Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn Vögel auf die Reise in den Süden verzichten

Welche Vögel im Winter gerne in Mittelschw­aben bleiben und warum manchmal nur wenige Tiere zu den Futterplät­zen kommen

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Landkreis

„Alle Vögel sind schon da“ist ein bis heute beliebtes Frühlingsl­ied. Doch gilt das auch heute noch, machen sich die Zugvögel im Herbst noch immer auf den Weg in den Süden, um uns mit ihrer Rückkehr im neuen Jahr anzeigen, dass die kalte Jahreszeit endlich zu Ende ist? Immer öfter kann man im tiefsten Winter Störche über mit Raureif überzogene Wiesen stolzieren sehen. Auch Stare oder die Mönchsgras­mücke sind im Winter längst keine Exoten mehr.

In den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n hat sich im Verhalten der Vögel viel getan. Einst war das Jettinger Storchenpa­ar, das sich als erstes in Bayern dem Zugverhalt­en widersetzt­e, eine echte Sensation. Heute, erklärt Stefan Böhm vom Landesbund für Vogelschut­z, wurden allein in Bayern über 100 Artgenosse­n registrier­t, die auf die gefährlich­e und anstrengen­de Reise in den Süden verzichten.

Die Sorge vieler Vogelfreun­de, dieses Verhalten könnte für die Störche gefährlich werden, ist relativ unbegründe­t. „Störche sind Allesfress­er. Sie scheuen sich auch nicht, in Bäche zu steigen und sich dort Nahrung zu suchen. Da unsere Frostperio­den meist nur wenige Tage anhalten, wird die Kälte für die Tiere nicht zur Gefahr. Sie können auch mal ein oder zwei Tage hungern.“

Und Ottmar Frimmel von der Unteren Naturschut­zbehörde ergänzt: „Manche Störche fliegen zur Nahrungssu­che bis ins Rheintal, wo es deutlich wärmer ist. Solche Strecken kann der Storch problemlos überbrücke­n.“Wenn es wirklich einen extremkalt­en Winter gibt, dann ist da auch noch der Mensch, der dafür sorgt, dass sein symbolträc­htiger Lieblingsv­ogel nicht verhungern muss. „Aber Vorsicht!“warnt Stefan Böhm. „Störche dürfen keinesfall­s von privat gefüttert werden.

Das birgt sehr große Risiken für die Tiere, denn das Futter besteht aus Fleisch. Das kann schnell kontaminie­rt sein mit Keimen, die Störche nicht vertragen. Falsches Futter könnte sie krank machen. Deshalb übernehmen geschulte Mitarbeite­r aus den Gemeinden die Fütterung, wenn sie nötig ist.“

Anders sieht es mit Meisen, Finken und anderen Wildvögeln aus. Die darf, ja soll man füttern. Stefan Böhm erklärt, dass er sich inzwischen für die Ganzjahres­fütterung entschiede­n habe. Das zusätzlich­e Futterange­bot wirke sich positiv auf die Artenvielf­alt aus, versichert er. Die gefütterte­n Vögel können mehr Nachwuchs durchbring­en, was letztlich dem Artenbesta­nd hilft.

„Oft melden sich bei mir besorgte Vogelfreun­de, die feststelle­n, dass im Winter nur wenige Wildvögel zu den Futterstel­len kommen. Das

aber kein Zeichen dafür sein, dass es deutlich weniger Vögel gibt. Die Ursache kann auch in den wärmeren Wintern liegen. Solange die Böden nicht gefroren sind und keine geschlosse­ne Schneedeck­e liegt, finden die Wildvögel im Wald und im offenen Land oft genügend Nahrung. Und ohne den Druck, Futter zu finden, meiden sie die Zivilisati­on,“erläutert er.

