Mittelschwaebische Nachrichten
Wenn Karrieren ausgewechselt werden
Die Karriere nach der Karriere, ist quasi eine Zwangsumschulung um den 30. Geburtstag herum. Die meisten Menschen, eher in konventionellen Berufen, kommen um eine radikale 180-Gradwende in ihrem Leben meist glimpflich herum. Aus einem Bäcker wird kein Astrophysiker mehr. Anders ergeht es Profisportlern. Je nach Sportart lauert früher oder später eine existenzielle Frage auf sie: Wer bin ich, wenn ich nicht mehr Sportler bin? Eine Frage, an der nicht wenige verzweifelt sind – und teils kuriose Neustarts im Leben gewagt haben.
Unvergessen bleibt der Jobwechsel des ehemaligen Nationaltorwarts Tim Wiese. Das Gesicht solariumgebräunt, die Haare glatt nach hinten gegelt und die Muskelberge rasant wachsend, wechselte er das Tor gegen den Ring. Als „The Machine“wollte der damals 32-Jährige als Wrestler durchstarten. Resultat: ernüchternd. Kleinlaut kehrte er kurzfristig ins Tor zurück – in die Kreisliga nach Dillingen. Und da gibt es den italienischen Viertliga-Kicker Davide Iovinella, der nach seinem Karriereende den glücklichen Umstand seines austrainierten Körpers nutzte und Pornos drehte.
Das war vor Corona. Jetzt, wochenlang ins Homeoffice verfrachtet, der Wettkampfzyklus unkontrollierbar durcheinandergewirbelt, bleibt Sportlern viel freie Zeit für Reflexion. Wer bin ich, wenn ich nicht mehr Sportler bin? Zufriedenstellend beantwortet Tennisspielerin Andrea Petkovic sich diese Frage mit: Autorin. Ihr Erstlingswerk, ein Erfolg. Wechsel gelungen.
Eine Kehrtwende hat auch der britische Kunstturner Nile Wilson geschafft. Seine Welt dreht sich und das meist um ihn. Der 24-Jährige, zu dessen größten Erfolgen die Bronzemedaille am Reck in Rio 2016 gehört, ist Youtuber. Statt Salti turnt er nun mit pinken Kleidchen über den Schwebebalken. Auf der Jagd nach Likes statt Medaillen. Seinen 1,4 Millionen Followern gefällt’s. Ist er nun filmender Turner oder turnender Youtuber? Man weiß es nicht so recht. Eine radikale Zwangsumschulung? Nicht nötig. Leistungssport als zweites Standbein ist doch ganz nett. Und vielleicht dreht sich seine Welt noch weiter. Er muss ja nicht gleich Pornostar werden.