Mittelschwaebische Nachrichten
Für eine halbe Million Euro entsteht hier Zukunft
Katrin und Jan Hiller investieren in eine neue Küche ihres Gasthofs „Adler“in Ziemetshausen. Dabei waren sie kurz davor, im Corona-Lockdown die Geschichte des traditionsreichen Familienbetriebs zu beenden
Einzelhändler, Gastronomen/Hoteliers und „Lebensmittelhandwerker“wie Bäcker und Metzger machen eine Innenstadt und ein Dorf lebendig. Doch schon vor Corona haben viele um die Zukunft gekämpft, vielerorts haben Betriebe mangels Nachfolger schließen müssen. Corona hat die Probleme verschärft. In einer Zeit, in der durch das Virus und seine Folgen Innenstädte und Dörfer weiter auszubluten drohen, will unsere Zeitung einen Kontrapunkt setzen und über die berichten, bei denen die Nachfolge geregelt ist. So heißt unsere Serie auch, der Einfachheit halber auf Überbegriffe fokussiert: „Handel und Gastronomie mit Zukunft“.
Ziemetshausen Eine halbe Million Euro investieren? In diesen Zeiten? In der Gastronomie? Ja! Katrin und Jan Hiller haben sich ganz bewusst dazu entschieden, dem Gasthof „Adler“in Ziemetshausen eine Zukunft zu geben. 1928 hatte der Urgroßvater der Chefin den landwirtschaftlichen Betrieb mit Wirtsstube übernommen, 1956 gab es die ersten Übernachtungsmöglichkeiten samt regelmäßiger warmer Küche. Hillers Eltern übernahmen den Betrieb 1976, seit 2015 führt die heute 40-Jährige mit ihrem Mann das Haus – und doch waren sie wegen der Corona-Krise im zweiten Lockdown kurz davor, den Schlussstrich unter diese Tradition zu ziehen. Die schon länger geplante Investition in eine komplett neue Küche wurde gestoppt. Und nun geht es doch weiter. Warum?
Insgesamt 160 Plätze hat das Gasthaus, im Biergarten kommen 60 hinzu. In 13 Zimmern gibt es 22 Betten. Es gibt einen Catering-Service. 18 Mitarbeiter sind im Haus tätig, die langjährigste Angestellte hält dem „Adler“seit gut 25 Jahren die Treue, der Rest des Teams ist zwischen 16 und 30. Drei Mal in Folge, sagt Jan Hiller, sei der jahrgangsbeste Auszubildende aus ihrem Betrieb gekommen, was sich in der Branche durchaus rumgesprochen habe. Alles Dinge, auf die man stolz sein kann. Doch „es ist ein Knochenjob“, man muss arbeiten, wenn andere frei haben. „Wie natürlich in vielen anderen Branchen auch.“Für sie als Chefs bedeute fast der ganze Tag Arbeit, ohne dass wirklich etwas dabei rumkomme. Und wenn man bedenke, dass alleine gut 30 Stunden in der Woche für die Büroarbeit draufgingen, könnten sie jeden verstehen, der aufhört.
Im November, als für die Gastronomie der zweite Lockdown kam, hätten sie überlegt, ob es das alles wirklich wert ist. Die erste Schließung im Frühjahr hätten sie noch recht gut verkraftet, die Stammkunden hätten sie sehr unterstützt. Doch mit dem November und Dezember die umsatzstärksten Monate im Jahr zu verlieren, tue weh, das könne der Außer-Haus-Verkauf natürlich nicht auffangen. Zwar hätten sie auch jetzt wieder Hilfe von den Stammkunden erhalten, doch weniger als zuvor. Jan Hiller nahm einen Job im Außendienst an, damit Geld in die Kasse kam; als Familie mit zwei Kindern müsse man ja auch über die Runden kommen. Es war wohl die Erfahrung in der freien Wirtschaft, die nötig war, um zu erkennen: Hier muss es weitergehen.
