Mittelschwaebische Nachrichten
Altlasten an Bord
Audi hat eine Menge vor, will mit einer elektrischen Auto-Flotte in die Zukunft fahren. Die Klagen aus dem Abgasskandal und das Strafverfahren sind dabei allerdings ein Ballast, den die VW-Tochter noch lange mitschleppen muss
Augsburg/Ingolstadt Auf dem eingeschlagenen Weg in eine elektrisierende Zukunft wird Audi immer wieder daran erinnert, dass die juristische Vergangenheit des Abgasskandals noch lange nicht aufgearbeitet ist.
Jüngstes Beispiel ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts München von Anfang dieser Woche. Audi muss demnach auch für in ihren Fahrzeugen eingebaute VWMotoren haften, wenn diese von Dieselgate betroffen sind. Audi kommentierte die Entscheidung auf Anfrage so: „Die Entscheidungen des 21. Senats am Oberlandesgericht München sind nicht die ersten im Zusammenhang mit dieser Frage. Hierzu gibt es bereits eine Reihe unterschiedlicher Urteile, die von einer Vielzahl bundesdeutscher Gerichte gefällt wurden. Auch ein anderer Senat am OLG München hat bereits abweichend entschieden. Wie schon in den vorangegangen Fällen werden wir auch diese Urteile sorgfältig prüfen und anschließend entscheiden, ob wir hiergegen Rechtsmittel einlegen.“Die jüngste Entscheidung aus München ist zwar noch nicht rechtskräftig, als Nächstes wird sich mutmaßlich der Bundesgerichtshof mit der Sache befassen müssen, aber Nachrichten vom Gericht werden noch lange Alltag für die VW-Tochter bleiben.
Das zeigt auch ein Blick nach Ingolstadt, wo das Verfahren, mit dem sich das OLG München zu befassen hatte, herkam. Allein in Ingolstadt, wo Audi seinen Stammsitz hat, sind am Landgericht noch rund 3000 Dieselverfahren klagender Autobesitzer zu entscheiden. Die Zahl, teilt das Gericht auf Anfrage mit, habe „kontinuierlich zugenommen“. Seien es zu Jahresanfang 2020 noch knapp 150 Dieselverfahren pro Monaten gewesen, so hätten sich die Verfahrenseingänge ab Oktober 2020 „nahezu verdreifacht“. Eine Sprecherin sagt: „Für den Dezember rechnen wir – auch bedingt durch die Tatsache, dass am Ende eines Jahres gemäß den gesetzlichen Verjährungsvorschriften alle Ansprüche, die im Jahr 2017 entstanden sind, verjähren – noch einmal mit einem sprunghaften Anstieg“. Seit 2017 seien Jahr für Jahr rund eintausend Verfahren mehr in Sachen Abgasskandal eingegangen. Mehr Richter kamen nach Ingolstadt, um die Aktenberge abzuarbeiten. Insgesamt seien 20 Kollegen damit beschäftigt.
Nun ist Ingolstadt nur ein Landgericht von vielen, die sich mit Folgen des Abgasskandals herumschlagen müssen. Fragt man bei Volkswagen nach, was die juristische Aufarbeitung bisher insgesamt – also auch für die VW-Tochter Audi – gekostet hat, werden die genannten Summen seit der letzten Anfrage nicht weniger. Die Gesamtkosten der juristischen Aufarbeitung belaufen sich Angaben eines VW-Sprechers zufolge bisher auf rund 32 Milliarden Euro. Stand jetzt habe VW seit Bekanntwerden des Abgasskandals weltweit für Berater und
Anwälte mehr als zwei Milliarden Euro ausgegeben. Darüber hinaus hat man weitere Milliarden zurückgestellt, denn bis das alles vorbei ist, werden noch Jahre vergehen.
Das bestätigt auch Markus Klamert. Der Anwalt setzt vor Gericht Schadenersatzansprüche für Käufer von Autos verschiedener Hersteller – nicht nur VW oder Audi – durch, die vom Abgasskandal betroffen sind. Seine Sozietät, Klamert & Partner Rechtsanwälte München, ist spezialisiert auf Massenverfahren. Bis zum Jahresende, so schätzt er, würden die Klagen, die den Motorentyp EA189 betreffen, erledigt sein. Es kommt aber noch einiges nach. Er und seine Kollegen können nicht über einen Mangel an Arbeit klagen: „Wir haben allein in diesem Jahr rund 3000 neue Verfahren. Und da gibt es noch ein paar andere Kanzleien, die mit ähnlichen Zahlen operieren.“Es gebe daher nach wie vor wenige Anwälte auf dem Markt, die frei sind. Fragt man Klamert, wann Audi das Thema Diesel-Klagen los ist, sagt er: „Geschätzt in drei Jahren.“Bis dahin sollten die Verfahren zu den noch anstehenden Fahrzeugen abgearbeitet sein.
Jahre werden – neben den Zivilverfahren – auch noch die laufenden oder noch anstehenden Strafprozesse dauern. Am Dienstag wurde am
Immer mehr Verfahren am Landgericht Ingolstadt
Mit Artemis will Audi in die Zukunft jagen
Landgericht München II das Verfahren gegen Ex-Audi-Boss Rupert Stadler und drei weitere Angeklagte fortgesetzt. Der Prozess produziert derzeit nicht mehr die Schlagzeilen wie zu Beginn. Derzeit sagt einer der angeklagten Ingenieure aus. Die Aufmerksamkeitskurve dürfte aber schlagartig wieder steigen, wenn der frühere Audi-Motoren-Chef Wolfgang Hatz seine Aussage macht. Und wenn Rupert Stadler sich den Fragen des Richters stellt, was wohl erst 2021 der Fall sein wird, dürfte es wieder Warteschlangen vor dem Gerichtssaal in Stadelheim geben.
Während diese Vergangenheit also Belastung bleibt, arbeitet eine Abteilung bei Audi mit besonderem Hochdruck an der Zukunft. Bereits zwei Monate nach seinem Amtsantritt in Ingolstadt hat der neue Audi-Vorstandsvorsitzende Markus Duesmann das Hightech-Projekt „Artemis“vorgestellt. Diese Einheit soll nach und nach 250 Experten zählen und ist nach der griechischen Göttin der Jagd benannt. Sie entwickelt seit dem Sommer zusätzliche Automodelle. Die SpezialistenTruppe soll wie ein Tech-Startup mit flachen Hierarchien funktionieren. Verantwortlich dafür zeichnet der Motorsportingenieur Alex Hitzinger. Ziel von Artemis ist, bis 2024 ein „hocheffizientes, voll vernetztes E-Modell“an den Start zu bringen, das „wegweisend für weitere Modelle im Konzern sein wird“.
Der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer schätzt die Perspektive von Audi so ein: „Die VW-Tochter kommt jetzt mit Markus Duesmann wieder langsam zurück. Aber es braucht noch gut zwei bis drei Jahre, bis man an die alten Erfolge anknüpfen kann.“Zu lange, so Dudenhöffer, war man wegen des Dieselgate „gehandicapt“.