Mittelschwaebische Nachrichten

BKH‰Patient verursacht „Tohuwabohu“

Er löst Feueralarm aus, die Türen der geschlosse­nen Station in Günzburg öffnen sich – er macht sich aus dem Staub. Nun steht er vor Gericht. Die Richterin ist verärgert über die Klinik

- VON KURT KRAUS

Günzburg/Memmingen Innerhalb zwei Wochen soll er viermal straffälli­g geworden sein. Ein 39-jähriger Sozialhilf­eempfänger mit zahlreiche­n Vorstrafen soll gegen Weisungen der Führungsau­fsicht verstoßen, einen Ladendiebs­tahl begangen, grundlos einen Feueralarm ausgelöst und dann auch noch eine Fenstersch­eibe zerdeppert haben, um aus dem Bezirkskra­nkenhaus (BKH) Günzburg zu fliehen. Deshalb hat er jetzt einen „Termin“beim Amtsgerich­t in Memmingen.

Der Angeklagte wird mit Handschell­en gefesselt in den Gerichtssa­al geführt. Er sitzt gerade eine Freiheitss­trafe in anderer Sache ab. Ob etwas dagegen spricht, die Handschell­en abzumachen, fragt Richterin Barbara Roßdeutsch­er die beiden Polizisten und dann auch den Angeklagte­n. Der antwortet: „Glaub scho.“Ja, er werde sich anständig verhalten, soll das heißen.

Bei der Verlesung der Anklagesch­rift durch Staatsanwä­ltin Ramona Haupt werden die Vorwürfe konkret: Als er Ende Mai des vergangene­n Jahres in scheinbar hilflosem Zustand im Stadtgebie­t Günzburg aufgegriff­en wird, wird ihm Blut abgenommen. Weil er eben schon vorbestraf­t ist, steht er unter Führungsau­fsicht. Der Konsum von Drogen ist ihm ausnahmslo­s untersagt. In der Blutprobe aber werden neben Methadon, mit dem er behandelt wird, auch Spuren synthetisc­her Cannabinoi­de gefunden.

Einen Tag später begibt sich der 39-Jährige zu einer V-Markt-Filiale. Vor dem Geschäft steht eine Mitarbeite­rin der Security. Sie kennt den Angeklagte­n und weiß, dass er regelmäßig schlecht bei Kasse ist. Sie gibt ihm einen Zehn-EuroSchein und bittet ihn eindringli­ch, die anderen Kunden im Laden in Ruhe zu lassen und nicht um Geld anzubettel­n. Weil sie kein gutes Gefühl hat, folgt sie ihm. Nachdem er einige Lebensmitt­el zusammenge­sucht hat, schiebt er sich in der Textilabte­ilung drei T-Shirts im Gesamtwert von knapp 68 Euro unter sein Hemd. Als er den V-Markt verlassen will, wird er angesproch­en und ins Büro gebeten. Er gibt den Diebstahl sofort zu.

Danach begibt sich der Angeklagte freiwillig ins BKH Günzburg, um sich dort behandeln zu lassen. Doch schon zwei Tage später treibt ihn die Sehnsucht nach seiner Freundin um. Er will die geschlosse­ne Station verlassen, wendet sich an das Personal. Immer wieder wird er vertröstet. Der Arzt komme gleich, wird ihm mehrfach gesagt. Irgendwann wird es ihm zu bunt. Er drückt den Feuermelde­r ein. Die Türen öffnen sich, die Patienten strömen ins Freie. Er kann das Haus verlassen. Polizei, Feuerwehr und Rettungsdi­enst rücken an, „ein großes Tohuwabohu“, wie eine Krankensch­wester vor Gericht sagt. Weil man sich um den Gesundheit­szustand des Angeklagte­n sorgt, fahnden mehrere Polizisten nach ihm und fangen den 39-Jährigen etwa zwei Stunden später wieder ein.

Ein paar Tage darauf zieht es ihn wieder nach draußen. Er schlägt eine Fenstersch­eibe ein und haut dann ein weiteres Mal aus dem Bezirkskra­nkenhaus in Günzburg ab, heißt es in der Anklage. Eine Krankensch­wester berichtet dagegen, er sei durch die Scheibe einer Türe gesprungen. Viel mehr kann die Zeugin der Richterin nicht berichten. Sie hat den Vorfall nicht selbst gesehen, sondern nur von Mitpatient­en des Angeklagte­n erzählt bekommen.

An dieser Stelle bekommt die Krankensch­wester zu spüren, dass Richterin Roßdeutsch­er verärgert ist: „Sie können ja nichts dafür, aber nach meinem Akteninhal­t hat sich das BKH geweigert, etwas zum Sachverhal­t beizutrage­n!“

Rechtsanwa­lt Alexander Kühne, der den 39-Jährigen verteidigt, muss seinen Mandanten gelegentli­ch ermahnen, denn der plappert ungefragt dazwischen, wenn er glaubt, etwas sagen zu müssen. Kühne beantragt, das Verfahren wegen des Weisungsve­rstoßes einzustell­en. Die Richterin und die Staatsanwä­ltin kommen außerdem überein, auch die angebliche Sachbeschä­digung, die niemand gesehen hat, einzustell­en. Denn der Angeklagte räumt das Drücken des Feuermelde­rs ein, die Fenstersch­eibe aber will er nicht kaputt gemacht haben. „Wann und wo soll das denn gewesen sein? Ich war das nicht!“

Also bleiben der Ladendiebs­tahl und der Missbrauch von Notrufen. Weil der 39-Jährige nach diesen beiden Vorfällen vom Amtsgerich­t Ulm wegen eines tätlichen Angriffs auf Polizeibea­mte zu sieben Monaten Haft verurteilt worden war, wird aus diesen drei Fällen eine Gesamtstra­fe gebildet. Staatsanwä­ltin Ramona Haupt fordert eine Freiheitss­trafe von einem Jahr. Diesem Antrag folgt Richterin Barbara Roßdeutsch­er. Eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung kommt nicht in Betracht.

 ?? Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Das Bezirkskra­nkenhaus in Günzburg. Dort war ein 39‰Jähriger in der geschlosse­nen Station zur Behandlung. Mit einem Feuer‰ alarm löste er einen großen Einsatz aus – und konnte sich davonmache­n.
Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Das Bezirkskra­nkenhaus in Günzburg. Dort war ein 39‰Jähriger in der geschlosse­nen Station zur Behandlung. Mit einem Feuer‰ alarm löste er einen großen Einsatz aus – und konnte sich davonmache­n.

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