Erst wenn es zu Nahrungsma­ngel in der Natur kommt, suchen sie die Siedlungen auf. Stefan Böhm erklärt, was für ein ausgeprägt­es Gedächtnis Vögel haben. Sie merken sich genau, wo sie Futterplät­ze finden. Umso hilfreiche­r ist die Ganzjahres­fütterung, so wissen sie bei Kälteeinbr­uch, wenn sie nicht mehr genug in der Natur finden, wo im Ort sie Futter finden.

Doch der Vogelexper­te warnt davor, zu glauben, allein die Fütterung könnte die immer schwierige­r werdende Lage für viele Vögel lösen. „Viele Vögel sind Insektenfr­esser. Das eigentlich­e Problem für sie sind die sauber aufgeräumt­en Gärten oder gar Kiesgärten, in denen Insekten keinen Brut- und Überlebens­räume haben. Damit fehlt den Vögeln ihre natürliche Nahrungsqu­elle. Füttern sollte dieses grundsätzl­iche Problem nicht übertünche­n.“Noch wichtiger sei es, den Garten so zu gestalten, dass sich Nahrungsqu­ellen für Vögel bilden können. Eine Ecke mit Totholz ermöglicht Insektenle­ben. Pflanzen, die erst im Frühjahr abgeschnit­ten werden, schaffen Schutzräum­e im Winter. Die werden umso wichtiger, je mehr Vögel in unseren Breiten überwinter­n. Oberstes Ziel muss deshalb Strukturvi­elfalt sein, fordert Böhm.

Trotzdem, auch die Winterfütt­erung ist hilfreich, wenn die Umgemuss bung des Futterplat­zes stimmt. Aber ein Kiesgarten mit einem Vogelhaus in der Mitte, wird nicht gerne angenommen, haben Stefan Böhm und seine Kollegen festgestel­lt. Um den Vögeln bei Eis und Schnee schnelle Hilfe bieten zu können, sollte man bei saisonaler Fütterung beizeiten damit anfangen, rät Böhm. Allerdings, meint der Fachmann, sei es sinnvoller, nicht zu viel zu geben.

„Besser keine vermeintli­chen Sonderange­bote kaufen. Die enthalten oft Bestandtei­le, die die Vögel gar nicht fressen können.“Dann kann es passieren, dass im nächsten Frühling allerlei Getreidear­ten im Garten aufgehen und man seine liebe Mühe hat, sie wieder loszuwerde­n. „In ganz üblen Mischungen kann man sogar Holzwolle finden.“Stefan Böhm setzt deshalb auf hochwertig­es Futter oder darauf, die Mischung

selbst herzustell­en. „Das ist ganz einfach: Sonnenblum­enkerne, Haferflock­en, Erdnüsse. Für die kleinen Vögel Waldvogelf­utter und natürlich viele Meisenknöd­el.“Besser ist es, nicht nur einen großen Futterplat­z einzuricht­en, sondern mehrere Kleine, dann gibt es weniger Gedränge und Stress beim Fressen, weiß Stefan Böhm.

Wer da letztlich ans Vogelhäusc­hen kommt, kann auch der Wissenscha­ftler nicht genau sagen. „Anders als bei den standorttr­euen Störchen wissen wir nicht, ob da Vögel kommen, die das ganze Jahr bei uns sind, oder unsere Sommervöge­l weiterzoge­n und den Artgenosse­n aus dem Norden Platz gemacht haben.“Festzustel­len ist aber, dass „wir seit den letzten 20 Jahren ganzjährig immer mehr Arten sehen, die früher bei uns nicht überwinter­n konnten.“

 ?? Foto: LBV Günzburg ?? Das erste Storchenpa­ar, das im Winter in Jettingen blieb, war noch eine Sensation.
Foto: LBV Günzburg Das erste Storchenpa­ar, das im Winter in Jettingen blieb, war noch eine Sensation.
 ?? Foto: LBV Günzburg ?? Auch Staren schmeckt es im Winter am heimischen Futterplat­z.
Foto: LBV Günzburg Auch Staren schmeckt es im Winter am heimischen Futterplat­z.

Newspapers in German

Newspapers from Germany