Denn wie der 43-Jährige sagt, habe er erkannt, wo ihre Qualitäten lägen: bei einer menschlichen Führung, dem Miteinander im Team, dem Qualitätsanspruch. Und als ihr siebenjähriger Sohn Samuel – sein Bruder Noah ist drei – gesagt habe, dass er den Betrieb ja einmal übernehme, hätten sie auch schlucken müssen. „Da kann man nicht einfach aufhören“, sagt Katrin Hiller. Ohnehin habe er Spaß am Kochen, an den Gästen – der Trubel im „Adler“fehle ihm, so Hiller. Zumindest hätten sie noch ein paar Übernachtungsgäste, für gewerbliche Reisende ist das ja nach wie vor erlaubt.
Wer sich die Vita der beiden Chefs anschaut, kann sich durchaus die Frage stellen, was sie aufs Land gezogen hat. Kennengelernt haben sie sich im „Königshof“in München, beide sind gelernte Köche. Jan Hiller war unter anderem im legendären „Adlon“in Berlin und im „Friedrichs“, zusammen waren sie in Kalifornien. Er wiederum arbeitete auch in Florida und auf Sylt, zusammen wiederum waren sie in Wien im Hotel „Le Meridien“. Katrin Hiller ist zudem staatlich geprüfte Hotelbetriebswirtin und arbeitet heute vor allem im Service, ihr Mann ist der Küchenchef – der „Adler“hat schon mehrfach Auserhalten. Warum also Ziemetshausen? „Wegen der Liebe“, sagt der 43-Jährige. Für seine Frau sei immer klar gewesen, dass sie nach Hause zurückkehren und das Haus weiterführen will, da sei er ihr gefolgt. Und für sie habe seit der Lehre festgestanden, dass es ihr Traumberuf sei. „Es ist die Abwechslung, kein Tag ist gleich.“Seit 2007 arbeiten sie zusammen im Familienbetrieb Gasthaus.
Angesichts der zwei Kinder drängt sich aber eine weitere Frage auf: Wie lässt sich das mit der Familie vereinbaren? Sie haben vor acht Jahren das Mittagsgeschäft unter der Woche aufgegeben, es sei auch nicht mehr angenommen worden. Die Arbeitstage der Leute seien dichter gepackt, da hätten Bäcker und Metzger den Imbiss zur Mittagspause übernommen. Auch hätten sie bei den Dumpingpreisen – ein Mittagsgericht für fünf Euro – nicht mehr mitmachen wollen. Lieber seien sie am Abend und zusätzlich am Wochenende sowie an Feiertagen auch mittags für die Leute da, wenn diese sich Zeit für ein gutes Essen nehmen. Verändert hätten sich auch die Gäste, oder sie hätten diese verändert, sagt Jan Hiller: „Wir sind vom Wirtshaus zum Restaurant geworden“, sprich der Fokus liege auf hochwertigem Essen statt auf Stammtischen, die sich bis in die Puppen am Bier festhalten.
Auch wenn sie versuchten, ihr Personal ordentlich zu entlohnen, sei die Gesellschaft in Deutschland leider noch nicht so weit, den wirklich angemessenen Preis für Qualität bezahlen zu wollen – auch was das Thema Tierhaltung angeht. „Das sieht man ja auch an der Stärke der Discounter.“Wenn man im Urlaub etwa in Spanien sei und Obst oder Gemüse probiere, könne man erkennen, dass B- und C-Ware nach Deutschland komme. Für ihn als Küchenchef, sagt Jan Hiller, sei es ein „Riesenspagat“, etwa auf die nachhaltige Aufzucht der Tiere und somit gute Qualität zu achten, aber bei den Gästen nicht zu viel dafür zu verlangen. Doch es habe vielleicht ein Umdenken begonnen, die Corona-Krise habe dazu geführt, dass die Leute mehr selbst kochten und gutes Essen mehr zu schätzen wüssten.
