu mehren. Vielfach vorbestrafte Mitglieder der Clans sehen sich als Platzhirsche der Unterwelt. Teure Autos und goldene Armbanduhren sind ihre Statussymbole, die demonstrative Ablehnung staatlicher Autoritäten Ehrensache. Nun werden sie ihrerseits herausgefordert von einer Gruppe, deren Mitglieder meist an Kriegswaffen ausgebildet sind, als verroht und äußerst gewaltbereit gelten. Der Angriff der Tschetschenen-Gangster auf den Remmo-Clan in dessen eigenen vier Wänden wird als offene Kriegserklärung verstanden.
In mehreren Wellen waren Bewohner der kriegsgeplagten KaukaTschetschenien nach Deutschland gekommen. Ähnlich wie zuvor die Araber-Clans bildeten sie in einigen Fällen abgeschottete Parallelgesellschaften, in denen deutsche Gesetze nichts gelten. Schon seit geraumer Zeit warnt das Bundeskriminalamt vor einem Vormarsch der Tschetschenen-Mafia. In einer Analyse vom Vorjahr ist von „nordkaukasisch-dominierten OK-Strukturen“mit einer „überdurchschnittlich hohen Eskalationsund Gewaltbereitschaft“die Rede. „OK“, das steht für Organisierte Kriminalität. Zunächst verdingten sich die tschetschenischen Gangster offenbar oft als Handlanger oder
„Vollstrecker“für andere Verbrecherbanden. Berüchtigt für ihre Brutalität, treiben sie etwa Schutzgeld ein oder erledigen schmutzige Aufträge. Als in Berlin 2016 ein aktenkundiger Kokaindealer von einer Autobombe zerfetzt wird, führen die Spuren in die TschetschenenSzene. Offiziell geklärt ist der Fall bis heute nicht.
Der BKA-Bericht hebt außerdem hervor, dass es im Fall der Tschetschenen große Überschneidungen mit dem Bereich des militanten Islamismus gibt. Nicht selten sind Schwerkriminelle zugleich Extremisten, denen Terroranschläge zugetraut werden. Bevor der Tunesier Anis Amri Ende 2016 auf dem Bermen liner Weihnachtsmarkt zwölf Menschen tötete, verkehrte er in einer Moschee, die Treffpunkt tschetschenischer Islamisten war. Auch bei dem Attentäter Abdoulakh Anzorow, der in Frankreich vor wenigen Wochen einen Lehrer enthauptete und kurz darauf von der Polizei erschossen wurde, handelte es sich um einen Tschetschenen.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schätzt die Zahl der Nordkaukasier in Deutschland auf rund 50000, etwa 80 Prozent sind Tschetschenen. Genaue Statistiken gibt es nicht, offiziell werden Tschetschenen als russische Staatsbürger gezählt. Häufig sind sie als Schutzsuchende nach Deutschland eingereist. Die meisten Asylanträge werden zwar abgelehnt, abgeschoben werden aber in der Praxis nur wenige Tschetschenen – unter anderem wegen langer Gerichtsverfahren.
Während die überwiegende Mehrzahl der Tschetschenen offensichtlich unauffällig im Land lebt, sind einige tief in mafiöse Strukturen verstrickt. Szenekenner glauben, dass sie sich nun nicht mehr mit der Rolle als „Söldner“zufriedengeben, sondern ihrerseits die Kontrolle über die Unterwelt anstreben. Ginge es rein nach ihrer Zahl, hätten die Tschetschenen gegen die oft mehrere tausend Mitglieder zählenden arabischstämmigen Clans wohl wenig Chancen, sich durchzusetzen. Doch die Gefährlichkeit der Verbrecher aus dem Kaukasus liegt in ihrer extremen Brutalität und ihrer engsusrepublik maschigen europaweiten Vernetzung. Nachdem etwa ein junger Tschetschene im Juni in Dijon von nordafrikanischen Drogenhändlern verprügelt wurde, kam es dort zu schweren Unruhen. Aus ganz Europa reisten schwer bewaffnete Tschetschenen an, um blutige Rache zu nehmen.
Ein ähnliches Szenario befürchten die Sicherheitsbehörden nun auch für Berlin. Nicht nur die Tschetschenen, auch die Clans seien in der Lage „ein großes Personenpotenzial zu aktivieren“, heißt es beim Berliner Landeskriminalamt. Es sei zudem davon auszugehen, dass beide Gruppen über scharfe Waffen verfügten. Allen Polizeikräften wurde die Anweisung erteilt, Mitglieder der beteiligten Gruppen verstärkt zu kontrollieren. Offenbar herrscht seit einigen Tagen eine Art Waffenstillstand, den der Profiboxer Manuel Mahmoud Charr vermittelt haben will. Der arabischstämmige Schwergewichtsweltmeister genießt angeblich in der Welt der Clans ein hohes Ansehen. In den sozialen Medien präsentiert sich Charr als „Friedensstifter“und ruft im Namen Allahs zu „Versöhnung und Geduld“auf. Die Polizei weist die Darstellung Charrs zurück, der „Gipfel“sei in Absprache mit den Behörden erfolgt. Für Ermittler ist das Treffen eher der Beweis, dass sich Parallelstrukturen etabliert haben: Eine kriminelle Szene, die ihre Angelegenheiten selbst regeln will, trotz schwerer Straftaten, zum Schaden der gesetzestreuen Bürger.
Gefährliche Überschneidung mit islamistischem Terror