Ihre Eltern, erzählt Katrin Hiller, hätten sich früher noch immer spätabends zu den Gästen gesetzt und ein Glas mit ihnen getrunken. Das machten sie selbst nicht, für sie stehe die eigene Familie im Fokus: Irgendwann wollen sie Feierabend haben. Zumindest ist der Weg dahin nicht so weit, sie wohnen im Haus. Die ältere Generation habe Toast Hawaii und Schnitzelbrot gewollt, auch davon seien sie abgekommen. Beispielsweise vegetarische und vegane Gerichte hingegen hätten an Bedeutung gewonnen. Das alles sei ein Prozess, so wie es auch einer gewesen sei, sich mehr Freiräume für die Familie zu nehmen. Es gibt jeweils einen Mama- und einen PapaTag in der Woche, sprich einer hat frei und kümmert sich um die Kinder. Mittwochs ist Ruhetag im Gasthaus. Doch donnerstags bis sonntags bräuchten sie Hilfe bei der Kinderbetreuung – in Zeiten ohne Corona. Zwar sei immer einer von ihnen im Betrieb präsent, aber grundsätzlich könnten sie so ihren Mitarbeitern noch mehr Verantwortung übertrazeichnungen gen, indem es auch mal für ein, zwei Tage ohne sie als Chefs gehe. Und zwei Tage reichten auch, um wieder mit Spaß an die Arbeit zu gehen.
Die Krise habe ihnen auch gezeigt, dass sie umdenken müssten. Jeder schimpfe zwar über die Auflagen, die für sie als kleineres Haus dieselben seien wie für ein großes. Aber sie nutzten jetzt die Chance, die die Digitalisierung etwa in der Buchhaltung biete, um sich mehr Freiräume zu schaffen. Das gelte auch in der künftigen neuen Küche, ab 15. März soll wieder gekocht werden. Etwas mehr Automatisierung bringe Zeit und Geld, ohne bei der Qualität zu sparen. Umdenken müssten sie aber auch dahingehend, dass vor der Krise 90 Prozent ihrer Gäste im Hotel Geschäftsreisende gewesen seien – das werde sich ändern, wenn die Firmen virtuelle Besprechungen beibehielten. Gerade in Großstädten werde es viele Häuser nach Corona nicht mehr geben, die vor allem auf Touristen setzten.
Ihr Personal ist bis auf die Auszubildenden in Kurzarbeit, die fünf Azubis werden so gut es geht beschäftigt. Das sei zweifellos alles nicht einfach. Doch man müsse schon sehen, „dass es uns in Deutschland einfach gut geht“, betont Jan Hiller. Keiner müsse am Hungertuch nagen, irgendwie gehe es immer weiter. Deshalb und weil die Rückmeldungen ihrer Gäste so positiv seien, wollten sie weitermachen. „Wir rocken das“, ist Katrin Hiller überzeugt. Auch wenn es sie beide ärgert, dass man in fast jeder anderen Branche einen Meister brauche, um einen Betrieb führen zu dürfen, nur in der Gastronomie nicht. „Dadurch wird viel kaputt gemacht“, bedauert Jan Hiller. Er und seine Frau sind auch keine Fans von Fernsehsendungen, in denen mehrere Restaurants gegeneinander antreten: Ihnen sei das Miteinander wichtig und nicht, Schwachpunkte bei anderen möglichst effektheischend ins Rampenlicht zu stellen.
Alles in allem blickten sie ohnehin entspannter in die Zukunft als noch vor zwei, drei Monaten, weil sie erkannt hätten, worauf es ihnen wirklich ankommt. Dabei helfe ihnen auch immer wieder der Aufenthalt (unabhängig voneinander) im ZenKloster in Buchenberg im Allgäu, um einmal durchatmen und sich fokussieren zu können.
„Von 100 Sachen bleiben ein, zwei Sachen übrig, die wirklich für einen zählen“, sagt Jan Hiller. Viele Leute betäubten sich auf verschiedene Weise, um sich nicht mehr spüren, sich nicht mehr mit sich selbst auseinandersetzen zu müssen. Doch durch die regelmäßige Meditation auch zu Hause seien sie gelassener – was ihnen als Paar, als Familie und als Chefs eines Hauses viel bringe, dessen Geschichte mindestens bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. Es soll nun in jedem Fall weitere Kapitel hinzugefügt bekommen.